Eine Prise Chemie: Wie Käsealternativen käsiger werden

Unser Essen steckt voller chemischer Details: Leckere, wohltuende und auch schädliche Inhaltsstoffe kommen zusammen und vollführen faszinierende Reaktionen. In der Kolumne »Eine Prise Chemie« klären wir, wie viele Bananen ein zuckerfreier Kuchen verträgt, warum abgestandener Kaffee so übel schmeckt oder wie man bäckt, ohne Acrylamid herzustellen.
Über drei Dinge kann man sich wunderbar streiten: über Geschmack, über vegane Ersatzprodukte – und über den Geschmack veganer Ersatzprodukte. Heute soll es deswegen um die Frage gehen, wie man den Geschmack eines echten Stücks Käse möglichst genau nachbildet.
Schaut man sich in einem Supermarkt um, fällt schnell auf, dass es mittlerweile einen reichen Fundus an Käsealternativen gibt: Neben den typischen Nachbildungen von Käseraspeln oder -scheiben findet man immer häufiger täuschend echt anmutenden Weichkäseersatz und veganen Frischkäse in verschiedener Form; gern wie das Original verfeinert mit Kräutern, Pfeffer oder anderen Gewürzen. Die Rezepturen werden raffinierter, die Palette an Zutaten breiter. Zurzeit bestreiten vegane Alternativen weniger als ein Prozent des Käsesortiments im Kühlregal.
Vermutlich liegt das zu einem guten Teil daran, dass die Alternativen geschmacklich nicht wirklich an das Original herankommen – und der Geschmack ist immer noch das wichtigste Kriterium für Menschen, ein Lebensmittel zu kaufen (seien Sie ehrlich!). Zum anderen unterscheiden sich die meisten Käsealternativen substanziell von echtem Käse, was ihre Nährstoffe angeht: Anders als der proteinreiche Käse bestehen sie zum Großteil aus Fett und Stärke. Zwar findet man auf Verpackung manchmal den Hinweis auf Nüsse, Cashews oder Hülsenfrüchte. Doch die sind im Produkt nur zu einem sehr geringen Anteil enthalten, der Proteingehalt der meisten Produkte liegt bei wenigen Prozent.
Käse macht es seinen Nachahmern nicht leicht
Man muss aber zugestehen, dass es Käse seinen Nachahmern nicht leicht macht. Wie viele Käsesorten es auf der Welt gibt, kann man nur schätzen. Das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit schreibt beispielsweise von weltweit 2000 Käsesorten, doch vermutlich sind es noch sehr viel mehr. Jede Sorte bringt ein charakteristisches Geschmacksprofil mit, das sich während seiner Herstellung bildet. Und hier liegt das Geheimnis eines guten Käses: Er reift über Wochen oder Monate unter bestimmten Bedingungen und mit speziellen Zusätzen vor sich hin. Während dieser Zeit machen Mikroorganismen aus dem Ausgangstoff Milch ein haltbares Fermentationsprodukt.
Es kommt auf die Sorte an, welche Mikroben man für die Käseherstellung nutzt. Im ersten Schritt wird aber bei allen Käsesorten die Milch »dickgelegt«. Dazu gibt man in den allermeisten Fällen Milchsäurebakterien und Labenzyme (hauptsächlich die Enzyme Chymosin und Pepsin) hinzu. Milchsäurebakterien setzen Milchzucker zu Milchsäure um, wodurch der pH-Wert sinkt. In Kombination mit den Labenzymen sorgt das dafür, dass die Milch gerinnt und sich Milchproteine als Feststoff ansammeln (man sagt, sie »fallen aus«).
Letzteres funktioniert nur, weil Milch über spezielle Proteine verfügt, Kaseine genannt. Sie enthalten besondere Aminosäurezusammensetzungen und liegen dadurch, anders als »normale« Proteine, nicht als zusammengewickelte Knäuel vor, sondern als lange Schnüre. In der Milch bilden mehrere solcher Proteinschnüre mit Kalzium- und Phosphat-Ionen lösliche Komplexe; durch Zugabe von Lab werden die Komplexe gespalten, und die Proteine fallen aus. Die gallertartige Substanz, die man dadurch erhält, wird zerteilt und anschließend als Käselaib geformt, gepresst und gesalzen. Je nach Sorte können dann unterschiedliche Schimmelpilzkulturen zugesetzt werden. Anschließend lässt man ihn für Wochen oder Monate reifen.
Kombination von Stärke und Fett
Die Herstellung der meisten Käsealternativen steht im starken Gegensatz dazu: Die einfachste Art, etwas herzustellen, das wie Käse aussieht und sich so ähnlich anfühlt, ist vermutlich, Stärke und Speisefett zu vermischen und mit Salz und Käsearomen zu versetzen. Fertig sind die »Goudascheibe« oder der »Pizzakäse«.
Dem Produkt fehlen dann jedoch die wichtigsten Schritte – die, in denen das Geschmacksprofil entsteht. Beim Reifen des Käses sind Bakterien und Schimmelpilze wahre Aromafabriken: Zunächst spalten sie Fette in Fettsäuren und Proteine in kurze Peptide sowie freie Aminosäuren. Während einige Aminosäuren bitter schmecken, tragen kurzkettige Fettsäuren zu einem buttrig-sauren Aroma bei, das bei höherer Konzentration ranzig wirken kann. Fettsäuren und Aminosäuren dienen aber ihrerseits als Ausgangsstoffe für flüchtige Aromakomponenten. Aus langkettigen Fettsäuren entstehen Ester, Lactone oder Alkohole; aus den 20 Aminosäuren wird eine riesige Palette an unterschiedlichsten Aromakomponenten. Von den mehr als 600 bekannten flüchtigen Stoffen, die Fachleute im Käse gefunden haben, sind allerdings nur manche ausschlaggebend für das Käsearoma, denn nicht alle binden an Geruchsrezeptoren.
Glutamat aus Fermentation
Bei der Fermentation entsteht übrigens auch das nach umami schmeckende Glutamat, weil die Mikroben, die Proteinketten im Käse abbauen, einzelne Aminosäuren freisetzen. So enthalten 100 Gramm Parmesan mehr als ein Gramm Glutamat, 100 Gramm Gouda immerhin noch 460 Milligramm und 100 Gramm Camembert um die 400 Milligramm. Dieser Geschmacksverstärker fehlt den Ersatzprodukten, sofern sie nicht selbst aus glutamathaltigen Lebensmitteln wie Nüssen hergestellt werden.
Wenn man aber die wichtigsten Aromen einer Käsesorte so genau kennt, warum nutzt man dieses Wissen nicht und fügt die Moleküle einem Alternativprodukt zu?
Einerseits wäre das angesichts der Käsevielfalt unfassbar kompliziert. Denn welche Aromen sich bilden und in welchem Verhältnis, unterscheidet sich je nach den eingesetzten Bakterien und Schimmelpilzen, aber auch nach der Art und Dauer der Lagerung und natürlich nach den Rohstoffen. So hat jeder Käse sein eigenes Aromaprofil. Lebensmittelchemiker der TU München fanden im Jahr 2016 beispielsweise heraus, dass der typische Parmesangeschmack durch 31 Schlüsselkomponenten zu Stande kommt. Diese Stoffe – darunter Fettsäuren, organische Säuren, Aminosäuren, Amine und Mineralstoffe – führen nach den Ergebnissen der Forscher den unverwechselbaren Geschmack eines Stücks Parmesans herbei. 2021 identifizierte eine andere Gruppe, ebenfalls von der TU München, 16 Schlüsselmoleküle, die zusammen das Aroma von 30 Wochen lang gereiftem Gouda ausmachen.
16 Aromastoffe für authentischen Goudageschmack
Die Gruppe stellte anschließend einen genau definierten »Cocktail« aus diesen Schlüsselkomponenten her und gab sie einer Käsematrix bei, die vorher von ihren Aromastoffen befreit worden war. Das Ergebnis lag geschmacklich sehr nahe am Original. Doch in der Praxis wird vermutlich niemand 16 verschiedene Aromastoffe extra herstellen und einem Produkt zusetzen – das ist schlicht zu teuer.
Warum macht man es nicht grundsätzlich anders und überträgt den ganzen Herstellungsprozess auf vegane Ausgangsstoffe? Man könnte doch ebenso bei veganem Käseersatz einfach die Mikroben die Arbeit machen lassen, oder?
Auf diese Idee sind Forscherinnen und Lebensmittelhersteller auch schon gekommen. Fermentierte Käseersatzprodukte findet man auf dem Markt vorwiegend in Form von Weichkäse-Imitaten: täuschend echt anmutende Camembert-Nachahmungen aus fermentierten Mandeln, Pfeffer-»Käse« aus Cashews oder auch ein mit Holzasche versetztes Cashew-Fermentat, das aussieht wie ein Edelschimmelkäse. Die Produkte brauchen meist nur wenige Wochen bis zur Reife.
Anders als nicht fermentierte Käsealternativen haben diese fermentierten Sorten einen substanziellen Proteinanteil, in der Regel über zehn bis knapp unter 20 Prozent (bei nicht fermentierten Alternativen rangiert der Wert oft bei Null). »Echter« Weichkäse, Hartkäse, Käsescheiben oder auch geraspelter Pizzakäse weisen meist mindestens 20 Prozent Protein auf.
Ist pflanzliches Fett gesünder als tierisches?
Sicher kennen manche den Grundsatz, dem zufolge pflanzliches Fett gesünder sei als tierisches. Dabei kommt es aber darauf an, von welchem Fett man spricht: Die gesundheitsfördernden Effekte von Pflanzenölen gehen vor allem auf ungesättigte Fettsäuren zurück, die dort enthalten sind. Manche dieser Fettsäuren sind sogar essenziell, Menschen müssen sie also mit der der Nahrung aufnehmen, um lebenswichtige Stoffe herzustellen. Allerdings strotzen nicht alle pflanzlichen Fette automatisch vor ungesättigten Fettsäuren. Feste Fette, wie sie für schnittfeste Käsealternativen benötigt werden, tragen vor allem gesättigte Fettsäuren. In veganen Ersatzprodukten für Schnittkäse kommt meist Kokosfett zum Einsatz. Dieses enthält ausschließlich gesättigte Fettsäuren.Fermentierte Nüsse und Hülsenfrüchte
Durch die Fermentation kann ein ähnlich komplexes Aromaprofil entstehen wie beim Käse. Es ist aber nicht so einfach, wie man denken könnte: Milchsäurebakterien etwa brauchen in erster Linie Milchzucker oder Traubenzucker, um zu wachsen. Diese Stoffe sind in Hülsenfrüchten aber so gut wie nicht vorhanden. Außerdem können Milchsäurebakterien pflanzliche Fette nicht so gut verarbeiten und stellen deshalb daraus nicht so effizient Käsearomen her. Die Universität Hohenheim hat in einem Forschungsprojekt deshalb spezielle Pilze eingesetzt, um Käsearomen auf pflanzlicher Basis herzustellen. Die Pilze waren nicht nur effektive Aromalieferanten, sondern trugen durch ihre Stoffwechselprozesse auch zu einer käseähnlichen Konsistenz bei. Unterdessen untersuchte das Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV, ob sich Käseersatz aus Erbsenprotein mit einem ähnlichen Aroma- und Nährstoffprofil wie Käse herstellen lässt.
Vielleicht muss es aber gar nicht so kompliziert sein. Mittlerweile findet man sogar online Anleitungen, um Erbsen-»Weichkäse« selbst daheim herzustellen. Entsprechende Bakterien- und Schimmelpilz-Starterkulturen kann man gleich dort bestellen. Das Ergebnis ist nach einer relativ kurzen Vorbereitung und ein paar Wochen Reifung im Kühlschrank oder Keller verzehrfertig. Ein veganer »Camembert« aus heimischem Gemüse, selbstgemacht in der eigenen Küche: Klingt doch ziemlich vielversprechend!
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.