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Springers Einwürfe: Das Auto – ein Nachruf

Seit seiner Erfindung legte das Kraftfahrzeug einen beispiellosen Siegeszug hin. Doch allmählich neigt sich die Ära des privaten Autobesitzes dem Ende zu.
Rostendes Auto

Erwachsen werden, das hieß in meiner Jugend: den Führerschein machen und mit dem ersten selbst verdienten Geld (plus einer elterlichen Starthilfe) einen fahrbaren Untersatz kaufen. Seither habe ich im Lauf der Zeit fünf oder sechs gebrauchte Pkws besessen, lebe aber nun schon jahrzehntelang autofrei. In meiner mittelgroßen Stadt komme ich mit Fahrrad, Carsharing, Bus und Taxi gut zurecht – und spare obendrein eine Menge.

So beobachte ich aus persönlicher Distanz eher gelassen, wie sich das Image des Autos wandelt: vom Vehikel der individuellen Freiheit zum ökologischen Problem. Dabei ist mir bewusst, dass Pendler und Landbewohner bis auf Weiteres mangels Alternativen nicht ohne ein oder sogar zwei Autos auskommen können. Deshalb geht der Wandel nicht glimpflich ab, sondern wird von heftigen Auseinandersetzungen begleitet. Ein Beispiel bietet der Aufstand der französischen »Gelbwesten« gegen die Einführung einer Ökosteuer auf Diesel und Benzin.

Wie ein kritischer Rückblick auf die Geschichte des Individualverkehrs offenbart, schuf das Auto schon immer gewaltige, jedoch lange ignorierte Probleme. Für die USA, wo das massengefertigte Ford-T-Modell zu Beginn des 20. Jahrhunderts erstmals Millionen Bürger zu privaten Autobesitzern machte, hat dies der Techniksoziologe Lee Vinsel nacherzählt.

Vinsel schildert einen technologischen Durchmarsch, dessen Blutzoll zunächst als unvermeidlich hingenommen wurde. Bereits 1909 töteten die vergleichsweise wenigen und langsamen Knatterkutschen mehr als 1000 Amerikaner. In der Folge stieg die Zahl stetig und steil, bis in den 1970er Jahren jährlich 50 000 Menschen auf US-Straßen ums Leben kamen – Jahr für Jahr fast so viele Amerikaner wie im gesamten Vietnamkrieg. Erst danach begannen öffentliche Regulierungsmaßnahmen die Opferzahlen allmählich zu senken. Im Verlauf spielte ab Mitte der 1960er Jahre ein Bewusstseinswandel eine Rolle, der von den Universitäten ausging und sich in Bezug auf das Auto im Konsumentenanwalt Ralph Nader personifizierte. In Deutschland wurde 1976 die Gurtpflicht eingeführt, 1984 der Abgaskatalysator.

Trotz alledem sterben heute jährlich weltweit rund 1,35 Millionen Menschen auf den Straßen. Im Jahr 2018 gab es in Deutschland »nur« 3265 Verkehrstote, was nicht als gesellschaftlicher Skandal empfunden wird, sondern als tolerierbarer Preis einer »freien Fahrt für freie Bürger«. Dabei ist die Verkehrssicherheit eine Frage des Standpunkts. Die neuerdings sehr beliebten Sport Utility Vehicles (SUVs) sind für die Insassen zwar sicherer als normale Kleinwagen, für Fußgänger aber tödlicher.

Überhaupt ist das SUV, ein übertrieben motorisierter Sprit- und Platzfresser, oft mit für normale Straßen sinnlosem Vierradantrieb, rational betrachtet ein Unding. Wie mir scheint, drückt sich darin eine trotzige Endzeitstimmung der Autowelt aus. Während halbherzig gepredigt wird, man solle bitte der Umwelt zuliebe – trotz zwiespältiger Ökobilanz – auf kurzreichweitige und kostspielige Elektroautos umsteigen, dient man dem Kunden noch schnell ein protziges SUV an, denn wer weiß, wie lange das weitergeht.

Ein starkes Indiz für die heraufziehende Katerstimmung in puncto Privatauto erblicke ich in der hemmungslos eskapistischen Werbung. Sie zeigt den eigenen Wagen als irreales Lustobjekt, als fliegenden Teppich zur Flucht aus dem Alltag, als Verwirklichung des Traums von einsamer Fahrt durch menschenleere Landschaften – kurz, als das exakte Gegenteil der real im Stau steckenden und sich von einer roten Ampel zur nächsten hangelnden Fortbewegungskrücke.

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