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Mäders Moralfragen: Ein neues Klima der Verantwortung

Beim Klimaschutz denken viele: Was kann ich schon beitragen? Dabei sollte die Frage lauten: Wie kann ich meinen Anteil an den Klimaschäden wiedergutmachen?
Eisbedeckung der Arktis im März 2017

Die Uhr stand beim Klimaschutz lange auf »fünf vor zwölf«, doch das ist vorbei. Inzwischen lassen sich Hitzewellen auf den vom Menschen verursachten Klimawandel zurückführen – die ersten beobachteten Klimaschäden, für die wir verantwortlich sind. Und vergangene Woche hat der Weltklimarat IPCC in einem neuen Bericht aufgezeigt, wie deutlich sich die Welt in den kommenden 20 bis 30 Jahren verändern wird, wenn die globale Durchschnittstemperatur um ein weiteres halbes Grad auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau steigt. Diese Erwärmung zu vermeiden, ist rechnerisch möglich, doch diese Rechnung hat mit der Realität nur noch wenig zu tun.

Die aktuellen Klimaschutzpläne aller Länder summieren sich für das Jahr 2030 auf rund 55 Milliarden Tonnen CO2, doch um das 1,5-Grad-Ziel des Klimavertrags von Paris einzuhalten, wäre es notwendig, die Emissionen auf 25 Milliarden Tonnen zu verringern. Eine dramatische Lücke von rund 30 Milliarden Tonnen CO2 im Jahr. Die Lücke reduziert sich auf 18 Milliarden Tonnen, wenn man einen Anstieg um zwei Grad zulässt, was der Weltklimavertrag aber schon nicht mehr erlaubt. Laut Vertragstext muss der Anstieg »deutlich unter zwei Grad Celsius« bleiben – und es müssen Anstrengungen unternommen werden, um ihn unter 1,5 Grad zu halten. Zwischen 1,5 und 2,0 Grad werden die Klimaschäden deutlich schlimmer, sagt der IPCC.

Realistischere Klimaschutzziele angemahnt

Obwohl der IPCC also nur ein winzig kleines bisschen Hoffnung lässt, klammern sich viele daran. Die Bundesministerinnen Svenja Schulze (Umwelt) und Anja Karliczek (Forschung) werten den IPCC-Bericht als »weiteren Beleg für die Dringlichkeit der Bekämpfung des Klimawandels«. Doch sie ziehen keine Schlüsse daraus – alles bleibt wie gehabt. Die offizielle Linie lautet: Wir halten uns an den Klimavertrag und werden es schon irgendwie schaffen. Bloß nicht an der allgemeinen Entschlossenheit zweifeln – obwohl sie bisher nicht genügt hat, um Klimaschäden zu vermeiden. In seiner Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger führt der Weltklimarat unter anderem diese Folgen auf, die schon bei einem Temperaturanstieg von 1,5 Grad eintreten dürften und bei denen die wissenschaftliche Basis der Vorhersage als sehr solide bewertet wird:

  • Die Zahl der heißen Tage erhöht sich in fast allen Landregionen der Welt.
  • Die extrem heißen Tage werden in den mittleren Breitengraden um bis zu drei Grad wärmer.
  • In einigen Regionen werden schwere Niederschläge häufiger und/oder heftiger.
  • Der steigende Meeresspiegel bedroht Inseln, Küstenregionen und Flussdeltas durch Überschwemmungen und das Eindringen von Salzwasser. Der Meeresspiegel wird im 22. Jahrhundert weiter steigen, selbst wenn der Temperaturanstieg auf 1,5 Grad begrenzt wird.
  • Die Tundra und die borealen Nadelwälder sind schon jetzt bedroht und dürften schrumpfen.
  • Korallenriffe sterben zu 70 bis 90 Prozent ab.
  • Unterm Strich werden Ertragseinbußen bei Mais, Reis und Weizen erwartet.
  • Die schwächsten Gesellschaften, zum Beispiel indigene Völker und solche, die allein von Landwirtschaft und Fischerei leben, sind am stärksten bedroht.

Einige Wissenschaftler fordern daher eine neue Debatte über realistischere Ziele im Klimaschutz. An einem Ziel festzuhalten, das absehbar nicht erreicht werden wird, motiviere nicht gerade zum Handeln. Doch man sollte es nicht so machen wie die Bundesregierung, die im Koalitionsvertrag ihr Klimaschutzziel für das Jahr 2020 einfach strich: Die Handlungslücke werde man später schließen, das Klimaschutzziel für das Jahr 2030 wolle man weiterhin erreichen. So werden Aufgaben vertagt – und Klimaschäden gebilligt. Denn das ist das Heimtückische an dieser Haltung: Weil man im Prinzip immer noch das ehrgeizige Klimaschutzziel erreichen kann, vermeidet man die Diskussion darüber, wer für die absehbaren Klimaschäden verantwortlich ist, die man in Kauf genommen hat.

Die historische Verantwortung Deutschlands

Gemeinsam mit dem Klimavertrag von Paris hat die Staatengemeinschaft eine Reihe von Entscheidungen verabschiedet, die unter anderem vorsehen, dass für Klimaschäden keine Haftung übernommen wird (Absatz 51 in diesem Dokument). Stattdessen wird ein Fonds aufgesetzt, der ab 2025 jährlich mindestens 100 Milliarden US-Dollar an Hilfen ausschütten soll (Absatz 52 und 53). Der IPCC will in seinem jüngsten Bericht nicht sagen, in welcher Höhe Hilfen angemessen wären – das sei schwierig zu ermitteln. Aber er schreibt, dass jährlich 2,4 Billionen US-Dollar in das Energiesystem investiert werden müssten, um die Erwärmung unter 1,5 Grad zu halten. Daran kann man ablesen, um welche Größenordnung es inzwischen geht: Das lange Zaudern beim Klimaschutz hat die Sache verteuert. Und wenn man die 2,4 Billionen US-Dollar mit den 100 Milliarden US-Dollar vergleicht, dann sieht es so aus, als versuchten die Industriestaaten billig davonzukommen: lieber ein paar Hilfen zahlen, als das Energiesystem neu auszurichten.

Dabei ist eine Mehrheit der Bürger der Meinung, dass jeder Staat für seine Treibhausgase verantwortlich ist. Eine Umfrage des Fraunhofer-Instituts ISI und der Universität Kassel ergab dafür 62 Prozent Zustimmung in den USA, 69 Prozent in China und 77 Prozent in Deutschland. Die Autoren empfehlen der Politik daher, die Verantwortung ihres jeweiligen Landes für den Klimawandel herauszustreichen. Und es trifft genau die richtigen Länder: In der ewigen CO2-Liste, die alle Emissionen seit Beginn der Industrialisierung zusammenfasst, stehen die USA auf Platz 1, China auf Platz 2 und Deutschland auf Platz 3.

In der Debatte um Klimaschutz ist häufig zu hören, dass man persönlich nur einen sehr kleinen Beitrag zu den weltweiten CO2-Emissionen leistet. Ob man auf eine Autofahrt oder ein Steak verzichtet, spielt global betrachtet keine Rolle. Doch inzwischen sind Klimaschäden zu erwarten, die richtig teuer werden und von denen wir in den Industrieländern einen erheblichen Anteil übernehmen müssen. Wenn die Aussicht auf eine bessere Zukunft die Menschen nicht zum Handeln motiviert, dann tut es vielleicht die Befürchtung, moralisch in die Pflicht genommen zu werden?

Die Moral von der Geschichte: Jeder ist für seinen Dreck verantwortlich und sollte dafür sorgen, dass er damit keinen Schaden anrichtet.

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