Eine Prise Chemie: Wie funktioniert Cold-Brew-Kaffee?

Unser Essen steckt voller chemischer Details: Leckere, wohltuende und auch schädliche Inhaltsstoffe kommen zusammen und vollführen faszinierende Reaktionen. In der Kolumne »Eine Prise Chemie« klären wir, wie viele Bananen ein zuckerfreier Kuchen verträgt, warum abgestandener Kaffee so übel schmeckt oder wie man bäckt, ohne Acrylamid herzustellen.
Als ich das erste Mal einen kalten Kaffee bestellte, erwartete ich nicht viel. Der »Cold Brew« war meine Notlösung, um den süßlichen Sommerdrinks zu entgehen, die den Rest der Getränkekarte ausmachten. Außerdem war ich neugierig auf das Mode-Getränk, dem manch einer gesundheitsfördernde Wirkungen nachsagt. Ich wurde positiv überrascht: Das braune Gebräu mit den Eiswürfeln sah zwar aus wie ein Eiskaffee, bei dem der Kellner das Vanilleeis vergessen hat. Es schmeckte aber erstaunlich erfrischend, fruchtig und leicht süßlich – gar nicht so bitter wie befürchtet.
Seit einigen Jahren wird Cold Brew immer beliebter. Er taucht in immer mehr Cafés und Fast-Food-Ketten auf der Getränkekarte auf und ist im Supermarkt sogar als Fertiggetränk zu haben. Es gibt verschiedene Zubereitungstechniken, doch das Prinzip ist stets dasselbe: Man kippt gemahlene Kaffeebohnen und kaltes Wasser zusammen, vermischt alles und lässt das Ganze bei Zimmertemperatur oder im Kühlschrank stehen. Nach einigen Stunden – je nach Rezept können es bis zu 24 sein – wird der Kaffeesatz abfiltriert. Jetzt kann man das Getränk direkt genießen oder je nach Geschmack mit Wasser verdünnen.
Ich fragte mich damals, ob der Kaffee anders geschmeckt hätte, wenn man ihn vorher wie beim klassischen Eiskaffee erst heiß aufgebrüht und dann abgekühlt hätte. Einige Unternehmen behaupten, Cold Brew sei gesünder und verträglicher als Filterkaffee. Aber macht die Zubereitungstemperatur wirklich so einen großen Unterschied? Oder liegt es hauptsächlich an der Auswahl und Röstung der Bohnen?
Die Fragen sind gar nicht so einfach zu beantworten. Einige Studien haben sich in den letzten Jahren mit dem Geschmack und Aroma von Cold Brew befasst. Für solche Tests kann man beispielsweise zufällig ausgewählte Probandinnen und Probanden verschiedene Kaffees probieren lassen, wobei sie die Getränke auf einer Skala bewerten (vielleicht auch ein gutes Experiment für daheim). So testeten Fachleute aus Karlsruhe 2021 als Teil einer größeren Studie, ob konventioneller Eiskaffee und Cold Brew verschieden schmecken. Und tatsächlich – die Mehrheit der Testpersonen konnte die Getränke unterscheiden. Falls Sie bei der nächsten Verkostung Ihre Fachkenntnis unter Beweis stellen wollen: Ein Cold Brew schmeckt im Schnitt weniger sauer und weniger bitter.
Analysiert man die chemische Zusammensetzung der beiden Getränke, zeigt sich: Man findet in beiden Varianten die gleichen Inhaltsstoffe, sie unterscheiden sich allerdings in ihren Konzentrationen. Cold Brews tragen bestimmte Aromen in deutlich größeren Mengen in sich als heiß aufgebrühter Kaffee. Eine Tasse Kaffee enthält Hunderte flüchtiger Aromastoffe, die bestimmen, was wir beim Trinken »schmecken«. Chemisch ähnliche Moleküle rufen dabei in der Regel ähnliche Sinneseindrücke hervor. Die flüchtigen Kaffee-Aromastoffe entstehen beim Rösten der Bohnen und wandern beim Extrahieren ins Getränk; aus der Tasse dampfen sie entweder heraus, so dass wir sie riechen, oder bleiben gelöst und machen sich beim Trinken im Nasen-Rachen-Raum als Vanillenoten, Röstaromen, nussige, schokoladige und viele weitere Eindrücke bemerkbar.
Mehr fruchtige, nussige und schokoladige Aromen
Durch die geringere Temperatur dampfen die flüchtigen Stoffe bei der kalten Extraktion weniger rasch ab. 2023 untersuchten Fachleute von der Universität Schanghai, welche Aromastoffe in den kalt zubereiteten Drinks in größeren Mengen vorkommen als in den heißen Pendants. Sie fanden zum einen bestimmte Furane, die man mit süßlichen Noten von Karamell, Nuss und Malz verbindet. Außerdem maßen die Autoren in den Cold Brews höhere Mengen an Pyridin und bestimmten Pyrazinen – Substanzen, die zu einem nussigen Aroma beitragen. Für schokoladige, nussige, aber auch meerrettichähnliche Noten sorgt vermutlich der hohe Gehalt an 1-Furfurylpyrrol. Darüber hinaus enthielten die untersuchten Cold Brews mehr flüchtige Aldehyde und Ketone, etwa 2,3-Pentandion, das einen buttrig-sahnigen Eindruck hervorruft. Hinzu kommen höhere Konzentrationen von Alkoholen wie Linalool oder Geraniol, die für ihre blumigen, fruchtigen Aromen bekannt sind.
Solche fruchtigen, schokoladigen Beschreibungen kennt man von heißem Kaffee, der aus hell gerösteten Bohnen zubereitet wurde. Studien fanden einen interessanten Zusammenhang: Je heller die Röstung, desto deutlicher treten die Unterschiede zwischen heiß und kalt zubereitetem Kaffee zu Tage. Wäre man nicht Chemiker, sondern Barista, könnte man also sagen: Ein Cold Brew bringt die Vorzüge einer hellen Röstung stärker zur Geltung.
Bevor es nun aber zu werblich wird: Während dieses Geschmacksversprechen zumindest durch die Wissenschaft gedeckt ist, trifft das auf andere Verheißungen des Mode-Getränks weniger zu. Sobald man sich länger als fünf Minuten mit dem Thema beschäftigt, findet man sich in der Hölle der Gesundheitsversprechen wieder: In einem Cold Brew fänden sich viele Antioxidanzien, welche die Herz-Kreislauf-Gesundheit förderten. Außerdem schone das Getränk den Magen, weil es weniger sauer sei als heiß aufgebrühter Kaffee. Cold Brew sei gesünder, weil es weniger Koffein enthalte als Filterkaffee – ach, Moment, das Gegenteil soll der Fall sein! Es sei koffeinreicher und fördere deshalb die Konzentration besonders gut. Angesichts dieser Fülle an Verheißungen fällt es schwer, auch nur eine davon zu glauben.
Antioxidanzien enthält das Getränk zwar in hohen Mengen, vor allem Chlorogensäure und verwandte Verbindungen. Das trifft aber auch auf »normalen« Kaffee zu. Vergleichende Studien ergeben sogar übereinstimmend, dass Cold Brew insgesamt weniger antioxidativ wirkende Stoffe enthält als sein heiß gebrühtes Gegenstück. Hier also ein eindeutiger Minuspunkt für das Kaltgetränk.
Zweischneidiger ist da schon die Frage nach der Säure. Eine Säure ist chemisch gesehen ein Molekül, das ein oder mehrere Protonen (H+) an ein anderes Molekül abgibt. Im Fall von Kaffee, der hauptsächlich aus Wasser besteht, nimmt ein Wassermolekül das abgegebene H+ auf, so dass aus H2O das Ion H3O+ entsteht. Diese Teilchen registrieren wir mit unserer Zunge als sauer. Misst man, wie viele solcher protonierten Wasserteilchen in einer Lösung »frei« herumschwimmen, erhält man den pH-Wert, ein Maß für die Säure einer Lösung. Bei kalt und heiß aufgebrühtem Kaffee ist der gemessene pH-Wert vergleichbar. Hier steht es also unentschieden.
Aber kalt und heiß gebrühter Kaffee aus derselben Bohne unterscheiden sich in der »titrierbaren Säure«. Dieser Wert erfasst alle Säuren im Getränk, auch diejenigen, die ihr saures Wasserstoffion noch bei sich tragen und bei einer pH-Messung daher nicht erfasst werden. Der so ermittelte Gesamtsäuregehalt ist in Cold Brew tendenziell niedriger. Das Attribut »weniger sauer« trifft also bedingt zu.
Mehr oder weniger Koffein? Eine knifflige Frage
Am kontroversesten ist wohl die Frage, ob ein Glas Cold Brew mehr oder weniger Koffein in den Körper spült als eine Tasse gewöhnlich gebrühten Kaffees. Zunächst scheint die Sache einfach: Koffein löst sich in heißem Wasser besser als in kaltem. Bei 20 Grad Celsius lösen sich gerade einmal 1,5 Milligramm des Wachmachers in einem Milliliter Wasser, bei 80 Grad bereits 180 Milligramm und bei 100 Grad ganze 670 Milligramm. Es kommt aber nicht nur auf die Löslichkeit an, sondern auch darauf, wie viel Koffein beim Extrahieren aus der gerösteten und gemahlenen Bohne in der Tasse landet. Hier gleicht die lange Dauer beim Cold Brew die geringe Effizienz aus: Nach sieben Stunden kalter Extraktion bei 20 Grad Celsius enthält ein Getränk ungefähr so viel Koffein wie Kaffee, den man nach sechs Minuten Aufguss mit 100 Grad heißem Wasser erhält, ermittelte eine Autorengruppe um Guila Angeloni von der Universität Florenz 2018. Verglichen mit einem Kaffee aus der French Press mit 93 Grad Celsius heißem Wasser in einer polnischen Studie von 2021 enthielten die kalt zubereiteten Kaffees sogar mehr Koffein. Im Großen und Ganzen ist der Koffeingehalt bei Filterkaffee und Cold Brew aber vergleichbar.
Was gesundheitliche Aspekte angeht, gibt es also keine klare Empfehlung, ob heißer Kaffee oder Cold Brew besser ist. Mit einer Ausnahme: Die kalte Variante ist anfälliger gegenüber Mikroben. Weil das Aufgießen mit heißem Wasser wegfällt, fehlt dem Prozess der »kill step«, der potenziell vorhandene Bakterien, Hefen oder Schimmelpilze abtötet. Bewahrt man den Kaffee länger auf – bei Cold Brews werden schon mal Lagerzeiten von mehreren Tagen angegeben –, können sie sich ungehindert vermehren. Fertig abgepackte Cold Brews im Supermarkt sind deshalb pasteurisiert. Die Lösung für zu Hause ist einfach: den Kaffee am besten innerhalb kurzer Zeit genießen. Und wenn man doch mal etwas Warmes will, kann man ihn einfach mit heißem Wasser verlängern und heiß trinken.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.