Direkt zum Inhalt

Eine Prise Chemie: Hochverarbeitet, hochumstritten, hochgefährlich?

Vor hochverarbeiteten Lebensmitteln wird immer wieder gewarnt. Dabei werden pauschal unterschiedliche Speisen in einen Topf geworfen. Der wissenschaftlichen Betrachtung hilft das nicht.
Eine Gruppe von Menschen teilt eine Mahlzeit auf einem Tisch. In der Mitte befindet sich eine Pizza mit Tomatenscheiben, umgeben von Pommes frites in Papiertüten, Zwiebelringen und einigen Gläsern Cola. Eine Person hält einen Zwiebelring, während eine andere ein Stück Pizza nimmt. Die Szene ist von Sonnenlicht durch Schatten von Blättern beleuchtet.
Wenn diese Speisen ungesund sind: Liegt das dann daran, dass sie hochverarbeitet sind, oder an den Inhaltsstoffen?

Unser Essen steckt voller chemischer Details: Leckere, wohltuende und auch schädliche Inhaltsstoffe kommen zusammen und vollführen faszinierende Reaktionen. In der Kolumne »Eine Prise Chemie« klären wir, wie viele Bananen ein zuckerfreier Kuchen verträgt, warum abgestandener Kaffee so übel schmeckt oder wie man bäckt, ohne Acrylamid herzustellen.

Als Fan von so ziemlich jeder Art von Essen hat mich diese Nachricht kalt erwischt: Bestimmte Moleküle im Blut oder Urin können anzeigen, ob eine Person viele hochverarbeitete Lebensmittel isst, hieß es Ende Mai. Wie bitte?

Überraschend fand ich das zum einen, weil unter dem Begriff »hochverarbeitet« derart unterschiedliche Produkte zusammengefasst werden, dass es mir ganz und gar unmöglich schien, einen gemeinsamen Nenner dafür zu finden. Chips und Fertigpizza, Würstchen und Sojaschnitzel, Fruchtjoghurts, Softdrinks, Frühstückszerealien oder abgepacktes Brot: Das alles kann man unter den Begriff fassen. Kann, wohlgemerkt, denn – und das ist der zweite Grund, weshalb ich überrascht war: Dafür, was als hochverarbeitetes Lebensmittel zählt, gibt es keine einheitliche Definition. Es gibt lediglich eine Hand voll Vorschläge für die Einteilung. Und über die streiten sich Fachleute verschiedener Disziplinen ziemlich intensiv.

Man könnte das leicht als akademisches Problem abtun – sollen die Fachleute alles gern so einteilen, wie sie es für richtig halten. Wenn nicht bei alldem die Botschaft mitschwänge: Hochverarbeitet ist gleich höchst ungesund. Aber stimmt das? Und wenn ja: Woran liegt das?

Um es gleich vorwegzunehmen: So einfach sind die Fragen nicht zu beantworten. Es gibt Indizien und einige gesicherte Fakten, dazwischen Mutmaßungen und Überzeugungen. Versuchen wir, uns durchzunavigieren.

Es gibt mindestens fünf verschiedene Systeme, die Lebensmittel ihrem Verarbeitungsgrad nach einteilen. Eine Forschungsgruppe von der Universität Porto hat im Jahr 2022 untersucht, ob sie miteinander vergleichbar sind, und kategorisierte dazu 556 Produkte. Je nach verwendetem System landeten zwischen gut zehn und mehr als 47 Prozent der untersuchten Lebensmittel in der Kategorie »hochverarbeitet«. Ob ein Lebensmittel hochverarbeitet ist, kommt also schon einmal stark auf die Sichtweise an.

Das NOVA-System

Doch lassen wir uns von den unterschiedlichen Systemen nicht entmutigen. Eine der am häufigsten verwendeten Skalen ist die NOVA-Klassifikation, die eine brasilianische Forschungsgruppe um Carlos Augusto Monteiro im Jahr 2010 vorgeschlagen hat. Sie kennt vier Kategorien von »nicht oder gering verarbeitet (I)« über »verarbeitete haushaltsübliche Zutaten (II)« und »verarbeitete Lebensmittel (III)« bis zu »hochverarbeitete Lebensmittel (IV)«. Manches lässt sich leicht einordnen: Ein Apfel oder eine Banane landen logischerweise in Kategorie I (nicht verarbeitet). Eine Fertigpizza würden die meisten wohl als hochverarbeitet einstufen (Kategorie IV). So weit, so intuitiv. Doch darüber hinaus wird es komplizierter.

Tiefkühlbohnen zählen als gering verarbeitet, da sie nur tiefgefroren und dann direkt verpackt und verkauft werden. Ebenso frisches Fleisch und Fisch, aber auch Naturjoghurt – obwohl man hier schon deutlich ins Lebensmittel eingreift, wenn man das mal so sagen darf: Immerhin braucht es von der Milch bis zum fertigen Joghurt einige Verarbeitungsschritte. In Kategorie II fallen Zutaten, die man in der heimischen Küche zum Zubereiten von Speisen benutzt, aber nicht einzeln verzehrt: etwa Zucker, Speiseöle und -fette oder Gewürze. In Kombination mit einem Lebensmittel aus der ersten Kategorie erhält man ein »verarbeitetes Lebensmittel«, also eines der Kategorie III. Dazu zählen auch Konserven wie Sauerkraut aus der Dose oder saure Gurken im Glas.

Sauer eingelegt | Eingemachtes gilt nach der weit verbreiteten NOVA-Klassifikation nicht als hochverarbeitet.

Als hochverarbeitet schließlich gilt alles, dessen Herstellung mehrere industrielle Verarbeitungsschritte benötigt. Diese Speisen enthalten oft »formulierte« Zutaten, für deren Gewinnung ein Lebensmittel erst einmal in seine Bestandteile zerlegt wird: beispielsweise Sojaprotein, Stärke, Aromaextrakte oder Ähnliches. Für die gewünschten Eigenschaften sorgen oft Emulgatoren, Farbstoffe, Aromen, Konservierungsmittel und andere Zusatzstoffe. Zu dieser Kategorie IV gehören Instantgerichte, salzige oder süße Snacks, Fruchtjoghurt, aber auch abgepacktes Brot oder verpackter Käse, die für längere Zeit haltbar gemacht wurden.

Doch selbst mit dieser Erklärung sind nicht alle Fragen beantwortet. Wozu zählen beispielsweise Kaffee und Dosenobst? Salami? Mozzarella? Müsli? Man merkt: Es ist manchmal nicht ganz so einfach zu entscheiden, in welche Schublade ein Lebensmittel gehört. Das Problem haben nicht nur Verbraucherinnen und Verbraucher; auch für Fachleute ist es nicht immer leicht, die richtige Kategorie zu finden.

Die Kategorisierung ist also bestenfalls schwammig. Sie habe «keine naturwissenschaftliche Grundlage«, sagen Kritiker. Arbeitsgruppen wollen trotzdem herausfinden, ob sich hochverarbeitete Lebensmittel in besonderer Weise auf die Gesundheit auswirken. Denn weltweit steht ein wachsender Anteil industriell verarbeiteter Nahrung auf dem Speiseplan der Menschen. Immer wieder zeigen solche Studien einen Zusammenhang: Wer viel hochverarbeitete Nahrung zu sich nimmt, hat ein höheres Risiko für bestimmte Erkrankungen, etwa Diabetes Typ II oder Herz-Kreislauf-Krankheiten. Was die Arbeiten aber bislang nicht geklärt haben, ist, warum das so ist. Und Kritiker zweifeln die Aussagekraft solcher Untersuchungen regelmäßig an.

Der Unterschied zwischen Apfel und Apfelmus

Es ist plausibel, dass der Grad der Verarbeitung beeinflusst, wie ein Lebensmittel aufgenommen wird. Schauen wir uns beispielsweise einen Apfel an: Er enthält unter anderem Vitamine und andere Mikronährstoffe, Ballaststoffe, Zucker und pflanzliche Antioxidanzien. Um an all diese Stoffe zu kommen, muss der Körper erst einmal arbeiten: Wir müssen den Apfel kauen und brechen dadurch Zellwände auf, während Enzyme im Speichel chemische Bausteine aufschließen, so dass wir unseren Snack anschließend besser verdauen können. Entsprechend dauert es eine Weile, den Apfel zu verspeisen – und anschließend ist man ein gutes Stück satter als zuvor.

Wenn der Apfel vorher zu Apfelmus verarbeitet wurde, muss man die meisten dieser Schritte nicht mehr selbst leisten. Es muss eigentlich nur noch das Mus hinuntergeschluckt werden. Außerdem ist der Zucker bereits frei zugänglich und schießt schneller ins Blut. So richtig satt macht das Mus aus einem einzigen Apfel auch nicht.

Was beim Apfelmus der Fall ist, kritisieren Ernährungsforscher auch an hochverarbeiteter Nahrung: Viele Produkte sind weich und entsprechend ultraleicht zu essen. Dadurch vertilgen wir mehr davon, als wir sollten.

Problematische Inhaltsstoffe

Das ist aber vor allem aus einem anderen Grund ein Problem: Viele Fertigprodukte enthalten große Mengen an Zucker, Salz und Fett, dagegen wenig Ballaststoffe. Das Problem sei nicht die Verarbeitung, sagen diejenigen, die die Klassifikation kritisieren, sondern die ungesunden Inhaltsstoffe. Zudem verleiten zugesetzte Geschmacksstoffe wie Zucker, Salz und Glutamat dazu, mehr von den ungesunden Snacks zu essen.

Versuchung | Wer könnte da widerstehen? Dass diese hochverarbeiteten Lebensmittel ungesund sind, weiß man eigentlich. Denn sie enthalten viel Zucker, Salz und Fett.

Wenn Wissenschaftler für ihre Studien die Lebensmittel rein nach Verarbeitungsgrad einteilen und die Inhaltsstoffe nicht berücksichtigen, ergibt sich leicht ein unpassendes Bild. Denn dann landen Produkte mit eher gesunden Bestandteilen unter Umständen gemeinsam mit ungesunden Softdrinks und süßen Snacks in Kategorie IV: so etwa das erwähnte abgepackte Brot, aber auch Säuglingsnahrung, eines der am strengsten reglementierten und kontrollierten Lebensmittel hier zu Lande überhaupt.

Kritiker der NOVA-Klassifikation fordern daher, die Lebensmittel nach Inhaltsstoffen und Nährwerten zu unterscheiden, nicht nach dem Grad der Verarbeitung. Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) schreibt in ihrem Ernährungsbericht von November 2024: »Letztlich müssen die Verarbeitungsschritte und die Rezepturen der Lebensmittel mit ihrer exakten Inhaltsstoffzusammensetzung bekannt sein, um eine möglichst präzise Einteilung zu erlauben.«

Differenziertere Betrachtung in der SIGA-Klassifikation

Vielleicht kann das in einem gewissen Maß die SIGA-Klassifikation leisten, welche die NOVA-Skala mit der Nährstoffzusammensetzung kombiniert. Neben dem Einfluss der Verarbeitung berücksichtigt sie, wie viel Zucker, Fett und Salz zugesetzt sind, und ermittelt so, ob ein Lebensmittel ernährungsphysiologisch ausgewogen ist oder nicht. Außerdem zieht sie bestimmte Marker heran, die ausschließlich in industriellen Verarbeitungsverfahren zum Einsatz kommen, wie synthetisch hergestellte Stoffe, auch wenn diese naturidentisch sind, oder stark veränderte Lebensmittelinhaltsstoffe. Zuletzt gibt sie an, ob potenziell gesundheitsgefährdende Zusatzstoffe enthalten sind, etwa Nitrit, Nitrat oder Phosphate. So ergeben sich insgesamt zehn Kategorien – eine kompliziertere, aber möglicherweise aussagekräftigere Einteilung.

Doch wenn die Einteilung generell so willkürlich ist, weshalb lässt sich eine Ernährungsweise, die reich an hochverarbeiteten Lebensmitteln ist, nun im Blut und Urin nachweisen?

Drei Marker für hochverarbeitete Nahrung

Mal wieder ist es nicht so einfach, wie es klingt. Für ihre Studie hat eine Forschungsgruppe von den National Institutes of Health in den USA 718 Probandinnen und Probanden untersucht. In regelmäßigen Abständen erfasste sie genau, was die Personen aßen und tranken, und ermittelten durch maschinelles Lernen, zu wie viel Prozent sie sich jeweils von hochverarbeiteten Lebensmitteln ernährten (auf Grundlage der NOVA-Klassifikation). Zudem nahm das Forscherteam in regelmäßigen Abständen Proben von Blut und Urin und untersuchte sie auf rund 1000 Stoffwechselprodukte. Die Konzentrationen einiger dieser Substanzen gaben Hinweise darauf, ob sich eine Person viel Hochverarbeitetes einverleibte. Die Gehalte von drei Stoffen waren besonders aussagekräftig: S-Methylcysteinsulfoxid, N6-Carboxymethyllysin und Levoglucosan.

Marker für Hochverarbeitetes | Die Gehalte von drei Substanzen können laut einer aktuellen Studie auf den Verzehr hochverarbeiteter Lebensmittel hinweisen. Levoglucosan (links) entsteht aus Resten von Verpackungen. N6-Carboxymethyllysin weist auf einen hohen Kohlenhydratverzehr hin. S-Methylcysteinsulfoxid (rechts) entsteht beim Verzehr von Kohlgemüse und ist im Blut von Personen, die viel Hochverarbeitetes essen, auffallend wenig vorhanden.

S-Methylcysteinsulfoxid ist ein Stoffwechselprodukt einer Aminosäure und weist darauf hin, dass eine Person viel Gemüse aus der Familie der Kreuzblütler (Cruciferae) zu sich nimmt. Dazu zählen etwa Kohlgemüse, Radieschen oder Kresse. Wer besonders viel hochverarbeitete Nahrung aß, hatte auffallend wenig davon im Blut. Dafür fand sich bei diesen Personen vermehrt N6-Carboxymethyllysin, ein Reaktionsprodukt von Zuckern mit Proteinen, Fetten oder Nukleinsäuren. Es wird mit einem erhöhten Diabetesrisiko und Herz-Kreislauf-Krankheiten in Verbindung gebracht. Drittens wiesen die Studienautoren im Urin der Probanden, die viel Hochverarbeitetes aßen, vermehrt Levoglucosan nach. Der Stoff entsteht nicht im Körper, sondern wird mit der Nahrung aufgenommen und wieder ausgeschieden. Den Autoren zufolge ist er ein Hinweis auf bestimmte Verpackungsmaterialien auf Zellulosebasis.

Anhand dieser Marker konnten die Forscher erkennen, ob eine Person viel oder wenig Hochverarbeitetes konsumierte. Das zeigten Versuche mit 40 weiteren Testpersonen, die jeweils zwei Wochen lang entweder gar keine hochverarbeiteten Lebensmittel aßen oder ihren Tagesbedarf zu vier Fünfteln damit deckten.

Es fand sich also nicht, wie man anfangs hätte denken können, eine geheimnisvolle Substanz, die auf hochverarbeitete Speisen hinweist. Stattdessen liefert die Studie eine Kombination von Hinweisen auf eine ungesunde Ernährungsweise: viele Kohlenhydrate, wenig Gemüse, dazu Verpackungsmaterial, das Spuren hinterlässt.

Grundlage für weitere Forschung

Die Arbeit liefert demnach auch keine Aussage dazu, ob ein hoher Verarbeitungsgrad an sich problematisch ist. Aber sie könnte Untersuchungen künftig systematischer machen. Bisher müssen die Studienautoren darauf vertrauen, dass ihre Probandinnen und Probanden zuverlässig angeben, was sie essen. In Zukunft ließe sich die Ernährungsweise zusätzlich durch solche Marker objektiver überprüfen.

Insgesamt ist es also so: Die große Frage, ob hochverarbeitete Lebensmittel ungesund sind – und wenn ja, welche das sind und warum –, ist nicht so leicht zu beantworten. Es ist zwar nachvollziehbar, dass eine hoher Verarbeitungsgrad zu einem ungesünderen Essverhalten und mehr Konsum führt. Aber das macht das Essen nicht per se schlechter. Vielmehr sind es die Mengen und Arten an enthaltenen Stoffen, die gesundheitliche Folgen für den Körper haben. Es lohnt sich also, zu hinterfragen und genauer hinzuschauen, denn auch hochverarbeitete Lebensmittel wie beispielsweise Babybrei oder Fleischersatzprodukte können nährstoffreich sein. Systematische Analysen wie die der US-Forschungsgruppe könnten uns der Antwort auf die Frage, welche Lebensmittel krank machen und weshalb, ein Stück näher bringen. Und vielleicht einer Einteilung, die beim Einkaufen wirklich hilfreich ist.

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

  • Quellen

Abar, L. et al., PLOS Medicine 10.1371/journal.pmed.1004560, 2025

Lane, M. M. et al., British Medical Journal 10.1136/bmj-2023–077310, 2024

Monteiro, C. A. et al., Scielo Brazil 10.1590/S0102–311X2010001100005, 2010

Srour, B. et al., The Lancet Gastroenterology & Hepatology 10.1016/S2468–1253(22)00169–8, 2022

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.