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Hatts dufte Welt: Duftrezeptoren als Therapiehelfer

Riechrezeptoren existieren im ganzen Körper – auf der Haut, im Herzen, in vielen Organen. In der letzten Folge von »Hatts dufte Welt« haben wir davon berichtet. Doch Duftrezeptoren spielen auch bei Krankheiten eine Rolle: beim Bluthochdruck oder bei Krebserkrankungen. Denn Tumorzellen können ebenfalls »riechen«.
Krebszelle im Fadenkreuz

Viele Menschen leiden unter Bluthochdruck. Was keine besonders romantische Vorstellung ist: Unser Herzblut ist nicht allein von Leidenschaft geprägt, sondern auch von jeder Menge Blutfetten. Im Darm helfen Enzyme und Mikroorganismen, die Fette aus der Nahrung in unterschiedlich lange Fettsäuren zu zerlegen und sie als Energielieferanten über das Blut im ganzen Körper zu verteilen. In Zellen der Niere gibt es für Fettsäuren spezielle Riechrezeptoren. Sie heißen die Fettsäuren willkommen und sind – wenn auch nicht immer zu unserem Vorteil − an der Regulierung des Blutdrucks beteiligt.

Unsere Nahrungsaufnahme kann so den Blutdruck beeinflussen – mit Hilfe von Riechrezeptoren. Zerstört man bei der Maus diese Riechrezeptoren, kommt es zu permanent niedrigem Blutdruck. Könnte man also Bluthochdruck bekämpfen, indem man den Fettsäurerezeptor in der Niere blockiert? Denn aus der Nase wissen wir: Es gibt immer einen spezifischen aktivierenden, aber auch einen blockierenden Duft.

Sogar Tumorzellen reagieren auf Düfte. In den letzten Jahren haben wir und andere Labors weltweit viele wissenschaftliche Daten erhoben, die beweisen: Bei bisher allen untersuchten Tumoren sind die Zahl und das Muster der Riechrezeptoren im Vergleich zum gesunden Gewebe verändert. Werden diese Rezeptoren aktiviert, kann das viele zellbiologische Wirkungen haben. Die Zellen können dazu veranlasst werden, sich weniger zu teilen, zu bewegen oder auch früher abzusterben und in den programmierten Zelltod zu gehen. Krebszellen, die schneller sterben – ein Hoffnungsschimmer für Patienten? Zumindest ein neuer Therapieansatz.

Vielseitiges Sandelholz

Für einen Riechrezeptor, der in großen Mengen in Dickdarmkrebszellen vorkommt, konnten wir herausfinden, dass er durch einen Duftstoff aus der Ligusterblüte aktiviert wird. Um dessen Wirkung genau zu untersuchen, haben wir Gewebeproben von Tumorpatienten damit in Kontakt gebracht. Das Ergebnis war eindeutig: Die Krebszellen starben ab oder wuchsen langsamer. Auch die Migration der Zellen wurde stark reduziert, was die Bildung von Metastasen erschwert.

Ähnliches passierte beim Blasenkrebs: In Zellkulturstudien mit Krebsgewebe von Patienten wurde deutlich, dass hier stark vermehrt ein Riechrezeptor vorkommt, der auf Duftkomponenten aus dem natürlichen Sandelholzaroma reagiert. Beim Kontakt mit diesen Duftstoffen teilten sich die Krebszellen seltener und waren nicht so beweglich. Interessanterweise gab es bereits vor mehr als 100 Jahren Berichte, wonach man Sandelholz gegen Blasenkrebs eingesetzt hat. Beim Leberkrebs ist es übrigens der Zitrusduft, der eine solche Wirkung entfaltet. Und bei Leukämiezellen ein anderer Früchteduft. Jetzt sind noch klinische Studien nötig, damit Patienten davon profitieren können.

Auch zur Diagnose von Krankheiten können Riechrezeptoren hilfreich sein. Bereits vor einigen Jahren wurde bei Prostatakrebs der Riechrezeptor für »Veilchenduft« in solchen Mengen entdeckt, dass er als Tumormarker genutzt werden kann, um gesunde Prostatazellen von Krebszellen zu unterscheiden. Einen gewebsspezifischen Riechrezeptor gibt es bei Brustkrebs von Frauen.

Düfte in der Krebstherapie

Da er außerhalb der Nase nur in Mammakarzinomzellen vorkommt, kann man diese Krebszellen überall im Körper daran erkennen. Leider kennt man den aktivierenden Duft noch nicht, so dass eine mögliche Bedeutung für einen therapeutischen Einsatz nicht untersucht werden kann. Neue Studien fanden solche Riechrezeptoren sogar in Blut und Urin und eröffnen damit ganz neue, schonende Optionen zur Frühdiagnose. »Liquid Biopsy« sagt man dazu.

Neue Forschungsergebnisse aus der Untersuchung von Hirngewebe bei Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson haben große Unterschiede im Vorkommen von Riechrezeptoren im Vergleich zu gesundem Gehirngewebe festgestellt. Eine aufregende Entdeckung, um solche Krankheiten zu erkennen, aber vielleicht auch neue Ansätze für die Therapie zu eröffnen. Schon lange ist bekannt, dass bei diesen Krankheiten eine Abnahme des Riechvermögens fast zehn Jahre vor dem ersten Symptom auftritt und deshalb Riechtests eine hilfreiche Frühdiagnose ermöglichen.

Das Potenzial der Riechrezeptoren außerhalb der Nase ist also noch lange nicht erforscht. Und wenn wir heute Pharmaka, Nahrungszusätze oder Kosmetika zur Heilung oder Verbesserung der Körperfunktionen einkaufen, werden es in 20 Jahren womöglich olfaktorische Wunderpillen sein, die als Duftimitatoren oder Riechrezeptorblocker therapeutischen Einsatz finden und für Gesundheit und mehr Wohlbefinden sorgen.

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