Eine Prise Chemie: Entscheiden zwei Moleküle über die Biervorliebe?

Unser Essen steckt voller chemischer Details: Leckere, wohltuende und auch schädliche Inhaltsstoffe kommen zusammen und vollführen faszinierende Reaktionen. In der Kolumne »Eine Prise Chemie« klären wir, wie viele Bananen ein zuckerfreier Kuchen verträgt, warum abgestandener Kaffee so übel schmeckt oder wie man bäckt, ohne Acrylamid herzustellen.
Ein Test zu Beginn. Was mögen Sie lieber: Fassbier oder Flaschenbier? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die meisten Biertrinker auf diese Frage eine klare Antwort haben. Und so sollte sich dieser Text ursprünglich darum drehen, ob und wie sich beide Getränke objektiv unterscheiden lassen. Im Lauf meiner Recherche fand ich allerdings heraus, dass es – sorry, Biergemeinde – vielleicht gar nicht so sehr darauf ankommt. Sondern eher auf zwei Moleküle, von denen das eine nach Erdbeere und das andere nach Trauben schmeckt.
Aber von vorn. Den Ausschlag, diese Kolumne zu schreiben, gab eine Leserin. Sie bat mich zu erläutern, ob – und wenn ja, warum – ein Bier aus dem Fass anders schmeckt als sein Pendant aus der Flasche. Als Weintrinkerin hatte ich mir darüber noch nicht viele Gedanken gemacht, denn aus welchem Gefäß ein Bier ausgeschenkt wird, ist mir naturgemäß recht gleich. Und so vermutete ich anfangs einen rein psychologischen Effekt.
Da lag ich falsch! Der offenkundigste Unterschied ist sogar messbar: Fassbier hat in der Regel etwa fünf Prozent mehr Kohlendioxid. Dadurch wirkt das Getränk frischer und spritziger. Weil die emporsteigenden CO2-Bläschen außerdem Aromamoleküle aus dem Bier mit nach oben tragen, ändert sich folglich die sensorische Wahrnehmung, wenn die Kohlendioxidmenge eine andere ist. So beeinflusst der CO2-Gehalt den Biergeschmack gleich auf zwei Weisen.
Aber warum gibt es überhaupt diesen Unterschied? Die gängige Erklärung ist recht einfach: Eine Flasche hält nicht so einen hohen Druck aus wie ein Stahlfass, weshalb man hier mit dem CO2-Gehalt vorsichtiger ist.
Wer sich jetzt wundert, dass man den Kohlendioxidgehalt einstellen kann, dem geht es ähnlich wie mir. Entsteht das Gas nicht während der alkoholischen Gärung, bei der die Hefen Zucker zu Ethanol und Kohlendioxid umsetzen? Warum sollte der Gehalt also von Fass zu Flasche variieren? Das stimmt teilweise. Die Gärung findet recht spät im Brauprozess statt, bevor das Bier zum Reifen in Stahlfässer abgefüllt wird. Es ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht genießbar, sondern enthält noch viele unappetitliche Aromen: etwa Schwefelwasserstoff (riecht nach faulen Eiern), das stechend riechende Acetaldehyd oder das buttrig riechende 2,3-Butandion, auch Diacetyl genannt. Brauer sprechen bei diesen unerwünschten Substanzen von Jungbierbukettstoffen. Sie bauen sich während des drei-bis vierwöchigen Reifens wieder ab, und gaumenfreundlichere Aromen entstehen. So wird etwa aus 2,3-Butandion das deutlich weniger stark wahrnehmbare 2,3-Butandiol. Um festzustellen, ob das Bier fertig gereift ist, wird der Diacetylgehalt als Indikator herangezogen: Die Substanz lässt sich selbst in sehr geringen Mengen wahrnehmen. Wenn Diacetyl abgebaut ist, sollten daher auch die anderen unerwünschten Noten nicht mehr im Bier zu erkennen sein. Wie bei vielen Aspekten des Biers gibt es aber auch hier Ausnahmen: Während die buttrige oder »popcornartige« Diacetyl-Note in den meisten Bieren unerwünscht ist, gehört sie bei bestimmten Pilssorten dazu.
Eine Frage der Technik
Anschließend wird das gereifte Bier abgefüllt und kann verkauft werden. Im Bierfass stellt man dann einen Überdruck an CO2 ein – auch eine professionelle Zapfanlage verfügt über eine Druckgasflasche mit Kohlendioxid und pumpt das Bier damit aus dem Fass in das Glas. In die Flasche kommt der gewünschte CO2-Gehalt dagegen durch eine spezielle Abfüllung unter Druck oder durch eine Nachgärung: Dabei gibt man eine ganz bestimmte Menge Hefen und Kohlenhydrate hinzu, damit in der Flasche nochmals CO2 gebildet wird. Dabei stellen die Hefen gleichzeitig weitere, durchaus erwünschte Aromastoffe her und sorgen so für einen weiteren schmeckbaren Unterschied zwischen den beiden Getränken.
Das ist aber nicht alles. Man muss bei der Betrachtung bedenken, dass Bier eine sehr komplexe Mischung von Chemikalien ist, die unter geeigneten Bedingungen weiter miteinander reagieren können. (Wenn sich das für Sie inakzeptabel anhört, dann ersetzen Sie das Wort »Chemikalien« durch »Naturstoffe«.) Die Betonung liegt auf den »geeigneten Bedingungen«, und hier kommen Licht und Sauerstoff ins Spiel: Abhängig vom Abfüllprozess verbleibt in den Bierflaschen eine gewisse Menge Sauerstoff, und auch durch die Kronkorken kann das Gas hineindiffundieren. Dadurch laufen im Bier Oxidationsreaktionen ab, bei denen sich bestimmte Aldehyde bilden. Und die wirken sich in der Regel negativ auf den Biergenuss aus.
Besonders gefürchtet ist allerdings der typische »Lichtgeschmack«. Der Hauptverursacher dieses schwefligen, auch als »stinktierartig« beschriebenen Aromas ist das Molekül 3-Methyl-2-buten-1-thiol, kurz 3-MBT. Es kann im Bier unter Einwirkung von Licht aus Iso-α-Säuren entstehen – jenen Komponenten, die dem Getränk seinen angenehm-bitteren Geschmack verleihen. Aus ihnen spalten sich zunächst 3-Methyl-2-butenyl-Radikale ab, die dann wiederum mit SH-Radikalen aus schwefelhaltigen Aminosäuren zu 3-Methyl-2-buten-1-thiol reagieren. Die Reaktion kommt deshalb in Gang, weil im Bier auch Riboflavin enthalten ist, bekannt als Vitamin B2: Dieser Stoff wird durch Licht angeregt und kann dann ein einzelnes Elektron auf eine iso-α-Säure übertragen, wodurch die Radikalreaktion einsetzt.
Ein Stück weit kann man die Bildung von 3-MBT unterdrücken, etwa durch spezielle Polyphenole, die im Hopfen vorkommen. Auch die grüne oder brauen Farbe von Bierflaschen wirkt dem Verderb durch Licht entgegen. Doch so blickdicht wie ein Stahlfass ist das gefärbte Glas eben nicht.
Dass ein paar Substanzen den Geschmack von Bier so grundlegend beeinflussen können, ist angesichts der Fülle an Stoffen im Getränk eigentlich verwunderlich. Immerhin kennt man heute zwischen 1000 und 2000 Moleküle, die in Bier vorkommen! Viele von ihnen tragen auf die eine oder andere Weise zu seinem sensorischen Gesamteindruck bei: Die einen wirken als Geschmacks- oder Geruchsstoffe, die anderen beeinflussen die Säurewahrnehmung, das Mundgefühl, die Farbe, die Konsistenz und die Festigkeit des Schaums und vieles mehr. Ihre Zusammensetzung lässt sich in unzähliger Weise variieren: durch die Auswahl von Hopfen- und Gerstensorten, durch deren Mengenverhältnis zueinander, durch die Wahl des Hefestamms, die Bedingungen während der verschiedenen Stufen im Brauprozess und letztlich sogar durch das verwendete Wasser.
Erdbeere oder Traube?
Und trotzdem wagten es Fachleute von der Ohio State University, Biertrinker in nur zwei Gruppen einzuteilen – anhand ihrer Vorliebe für zwei Moleküle. Konkret bat das Team um den Lebensmittelchemiker Devin Peterson rund 135 Bierliebhaber, 18 verschiedene Sorten Lagerbier zu verkosten. Die Getränke hatten einen vergleichbaren Alkoholgehalt und waren ähnlich bitter. Die Testpersonen bewerteten die Proben und machten Angaben zu einzelnen Eigenschaften, etwa der wahrgenommenen Aromaintensität oder der Süße. Nach drei Verkostungen ergab sich dann ein interessantes Bild: Die Bierliebhaber hatten nicht einfach unterschiedliche Geschmäcker, sondern ließen sich in zwei Gruppen mit gerade entgegengesetzten Vorlieben einordnen. So standen bei der einen Gruppe Biere mit stärkeren Geschmacksnoten auf den ersten Plätzen der Rangliste. Die andere Gruppe sortierte die Beliebtheit der verkosteten Biere quasi umgekehrt.
Dass die eine Gruppe lieber geschmacksintensive Biere mochte und die andere mildere, mag manche nicht überraschen. Die Lebensmittelchemiker gingen aber noch weiter. Mithilfe massenspektroskopischer Untersuchungen ermittelten sie für jede der Biersorten, welche Aromasubstanzen den Geschmack maßgeblich bestimmten. Und so zeigten sie, dass sich die beiden Biertrinker-Typen anhand ihrer Vorliebe für zwei Stoffe unterscheiden lassen: Die Lieblingssorten der Gruppe, die starke Aromen im Bier bevorzugte, enthielten hohe Mengen des Aromastoffs Furaneol. Die andere Gruppe hatte offenbar eine Vorliebe für Ethyl-3-mercaptopropionat.
Immerhin sind beide Stoffe wohlbekannt. Furaneol ist eine wichtige Komponente des fruchtigen Aromas von Erdbeeren und trägt daher den Beinamen »Erdbeer-Furanon«. Es wird auch künstlich hergestellt und ist ein wichtiger Aromastoff in der Lebensmittelindustrie. Ethyl-3-mercaptopropionat duftet ebenfalls fruchtig, allerdings eher nach Trauben und Rhabarber. Die Duftnoten beider Moleküle nimmt man schon in sehr kleinen Konzentrationen wahr. Allerdings verändert sich das empfundene Aroma mit der Dosis: Hochkonzentriert soll Furaneol eher ein aufdringliches Karamell- und Röstaroma verbreiten, Ethyl-3-mercaptopropionat wird dann schon mal als »Stinktiergeruch« beschrieben.
Ob sich anhand dieser Erkenntnisse ganz neue Möglichkeiten ergeben, sein eigenes Lieblingsbier zu finden? Angesichts der Vielfalt an Bieren ist es wahrscheinlich, dass für jeden Typ Biertrinker etwas dabei ist. Immerhin gibt es allein in Deutschland mehr als 1000 Sorten, und es kommen ständig welche hinzu.
Nur ein Tipp zum Schluss: Trinken Sie Ihr Bier gern aus dem Fass oder aus der Flasche, aber bitte nicht aus der Dose. Objektiv besteht zwar kein Unterschied, doch den meisten Menschen schmeckt es aus der Dose schlechter. Der Effekt ist allerdings rein psychologisch, wie eine Forschungsgruppe 2016 mit einem Experiment auf dem Edinburgh Science Festival herausfand. Vielleicht sollten Sie es dann ja doch einmal ausprobieren?
Transparenzhinweis: In der ersten Version dieses Textes hieß es, das Molekül 2,3-Butandion, auch Diacetyl genannt, sei für den Lichtgeschmack von Bier verantwortlich. Wie mir mehrere Leser vom Fach schrieben, stimmt das nicht. Den Lichtgeschmack verursacht 3-Methyl-2-buten-1-thiol. Darüber hinaus wurde ein wichtiger Unterschied zwischen Fass- und Flaschenbier im Text nicht beleuchtet: der Sauerstoffgehalt, der in der Flasche höher ist und Oxidationsreaktionen begünstigt. Der Text wurde entsprechend korrigiert und ergänzt. Ich bedanke mich bei den Lesern für die wertvollen und sachlichen Hinweise sowie die zur Verfügung gestellten Quellen!
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