Eine Prise Chemie: Warum wir Glühwein mehr lieben sollten

Glühwein ist ein kulinarisch unterschätztes Getränk. Zwar stellen sich viele Menschen bereitwillig in eine lange Schlange, sobald im November die ersten Glühweinstände öffnen. Doch sich als Fan zu bekennen, vielleicht sogar gegenüber passionierten Weinkennern, das macht dann doch fast niemand. Dem Glühwein haftet irgendwie etwas Minderwertiges, fast Frevlerisches an.
Das ist schade. Denn im Glühwein treffen höchst vielschichtige Geschmacksnuancen aufeinander. Sofern sie richtig kombiniert und gut austariert sind, können sie echten Genuss bereiten.
Was in den Glühwein kommt, ist nicht willkürlich. Es ist sogar im EU-Lebensmittelrecht niedergeschrieben, was als Glühwein verkauft werden darf und was nicht. Naheliegend ist, dass das Getränk aus echtem Wein hergestellt sein muss. Als Hauptgewürze sind Zimt und Gewürznelken festgelegt. Andere Aromen dürfen ebenfalls hinein, sofern sie in der EU zugelassen sind und den Zimt- und Nelkenduft nicht übertünchen. Es ist erlaubt, den Wein zu süßen, und der Alkoholgehalt muss sich wie bei einem normalen Wein zwischen 7 und 14,5 Prozent bewegen. Zwei Dinge sind streng verboten: das Getränk mit weiterem Alkohol (oder alkoholischen Getränken) zu versetzen oder aber mit Wasser zu strecken. So weiß man am Weihnachtsmarktstand zumindest ganz grob, worauf man sich einlässt.
Das Charakteristische am Glühwein sind natürlich die Aromen, die wir mit Weihnachten assoziieren und die sich mit den fruchtigen und alkoholischen Noten aus dem Wein verbinden.
Das typische Zimtaroma stammt von Zimtaldehyd. Das ist einer der Hauptbestandteile des ätherischen Öls in der inneren Rinde des Zimtbaums. Diese innere Rinde ist das, was wir getrocknet als Zimtstangen kaufen können.
Selbstverständlich ist das Zimtaroma komplexer und besteht nicht nur aus einem einzigen Molekül. Trotzdem ruft schon Zimtaldehyd allein die unverkennbare »zimtige« Note hervor. In der Lebensmittelchemie bezeichnet man solche Stoffe als Schlüsselaromen. Die gleiche Rolle wie Zimtaldehyd im Zimt übernimmt etwa Vanillin in der Vanille: Zwar tragen schätzungsweise 26 flüchtige Substanzen zum gesamten Vanillearoma bei, aber schon bloßes Vanillin assoziieren wir eindeutig mit Vanille.
Für die chemische Zusammensetzung und damit das Aroma-Feintuning macht es einen Unterschied, welche Sorte Zimt man verwendet. Im Deutschen ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich, dass es hier Unterschiede gibt, denn Zimt ist zunächst einfach Zimt; im Englischen hingegen unterscheidet man entsprechend der botanischen Herkunft zwischen »cinnamon« (Ceylon-Zimt) und »cassia« (Cassia-Zimt).
Cassia und Zimt sind unterschiedliche Gewürze
Zimtstangen aus Cassia-Zimt bestehen meist aus einer einzigen, dicken Lage. Streng genommen handelt es sich bei Cassia-Zimt um einen Überbegriff für drei verschiedene Arten: indonesisches Cassia (Cinnamomum burmannii), chinesisches Cassia (Cinnamomum cassia, auch Cinnamomum aromaticum genannt) sowie vietnamesisches Cassia (Cinnamomum loureiroi). Cassia-Zimt hat einen sehr hohen Anteil an Zimtaldehyd und beherbergt weniger andere Aromen, weshalb der klassische Zimtgeschmack hier dominiert.
Ceylon-Zimt hingegen (»cinnamon« oder der »echte« Zimt) stammt von der Pflanze Cinnamomum verum. Die Pflanze wird hauptsächlich in Sri Lanka, Madagaskar und auf den Seychellen angebaut. Die daraus gewonnenen Zimtstangen bestehen aus mehreren dünnen, ineinander eingerollten Blättern und sehen ein bisschen aus wie Zigarren. Neben Zimtaldehyd als Hauptbestandteil enthält das Öl des Ceylon-Zimts noch weitere flüchtige Stoffe in substanziellen Mengen, etwa blumige Noten oder Nelkenduft, weshalb sein Aroma oft als ausgewogener und vielseitiger beschrieben wird.
Cumarin in Zimt
Aus Zimtsäure entsteht ebenso Cumarin, ein Stoff, der aromatisch riecht, jedoch in den 2000er-Jahren für seine gesundheitsschädliche Wirkung bekannt wurde. Cumarin kann, wenn man es regelmäßig und über lange Zeit in hohen Mengen zu sich nimmt, die Leber schädigen und ist in Cassia-Zimt enthalten. Wer regelmäßig mit viel Zimt würzt, sollte daher darauf achten, Ceylon-Zimt zu verwenden. Ein maßvoller Verzehr von Zimtsternen und anderen mit Zimt gewürzten Weihnachtsleckereien ist aber kein Grund zur Sorge.
Getrocknete Nelken sorgen im Glühwein vor allem durch das Molekül Eugenol für den würzigen »Nelkengeruch«. Auch Eugenol ist ein Schlüsselaroma. Es ist zudem in Piment enthalten, einem weiteren Gewürz, das zu Jahresende gern eingesetzt wird, etwa in Spekulatius oder Printen.
Schlüsselaromen für Nelken, Piment, Anis und Vanille
Das Spannende an Eugenol und Zimtaldehyd ist nicht nur ihr Zusammenspiel auf dem Weihnachtsmarkt. Schaut man sich die Moleküle genauer an, dann sieht man schnell, dass sie sich in ihrer Struktur ähneln. Beide gehören nämlich zur Klasse der Phenylpropanoide; das sind Stoffe, die an einem flachen Kohlenstoff-Sechsring eine Kette von drei Kohlenstoffatomen tragen. Diese Gemeinsamkeit kommt nicht von ungefähr, denn die Moleküle entstehen auf demselben Stoffwechselweg: Pflanzen stellen aus der Aminosäure Phenylalanin zunächst Zimtsäure her, und daraus entstehen verschiedenste bioaktive Stoffe. Neben Eugenol und Zimtaldehyd sind das weitere Aromen wie Anethol, das wir aus Anis kennen, Myristicin, was das typische Muskataroma verbreitet, das berühmte Vanillin und weitere flüchtige Stoffe. Zimtsäure ist damit so etwas wie der Rohling in der Weihnachtsduft-Fabrik, der je nach Anwendungszweck in die eine oder andere Form gegossen wird. Ist das nicht faszinierend?
Erhitzt man den Glühwein nun, steigen die weihnachtlichen Aromen zusammen mit flüchtigen Stoffen aus dem Wein in die Luft und verbreiten den typischen Glühweinduft. Verschiedenste Noten verbinden sich im besten Fall zu einem ausgewogenen Ganzen – fruchtige, blumige Eindrücke, bei manchen Weinen Noten von Vanille oder Lakritz, erdige Töne und viele weitere. Nun besticht ein Getränk aber nicht allein durch seine Aromen, die wir über Nase und Rachen aufnehmen. Für den Gesamteindruck – das, was wir als Geschmack bezeichnen – spielen auch nichtflüchtige Stoffe eine große Rolle, da sie für die Geschmackswahrnehmung auf der Zunge und das Mundgefühl verantwortlich sind.
In den Glühwein gehört Zucker
Damit der Gesamteindruck stimmt, fehlt dem durchschnittlichen Glühwein noch eine wichtige Komponente: Süße. Während für das nachträgliche Süßen bei Wein strenge Vorgaben gelten, ist man beim Glühwein ziemlich frei, und so wird Glühwein entweder mit haushaltsüblichem Zucker, Honig oder anderen Lebensmitteln gesüßt, die Zucker enthalten.
Wenn der Glühwein dann trotzdem nicht schmeckt, kann das verschiedene Gründe haben. Vielleicht wurde einfach ein schlechter Wein verwendet. Vielleicht stimmt das Verhältnis der Gewürze nicht. Möglicherweise wurde der Wein aber auch zu lange oder zu stark erhitzt: Bei Temperaturen über 70 Grad Celsius verabschieden sich die flüchtigen Aromen und ein Teil des Alkohols, was das Aroma des Getränks verändert. Sind die Weihnachtsaromen gar nicht als solche erkennbar und schmeckt das Getränk seltsam verbrannt, entsteht außerdem der »Kochton«, ein Aromafehler, der sich chemisch-analytisch durch einen erhöhten Gehalt an Hydroxymethylfurfural nachweisen lässt. Diese Substanz bildet sich durch Karamellisierung, wenn man zuckerhaltige Lösungen über längere Zeit erhitzt.
Dass der Glühwein einen schlechten Ruf hat, mag also teils an der unsauberen Behandlung liegen. Oder daran, dass es eben nicht nur einen billigen Wein, eine Handvoll Gewürze und eine Herdplatte braucht, um einen guten Glühwein herzustellen, sondern ein Händchen für die richtigen Zutaten, Fingerspitzengefühl und das Wissen über die Chemie, die dahintersteckt.
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