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Mäders Moralfragen: Die Sommer, die noch kommen

Hitze und Dürre gehen vorbei, ohne dass wir unser Verhalten geändert hätten. Der Klimaschutz kommt auch jetzt nicht richtig von der Stelle. Ist die Herausforderung zu groß für uns?
Elbe bei Magdeburg im Sommer 2018

Was bleibt vom langen Sommer 2018? Mir ist in dieser Zeit klar geworden, wie sehr wir unsere Lebensweise umstellen müssen, um mit dauerhaft hohen Temperaturen und Trockenheit umzugehen. An manchen Tagen musste ich mich zum Beispiel entscheiden: Will ich vom Schreibtisch aus durch die schöne Fensterfront nach draußen schauen, oder lasse ich die Rollläden herunter, um die Temperatur im Arbeitszimmer erträglich zu halten? Und als freiberuflicher Journalist hatte ich in den vergangenen Wochen das Glück, mittags Siesta machen zu können. Doch diese Möglichkeit hat längst nicht jeder, auch nicht jeder Freelancer. Wir denken bei Sonne und Hitze gerne an den Urlaub, doch in den Urlaubsländern haben sich die Menschen auch im Arbeitsalltag besser daran angepasst. Da steht uns noch einiges bevor, wie mir kürzlich die Klimaforscherin Daniela Jacob in einem Interview zu extremen Wetterereignissen erklärt hat.

An welche Sommer wir uns mittel- bis langfristig anpassen müssen, liegt aber weiter in unserer Hand, denn die globale Durchschnittstemperatur hängt von unseren CO2-Emissionen ab. Es sieht so aus, als würden wir in diesem Jahrhundert die Marke von zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau reißen – zumindest für einige Zeit. Doch wenn wir die Wende nicht schaffen, können es auch drei oder vier Grad werden. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, dass wir den langen, unaufhaltsamen Übergang in eine »Heißzeit« anstoßen, in der die Eispanzer am Nord- und Südpol komplett abschmelzen und der Meeresspiegel um dutzende Meter steigt.

Der »Spektrum.de«-Kollege Lars Fischer zieht folgendes Fazit aus einer neueren Studie zur Heißzeit: »Was es für zukünftige Kulturen bedeuten würde, keine stabile Welt zu kennen, weil das Klima über zigtausende Jahre langsam wärmer wird und die Küstenlinien unaufhaltsam zurückweichen, ist sicher ein großartiger Ansatzpunkt für Sciencefiction. Als Vorschau auf die Zukunft der Menschheit ist das eher eine gruselige Vorstellung.« Die Folgen unserer CO2-Emissionen werden wir zum Teil selbst noch erleben, viel stärker trifft es jedoch die nachfolgenden Generationen.

Gute Gründe, die Hoffnung aufzugeben

So mancher hat in den vergangenen Wochen geseufzt und sich gefragt, ob das überhaupt noch etwas werden kann mit dem Klimaschutz. Gemeint ist ein Klimaschutz, der tatsächlich die Emissionen deutlich reduziert. Es spricht einiges dagegen: Menschen fällt es generell schwer, auf eine Bedrohung zu reagieren, die weit in der Zukunft liegt. »Wieso weit in der Zukunft?«, mögen Sie fragen. Waldbrände, Ernteausfälle und Dehydrierung sind doch schon Probleme der Gegenwart. Soweit ich das sehe, wird für diese Wetterfolgen aber niemand verantwortlich gemacht. Erst die dauerhafte Überforderung der Gesellschaft in der Zukunft begründet die Reduktion der Treibhausgase, befürchte ich.

Als Einzelner fühlt man sich ohne Einfluss auf das Weltgeschehen. Man sieht sich nicht mehr als das kleine Rädchen im Getriebe, das man früher war, sondern als außenstehender Betrachter der Maschinerie. Die Menschen geben zwar zu, dass sie ihren Konsum deutlich einschränken müssten. Doch als Selbstverpflichtung nimmt ihnen das kaum jemand ab. In einer Umfrage im Rahmen dieser Kolumne waren im April 42 Prozent der Teilnehmer der Meinung, dass der gute Wille leider nicht reichen werde, und 44 Prozent antworteten, dass es die Leute mit ihrem Konsumverzicht gar nicht ernst meinen. Kein Wunder, dass sich die Politik nicht traut, den Konsum durch Regeln für alle einzuschränken.

Der Klimaschutz macht zudem nicht alle glücklich: Einige Unternehmen verlieren ihr Geschäftsmodell, Arbeitnehmer ihre Arbeitsplätze. Hausbesitzer sollen Strommasten, Windräder oder Biogasanlagen in ihrer Nähe dulden und setzen sich zur Wehr. Mit den USA steigt der zweitgrößte CO2-Emittent aus dem Weltklimavertrag von Paris aus.

Wege aus der Krise

Trotzdem dürfen wir nicht aufgeben. Das sind wir den nachfolgenden Generationen schuldig. Wie unsere Kinder und Enkel wohl auf den Klimawandel reagieren werden? Sie könnten uns vorwerfen, wir hätten alles gewusst und zu wenig getan. In einem Zukunftsszenario für die Plattform »RiffReporter.de« habe ich mir ein anderes Szenario ausgemalt, das ich ebenfalls für möglich halte: Unsere Kinder und Enkel stumpfen ab. Sie lernen unsere Ausreden, dass es zu teuer war und wir allein nichts ausrichten konnten – und fügen sich schulterzuckend in ihr Schicksal. Einen Hoffnungsschimmer sehe ich aber dennoch: In meinem Szenario entschließen sich einige Kinder, für ihre Rechte auf die Straße zu gehen, und ich glaube, dass auch in den heutigen Generationen noch ungenutzte Kräfte stecken. Die fünf Hürden, die ich gerade genannt habe, sind nicht unüberwindbar.

Zunächst einmal müssen wir uns daran gewöhnen, dass Klimaschutz ein zähes Geschäft ist und weiterhin viel Kraft erfordern wird. Wir müssen mit den USA im Gespräch bleiben, auch wenn man hoffen könnte, die Verhandlungen würden ohne den unzuverlässigen Donald Trump einfacher. Das müssen wir allein schon, um die vielen US-amerikanischen Bundesstaaten und Kommunen nicht zu brüskieren, die sich weiterhin zu den Zielen des Weltklimavertrags bekennen. Aber auch, um das zarte Pflänzchen Vertrauen nicht zu zertrampeln, das gerade wächst. Der Weltklimavertrag funktioniert nämlich so: Alle Staaten entscheiden selbst über ihr Engagement im Klimaschutz, doch sie stellen sich anschließend der gemeinsamen Kritik. Haben wir die selbst gesteckten Ziele erreicht? Und waren die Ziele angemessen? Die Diskussion über diese Fragen funktioniert nur, wenn alle bereit sind, voneinander zu lernen und gemeinsam besser zu werden – und niemand beleidigt aussteigt, weil er kritisiert worden ist. Wir sollten daher dafür kämpfen, dass die USA irgendwann wieder mitmachen.

Wem es gelingt, am kulturellen Angebot in seiner Umgebung Freude zu finden, wird es mit dem Klimaschutz leichter haben

Dann müssen wir Wege finden, den gesellschaftlichen Dialog zu fördern und die unterschiedlichen Interessen möglichst gut auszugleichen. Im Idealfall werden alle Betroffenen gehört, und anschließend werden in einem legitimierten Verfahren Entscheidungen gefällt. Das garantiert zwar nicht, dass alle zufrieden sind, aber es ist in jedem Fall besser als eine Diskussion ohne Ende oder als eine vorschnelle Entscheidung, die Menschen verprellt. Demokratische Diskussionen sind nicht immer angenehm, doch sie bieten eine gute Möglichkeit, auf berechtigte Ansprüche einzugehen, statt den Klimaschutz wegen der anhaltenden Kritik zurückzustellen.

»Think globally, act locally«

Wenden wir uns angenehmeren Dingen zu: Klimaschutz kann auch Spaß machen! Das leuchtet nicht jedem ein. Wer gerne in ferne Länder reist, ein dickes Auto fährt oder an Steaks Gefallen findet, wird sich fragen, was so toll daran sein soll, auf diesen Luxus zu verzichten. Spaß macht es erst, wenn man seine Werte überdenkt. Ich möchte niemandem zu nahe treten, aber ein Beispiel will ich doch geben: Warum müssen es ferne Länder sein? Treibt einen wirklich die Neugier auf andere Kulturen an, oder sammelt man die Urlaubsziele wie Trophäen? Wem es gelingt, am kulturellen Angebot in seiner Umgebung Freude zu finden, wird es mit dem Klimaschutz leichter haben. Denn der Erfolg im Kleinen motiviert zu weiterem Klimaschutz. So wie jemand, der sich endlich zum Sport gezwungen hat, mit der Zeit stolz bemerkt, dass er schneller, kräftiger und ausdauernder geworden ist und nicht mehr jede Woche aufs Neue den inneren Schweinehund überwinden muss.

Die Hinwendung zum Lokalen hat auch einen zweiten Vorteil: Man sieht dort schneller, was man erreicht. Das Projekt »ClimateFair« bietet zum Beispiel die Möglichkeit, die Klimafolgekosten der eigenen Mobilität zu bezahlen, die man sonst einfach auf die Allgemeinheit und die nachfolgenden Generationen abwälzen würde. Das Geld zahlt man in einen Fonds, der lokal den Klimaschutz fördert. Welche Projekte unterstützt werden, entscheidet man mit, wie Christiane Schulzki-Haddouti am Beispiel der baden-württembergischen Stadt Walldorf beschreibt. Der Slogan »Think globally, act locally« hat noch lange nicht ausgedient, auch wenn man ihn nur noch selten hört. Wenn klar wird, dass von unten eine Bewegung entsteht, dann wird hoffentlich auch die Politik den Mut finden, dieses Engagement zu fördern und zum Beispiel bestimmte Standards für alle verbindlich zu machen, statt sie dem freiwilligen Engagement zu überlassen.

Vor Kurzem hat ein Reporter im »New York Times Magazine« rekonstruiert, dass die Welt schon vor 30 Jahren beinahe die Wende zum Klimaschutz eingeleitet hätte. Am 7. November 1989, zwei Tage vor dem Mauerfall, standen im holländischen Noordwijk 67 Staaten kurz davor, einen substanziellen Klimavertrag abzuschließen. Sogar die USA waren dafür – unterschrieben in letzter Minute aber doch nicht. Ein Zurückschrecken vor dem eigenen Mut. Die Aufgabe war doch zu groß für die Menschheit.

Viele Klimaschützer haben diese Darstellung kritisiert: Schon damals hätten die Öl- und Kohleindustrie Zweifel an der Klimaforschung gesät, und schon damals hätten mächtige Vertreter der republikanischen Partei gegen den Klimaschutz gearbeitet – allen voran US-Präsident Ronald Reagan. Außerdem habe sich die Welt gerade darauf vorbereitet, die Märkte zu entfesseln, da hätten Einschränkungen im Namen des Klimas nicht ins Konzept gepasst. Die Debatte darüber habe ich in diesem Beitrag zusammengefasst. Doch vielleicht machen wir es uns auch zu einfach, wenn wir mit dem Finger auf die exponierten Gegner des Klimaschutzes zeigen. Denn das hilft dabei, unsere eigenen Versäumnisse zu übersehen.

Die Moral von der Geschichte: Wir sind spät dran, aber wir können noch viel bewegen.

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