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Anakonda-Experiment: Meinung: So nicht!

Der Amazonasregenwald ist gefährdet. Um ihn zu schützen, kommt ein US-amerikanischer Aktivist auf eine ebenso dumme wie kontraproduktive Idee, kritisiert Daniel Lingenhöhl.
Die südamerikanischen Anakondas gehören zu den größten Riesenschlangen der Erde: Ausgewachsene Exemplare können sieben Meter und länger werden. Allerdings bedrohen Abholzung, illegaler Tierfank und Wilderei die Art.

Er wolle sich teilweise bei lebendigem Leib von einer Anakonda verschlingen lassen, kündigte der US-amerikanische Aktivist und Naturschützer Paul Rosolie an und warb damit für eine Dokumentation auf dem Discovery Channel. Ziel des Ganzen: Mit der Aktion möchte Rosolie nach eigenen Angaben erreichen, dass endlich die Heimat der Reptilien im peruanischen Regenwald geschützt wird. Momentan bedroht illegaler Holzeinschlag, Goldsuche und Landwirtschaft das westliche Amazonasbecken, eines der artenreichsten Gebiete der Erde, in dem noch zahlreiche Jaguare, Tapire und eben auch riesige Anakondas leben. Um es vorwegzunehmen: Rosolie wurde nicht einmal ansatzweise von einem Reptil verspeist, wohl aber von einer Anakonda kräftig in die Mangel genommen. Allerdings war der Biologe durch einen speziellen, mit Kohlefasern verstärkten Schutzanzug ausgestattet, damit ihm das Tier nicht alle Knochen im Körper brechen konnte.

Daniel Lingenhöhl

Als die Schmerzen zu groß wurden, brach Rosolie – der mit seinem Team permanent in Kontakt stand – das Experiment ab und konnte ohne größere Blessuren befreit werden. Wer möchte, kann sich diesen Teil der zweistündigen Sendung hier auf Youtube ansehen. Und angeblich überstand auch die Schlange die Aufzeichnung ohne Schäden, sie wurde nach der Aktion wieder in die Freiheit entlassen.

In sozialen Netzwerken und bei verschiedenen Tierschutzorganisationen sorgte allein schon die Ankündigung der Aktion für Aufruhr; Petitionen wurden gestartet, und Rosolie erhielt nach eigenen Angaben auch Morddrohungen. Später gesellten sich zudem enttäuschte Stimmen auf Twitter hinzu, die die Ankündigung "Eaten Alive" bei Weitem nicht erfüllt sahen – schließlich habe die Anakonda mit dem Verspeisen noch gar nicht richtig begonnen, als der Versuch bereits wieder endete.

Unabhängig von diesem Etikettenschwindel ist jedoch die gesamte Sendung fragwürdig, mit der für den Regenwaldschutz getrommelt werden sollte. Man kann Paul Rosolie sein Engagement für Amazonien nicht absprechen, für dessen Erhalt er immer wieder in Interviews, Filmen oder in seinem Buch "Mother of God" vehement plädiert. Mit "Eaten Alive" ist er jedoch völlig über das Ziel hinausgeschossen – und womöglich erreicht er mit den dramatischen Sequenzen seines "Kampfes" mit der Anakonda auch noch das Gegenteil: dass Menschen diese riesigen Reptilien erst recht fürchten und töten.

Anakonda | Die südamerikanischen Anakondas gehören zu den größten Riesenschlangen der Erde: Ausgewachsene Exemplare können sieben Meter und länger werden. Allerdings bedrohen Abholzung, illegaler Tierfang und Wilderei die Art.

Denn Anakondas wären tatsächlich in der Lage, Menschen zu überwältigen und zu töten: Es gelingt ihnen schließlich, Kaimane – bis zu fünf Meter lange Krokodile aus Amazonien – Tapire, Hirsche oder Wasserschweine zu verschlingen, die ähnlich viel oder mehr als ein Erwachsener wiegen. Allerdings existieren nur Anekdoten von Attacken durch Anakondas auf Menschen, wie sie auch Rosolie in seinem Bericht erwähnt: Angeblich hat eine Anakonda den Vater eines Expeditionsteilnehmers getötet. Doch handfeste Belege für derartige Unglücke stehen bislang aus; zudem leben gerade die großen Exemplare fernab menschlicher Siedlungen in bislang weit gehend unzugänglichen Sumpfwäldern des Amazonasbeckens. Dagegen können die ähnlich großen südostasiatischen Tigerpythons sehr wohl Menschen töten; die meisten der belegten Todesfälle betrafen jedoch unachtsame Halter oder deren Angehörige, die von ihren Tieren erwürgt wurden.

Paul Rosolie möchte Ehrfurcht und Begeisterung für die Anakondas wecken, die nur zu oft einfach getötet werden, wenn Menschen auf sie treffen. Mit seinem Film bewirkt er jedoch eher unerwünschte Reaktionen. Denn wer möchte schon im Maul eines Reptils enden? Im Zweifelsfall tötet man sie dann doch eher, bevor sie einem gefährlich werden. Für die beanstandeten Filmsequenzen musste das Team die Schlange sogar regelrecht reizen, bis sie aktiv wurde.

Wer den Amazonasregenwald und seine wundervollen Kreaturen schützen möchte, sollte also die Begeisterung für diesen Lebensraum wecken und zeigen, was es in diesen letzten weißen Flecken der Erde noch zu entdecken gibt. Man muss seine Bewohner als die faszinierenden Lebewesen vorstellen, die sie eindeutig sind – und keine Show produzieren, die nichts mit der Realität zu tun hat.

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