Direkt zum Inhalt

Eine Prise Chemie: Gefälscht, gepanscht, verschnitten: Lebensmittelbetrug vom Feinsten

Dubai-Schokolade fast ohne Pistazien? Olivenöl, das zum Großteil aus Sonnenblumenöl besteht? Beides gängige Fälschungen. Lebensmittelbetrug ist gut organisiert, das zeigte sich schon beim Glykolwein-Skandal von 1985.
Ein Stapel von Schokoladenstücken mit einer grünen Pistazienfüllung, umgeben von zerstreuten Pistazien und Krümeln auf einer dunklen Oberfläche. Im Hintergrund ist unscharf eine Schale mit weiteren Pistazien zu sehen. Die Szene vermittelt einen Eindruck von Genuss und kulinarischer Raffinesse.
Die braune Hülle sieht aus wie Schokolade, die grüne Füllung kommt augenscheinlich von Pistazien. Aber sind diese Leckereien wirklich in jeder Dubai-Schokolade drin?

Fans von Dubai-Schokolade müssen jetzt stark sein. Ebenso Menschen, die auf ihre tägliche Portion Olivenöl schwören. Nicht, weil das eine oder das andere an sich schlecht wäre. Solange die Produkte das sind, was sie zu sein scheinen, ist alles in Ordnung. Beide Lebensmittel sind aber beliebte Ziele für Fälscher, und die Imitate lassen sich oft nicht ohne Weiteres entlarven. Es sei denn, man betreibt ein Analytiklabor oder verfügt über Einsatzkräfte, die eine Razzia durchführen können.

Vermutlich gibt es gefälschte Lebensmittel schon so lange wie die Menschheit. Überall dort, wo mehrere Leute bereit sind, viel Geld für ein vermeintlich besonders hochwertiges Gericht oder Getränk auszugeben, ist die Versuchung groß, den Gewinn mit minderwertigen Inhaltsstoffen zu maximieren. Einige werden sich noch an den »Glykolwein-Skandal« erinnern – der liegt zwar nicht ganz so lange zurück wie der Beginn der Menschheit, jährt sich nun aber immerhin zum 40. Mal. Und er zeigt, wie systematisch und weitreichend Lebensmittelbetrug organisiert wird.

Anfang 1985 kam ans Licht, dass österreichische Winzer in großem Stil Wein mit Diethylenglykol versetzt hatten. Die Chemikalie sollte die Qualität des Getränks augenscheinlich erhöhen und ihm obendrein eine angenehm süßliche Note verpassen. Unglaublich, aber wahr: Lieblicher Wein galt damals als besonders hochwertig und war gefragt. Das Unterfangen war zumindest aus sensorischer Sicht erfolgreich: Die Weine wurden als so genannte Prädikatsweine teuer verkauft.

Nun fragt man sich vermutlich zu Recht, warum die Winzer nicht einfach Zucker zum Süßen nahmen. Tatsächlich hatten sie dies in den Jahren zuvor getan – manche Winzer hatten unerlaubterweise ihren Rebensaft mit Invertzuckerlösung versetzt, einer Mischung aus Fruktose und Glukose. Diese hatte denselben Effekt, der Wein wurde süffiger und schmeckte lieblicher. Allerdings kamen Lebensmittelprüfer recht schnell darauf, Weine auf zugesetzten Zucker zu testen, und deckten den Schwindel auf. Glykol hingegen, ein ganz anderer Stoff, wurde beim Testen auf Zucker logischerweise nicht gefunden. Die Panscherei war also kein Zufall, sondern eine gut durchdachte Strategie.

Es ist mittlerweile fast schon zur Legende geworden, wie Ermittler den Fälschern trotzdem auf die Spur kamen. Offenbar versuchte ein Winzer aus Österreich, große Mengen von Diethylenglykol als Frostschutzmittel von der Steuer abzusetzen – und der zuständige Steuerprüfer wurde stutzig. Es gibt auch Berichte, nach denen ein anonymer Mann ein Fläschchen zu einem örtlichen Lebensmittelüberwachungsamt brachte mit dem Hinweis, diese Zutat würden Weinbauern in ihren Rebsaft geben. Jedenfalls deckten österreichische Behörden die Machenschaften Anfang 1985 auf.

Zunächst waren nur einzelne Winzer im Fokus, bald darauf galten Weine aus Österreich generell als verseucht. Im Juli 1985 warnten schließlich deutsche Behörden offiziell vor dem Genuss österreichischer Weine – denn Ethylenglykol ist in größeren Mengen gesundheitsschädlich. Kurz darauf wurde jedoch klar, dass eine Reihe deutscher Winzer ihre Weine mit österreichischen Produkten verschnitten hatten und demnach ebenfalls glykolbelasteten Wein verkauften. Bei nachfolgenden Untersuchungen fanden Lebensmittelprüfer die Substanz auch noch in älteren Jahrgängen aus den späten 1970er Jahren – die Praxis scheint also eine ganze Weile lang etabliert gewesen zu sein, bevor jemand etwas bemerkte.

Diethylenglykol | Betrügerische Winzer setzten ihren Weinen Diethylenglykol zu, um sie öliger und lieblicher zu machen. Der Skandal flog 1985 auf.

So ein Muster findet sich oft bei Lebensmittelskandalen. Was erst wie ein Einzelfall aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als systematische Praxis, die in einer ganzen Branche verbreitet ist. Genauso war es beim Skandal um melaminverseuchtes Babymilchpulver im Jahr 2008. Damals war die Lage allerdings deutlich dramatischer: Sechs Säuglinge starben, zigtausende trugen Gesundheitsschäden davon.

Doch viele Fälschungen sind nicht direkt lebensgefährlich und fallen deshalb erst auf, wenn Kontrolleure zufällig darauf stoßen oder nach einem Anfangsverdacht gezielt suchen. Zu diesem Zeitpunkt sind solche Praktiken oft schon großflächig etabliert. So wie bei Olivenöl.

150 000 Liter gefälschtes Olivenöl

Im Jahr 2020 beschlagnahmten die internationalen Polizeibehörden Europol und Interpol bei einer gemeinsam koordinierten Aktion 150 000 Liter gepanschtes »Olivenöl« in Italien. Das Produkt sah zwar aus wie Olivenöl, aber nur dank einer Mischung von Chlorophyll, Betacarotin und Sojaöl. Darüber hinaus bestand es größtenteils aus Sonnenblumenöl. So sollte es an deutsche Restaurants verkauft werden.

Das war kein Zufallsfund. Die Behörden hatten in elf europäischen Ländern gleichzeitig gezielt nach unechtem Olivenöl gesucht. Denn das Produkt zählt seit Jahren zu den weltweit am häufigsten gefälschten Lebensmitteln.

Olivenöl ist eins der am häufigsten gefälschten Lebensmittel

Die Motivation dahinter erschließt sich direkt, wenn man vor einem Regal mit verschiedenen Speiseölsorten steht: 12,99 Euro für 750 Milliliter »extra vergine«? Oder doch lieber 2,29 für die gleiche Menge Sonnenblumenöl? Der Preisunterschied ist frappierend.

Olivenöl hoher Qualität herzustellen ist aufwändig – deshalb ist es auch so teuer. Um die höchste Qualitätsstufe zu erreichen, »natives Olivenöl extra« (oder auch: »extra vergine«), dürfen die Früchte nur kaltgepresst werden, außerdem muss das Öl sehr strenge Qualitätsanforderungen erfüllen. Beispielsweise darf es pro 100 Gramm höchstens 0,8 Gramm freie Fettsäuren enthalten (diese beeinflussen den Geschmack negativ). Olivenöl mit dem Zusatz »nativ« (oder: »vergine«) ist ebenfalls kaltgepresst, darf aber bis zu zwei Gramm freie Fettsäuren aufweisen. Wenn nur »Olivenöl« auf der Flasche steht, wurde das Öl entweder raffiniert oder enthält mehr als zwei Gramm freie Fettsäuren. (Insgesamt gibt es beim Olivenöl acht Qualitätsstufen – acht! Sagen Sie nicht, dass Sie alle kennen. Im Einzelhandel sind nur vier erlaubt.)

Und so liest man oft »extra nativ« auf dem Etikett, obwohl etwas anderes in der Flasche ist. Laut dem CVUA Stuttgart, einer der vier Kontrollbehörden für Lebensmittel in Baden-Württemberg, waren bei der letzten Untersuchung im Jahr 2023 fast die Hälfte der untersuchten »extra nativen« Olivenöle zu beanstanden: entweder, weil sie falsch gekennzeichnet waren, oder im Einzelfall sogar, weil der Inhalt zum Großteil aus Sonnenblumenöl bestand.

Immerhin ist diese Praxis nicht direkt gesundheitsgefährlich. Der größte Schaden für den Verbraucher entsteht durch den Preis. Ein wenig anders liegt der Fall aber bei Dubai-Schokolade.

Dubai-Schokolade mit fragwürdigem Inhalt

Falls sich noch jemand an den Hype Ende 2024 erinnert: »Dubai-Schokolade« - im Wesentlichen Schokolade mit einer Füllung aus Pistaziencreme und Engelshaar (dünnen, süßen Teigfäden) – wurde zu Höchstpreisen verkauft, sofern man das Glück hatte, überhaupt eine zu ergattern. Auch heute bezahlt man für 100 Gramm eines Markenprodukts um die zehn Euro. Ich liebe Schokolade in verschiedensten Ausführungen über alles, aber selbst ich bin nicht bereit, so viel Geld dafür auszugeben (okay, ich mag auch keine Pistazien).

Andere schon. Das CVUA Stuttgart schnappte sich insgesamt 38 Proben von Dubai-Schokolade (und sieben Pistaziencremes), davon 29 aus Nicht-EU-Ländern und neun aus heimischer Produktion, und prüfte sie auf Inhaltsstoffe, Zusätze und Verunreinigungen. Die Behörde ermittelte bei 26 Testobjekten den Pistaziengehalt und fand, dass er in den meisten Fällen deutlich unter dem lag, was die Verpackung nahelegte. Bei acht Schokoladen machten die Früchte gar weniger als ein Prozent der Masse aus. Da lag es nahe, nachzusehen, woher die leuchtend grüne Farbe stammte. Wie befürchtet, kam diese in den seltensten Fällen von den Früchten: In 22 von 32 Proben fand das CVUA synthetische Farbstoffe (in der Regel waren diese nicht auf der Packung deklariert).

Eine Frage der Fettsäuren | Fette und Öle unterscheiden sich in der Verteilung ihrer Fettsäuren. Kakaobutter etwa enthält vor allem Stearinsäure und Ölsäure, außerdem Palmitinsäure und geringe Anteile von Linolsäure und Arachinsäure. Palmöl hingegen besteht hauptsächlich aus Palmitinsäure und Ölsäure, wenig Stearinsäure und geringen Anteilen von Myristinsäure und Linolsäure.

Und es kommt noch schlimmer: 12 der 32 auf Schokolade getesteten Produkte enthielten nicht einmal Schokolade! Als solche zählen laut der »Kakaoverordnung« (die gibt es tatsächlich) nur Produkte, deren Fett ausschließlich aus Kakaobutter und Milchfett besteht – höchstens fünf Prozent anderer Öle oder Fette sind erlaubt. Welches Fett in einem Lebensmittel vorliegt, kann man anhand der Zusammensetzung der Fettsäuren ermitteln. Und wie diese Analysen zeigten, enthielten die Produkte oft große Mengen billigen Palmfetts. Das schmeckt dann auch nicht nach Schokolade.

Einen besorgniserregenden Fund machten die Tester ebenfalls: In 9 von 32 Proben, allesamt aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, fand sich das krebserregende Schimmelpilzgift Aflatoxin B1 – vermutlich, weil minderwertige oder schlecht verarbeitete Pistazien verwendet wurden. Bei diesen Produkten gab es noch weitere Ungereimtheiten, etwa nicht angegebene Zusatzstoffe, Unstimmigkeiten bei der Aromabezeichnung sowie Weichmacher oder Biozide.

Aflatoxin B1 | Aflatoxin B1 ist ein Schimmelpilzgift, das unter anderem krebserregend wirkt. Wird es in Lebensmitteln gefunden, deutet das darauf hin, dass die Zutaten nicht einwandfrei gelagert oder verarbeitet wurden.

Während man vielleicht noch nachvollziehen mag, dass ein solches Hype-Produkt Betrüger anlockt, käme man bei manch anderem gar nicht erst auf die Idee. Beispielsweise bei Wasser.

Betrug bei Mineralwasser – im Ernst?

Doch selbst hier lässt sich fälschen, wie ein aktueller Fall aus Frankreich zeigt. Dort betreibt die Firma Nestlé mehrere Mineralwasserquellen und verkauft das geförderte Wasser unter dem Prädikat »natürliches Mineralwasser«. Die Kunden sind offenbar bereit, dafür ein Vielfaches dessen zu bezahlen, was sie für sauberes Trinkwasser aus dem Hahn aufbringen würden. Der wichtige Punkt dabei: Das natürliche Mineralwasser ist unbehandelt.

Nun stellt sich aber heraus, dass einige Quellen der Firma mit Bakterien verunreinigt waren. Auf den ersten Blick handelte Nestlé vorbildlich – das Unternehmen filterte das Wasser mit geeigneten Methoden und machte es dadurch sicher für den Verzehr. Jedoch vermarktete es sein Produkt weiterhin als »natürliches Mineralwasser«, selbstverständlich zu den nach wie vor hohen Preisen. Recherchen der französischen Medien »Le Monde« und »Radio France« zufolge wussten französischen Behörden seit 2021 von der Praxis. Kein gesundheitlicher Schaden für die Verbraucher, aber eben ein klassischer Etikettenschwindel mit großem Gewinn für den Konzern. Denn wenn das Wasser vor dem Verkauf einfach behandelt werden dürfte – tja, dann könnte man ja gleich Leitungswasser trinken. Aber das ist eine andere Diskussion.

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.