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»Fake Science«: Dieser Begriff kann der Wissenschaft nur schaden

Eine große Recherche von WDR, NDR und SZ zeigt, dass dubiose Journals das Wissenschaftssystem unterwandert haben. In der Präsentation ihrer Ergebnisse schießen die Journalisten aber übers Ziel hinaus. Ein Kommentar.
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Medien dürfen Sachverhalte skandalisieren, das ist sogar ihre Aufgabe. Nur so kann es ihnen gelingen, im Nachrichtenstrom ein Schlaglicht auf Probleme zu lenken, die große Aufmerksamkeit verdienen. Entsprechend suchen Journalisten immerzu nach Begriffen, die einen Skandal auf den Punkt bringen. So bleiben Debatten um Missstände leichter im öffentlichen Bewusstsein – und eine Veränderung hin zum Besseren wird wahrscheinlicher.

Manchmal greifen Kollegen bei der Suche nach einem griffigen Schlagwort aber auch daneben. Erleben kann man das gerade bei den jüngsten Enthüllungen um das Ausmaß, in dem Forscher in so genannten »Predatory Journals« veröffentlichen. So nennt etwa die ARD ihren Dokumentarfilm zu dem Thema »Fake Science – die Lügenmacher«. Und nun ist der Begriff dabei, zum Hashtag der Debatte rund um das schon länger bekannte Phänomen von Pseudo-Fachzeitschriften zu werden, die eingesendete Aufsätze allenfalls oberflächlich prüfen.

Dabei ist #FakeScience ein Label, das nicht nur am Kern der Sache vorbeigeht, sondern auch Schaden anrichten könnte. Es lässt einen sofort an gefälschte Daten und Betrug denken. All das gibt es im Wissenschaftssystem, und niemand würde bestreiten, dass dies ein Problem ist, wenn auch kein zentrales. Aber verdienen die nun enthüllten Auswüchse des Publikationswesens ebenfalls diese größte aller Keulen im zeitgenössischen Mediensprachrepertoire? Handelt es sich nicht eher um »Junk Science«, um wertlose Forschung? Und manchmal nicht mal um das?

Wer ist hier der Täter?

Das Wörtchen »Fake« hat es in sich: Mit ihm unterstellt man für gewöhnlich eine Intention. Mit Fake News will man die Öffentlichkeit täuschen, mit Fake Science gaukelt die Wissenschaft allen Rezipienten gefälschte Erkenntnisse vor. In dem Wort schwingt also ein klar definierter Täter mit. Nun kann man die Forschenden an Universitäten und seriösen Instituten allerdings auch als Opfer der Raubverlag-Praktiken sehen, bis zu einem gewissen Grad zumindest.

Das legen auch die Recherchen von NDR, WDR und »Süddeutscher Zeitung« nahe, soweit sie bisher öffentlich sind: Demnach war es offenbar in vielen Fällen kein Fälscher- oder Täuschungswille, der Forscher dazu veranlasste, in fragwürdigen Open-Access-Fachzeitschriften zu publizieren. Viele der Experten von deutschen Universitäten fielen in den vergangenen Jahren aus Unwissenheit auf die findigen Geschäftemacher hinter diesen Journalen rein – und wollen es anschließend bereut haben. Das ist insofern überzeugend, als dass es durchaus auch angesehene Open-Access-Journale mit seriösem Peer Review gibt und die Unterscheidung nicht immer leicht fällt.

Außer Frage steht, dass in den Zeitschriften der Raubverlage mitunter fehlerhafte und unsinnige Arbeiten landen, die keiner unabhängigen Überprüfung standgehalten hätten. Genauso wie Artikel, die von wissenschaftsfernen Interessengruppen verfasst wurden. Es muss dem Wissenschaftssystem auch zu denken geben, dass die Predatory Journals offenbar immer beliebter werden.

Raum für den Bodensatz der Forschung

Wahr ist aber auch: In den meisten Fällen landen in solchen Zeitschriften einfach ambitionsfreie Arbeiten ohne Potenzial für einen Skandal. Die Journale bieten gewissermaßen Raum für den Bodensatz der wissenschaftlichen Ausbeute einer Forschungsgruppe, der bei den etablierten Adressen keine Chance hätte. Der Antrieb, solche Ergebnisse oder Gedanken trotzdem zu veröffentlichen, ist schlichtweg das Streben nach einer weiteren Veröffentlichung im akademischen Lebenslauf.

Oft rufen solche Aufsätze dann keinerlei Nachhall hervor und verschwinden unbeachtet in irgendeiner Datenbank. Schließlich wissen die meisten Wissenschaftler, welche Fachzeitschriften in ihrem engen Spezialgebiet ernst zu nehmen sind und welche nicht. Zumal viele Forscher in den vergangenen Jahren mitbekommen haben, dass man sich vor den Raubtieren unter den Journalen in Acht nehmen sollte und dass es dort kein nennenswertes Peer Review gibt.

Die jüngsten Enthüllungen enthalten daher neben tragischen Einzelfällen, in denen Kranke auf fragwürdige medizinische Studien hereingefallen sind, vor allem eine Mahnung, dass der Publikationsdruck in den Laboren und Instituten zum Teil absurde Ausmaße angenommen hat.

Ein toxischer Begriff

Am Beispiel des unter anderem von Donald Trump geprägten Begriffs der Fake News sieht man derweil, wie mächtig ein griffiges Wort sein kann. Wie präsent die darin enthaltene Unterstellung ist, wie damit in manchen Bevölkerungsgruppen ein ganzer Berufsstand in Frage gestellt wird, das dürften viele Journalisten bereits am eigenen Leib erfahren haben.

Somit könnte die Etablierung des Fake-Science-Begriffs das Gegenteil dessen bewirken, was sich die an der Enthüllung beteiligten Reporter erhoffen: Statt das Forschungssystem besser zu machen, öffnet man eine kaum mehr schließbare semantische Flanke. Über sie werden künftig all jene angreifen, denen Erkenntnisse aus der Wissenschaft missfallen. Und das auch noch zu Zeiten, wenn die Raubverlage längst wieder verschwunden sind.

Der Klimawandel, die Evolutionstheorie, die Evidenz für den Nutzen des Impfens – das dürfte für manche künftig nicht mehr nur Fake News sein, die auf eine unwissende oder hirngewaschene Journaille zurückgehen, sondern schlichtweg Fake Science. Gemacht von Wissenschaftlern, die zwanghaft etwas publizieren wollen und es nicht so genau nehmen mit der Wahrheit. Und über die braucht man ja gar nicht mehr zu diskutieren.

Das heißt nicht, dass man Fehlentwicklungen des Wissenschaftssystems nicht kritisieren darf. Aber wenn man beim Verkauf einer aufwändigen Recherche die ganz große Keule schwingt, gibt es womöglich Kollateralschäden.

Nachtrag: Das »Science Media Center« hat Fakten zu den Raubverlagen zusammengetragen.

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