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Die fabelhafte Welt der Mathematik: Wie Katzen die Gesetze der Physik austricksen

Dass Katzen stets auf ihre Pfoten fallen, gab Physikern lange Rätsel auf. Wie sich herausstellt, können die Tiere einen Sturz aus jeder beliebigen Fallhöhe überstehen – zumindest theoretisch.
Grau-weiß-getigerte Katze mit weißen Pfoten im Fallen
Katzen haben sieben Leben, sagt man. Wahrscheinlich, weil sie Stürze aus großen Höhen überleben können.

In New York City ist Medienberichten zufolge im Jahr 2018 eine Katze aus dem Fenster einer Wohnung im 32. Stockwerk auf harten Asphalt gefallen – und hat überlebt. Nach einem zweitägigen Aufenthalt beim Tierarzt, der die kollabierte Lunge und abgebrochene Zähne behandelte, konnte der Vierbeiner wieder nach Hause. Wahrscheinlich haben weitere ähnliche Situationen das Sprichwort hervorgebracht, Katzen hätten sieben Leben. Seit Jahrzehnten versuchen Forscherinnen und Forscher verschiedenster Disziplinen die erstaunlichen Überlebenskünste zu verstehen.

Allerdings waren es nicht die Stürze aus Schwindel erregenden Höhen, die Physikerinnen und Physikern Ende des 19. Jahrhunderts Rätsel aufgaben. Vielmehr stutze die Fachwelt, als sie Aufnahmen von Katzen sah, die sich während des Fallens um ihre eigene Achse drehten und auf den Pfoten landeten. Die Fotografien zeigen eine Person, die eine Katze so an ihren Beinen festhält, dass der Rücken zum Boden zeigt. Dann wird sie losgelassen. Zunächst schwebt die Katze weiterhin falsch herum in der Luft, mit dem Rücken zum Boden zeigend. Doch in den nächsten Aufnahmen geschieht etwas, das die Gesetze der Physik eigentlich verbieten: Das Tier dreht sich und landet auf den Pfoten.

Natürlich wusste man auch damals schon aus alltäglichen Beobachtungen, dass die Vierbeiner sich in der Luft drehen können. Doch man war davon ausgegangen, dass sie den dafür nötigen Schwung erhalten, indem sie sich von der Oberfläche abstoßen, von der sie fallen. Denn gemäß der Drehimpulserhaltung kann ein Objekt, das sich nicht dreht, ohne äußeren Einfluss unmöglich plötzlich rotieren. Doch auf den Aufnahmen ist genau das klar zu sehen: Anfangs fällt die Katze gerade herunter – und dann gelingt es ihr trotzdem, sich um ihre Achse zu drehen. Wie ist das möglich?

Seitenansicht einer fallenden Katze | Die 1894 aufgenommene Fotoserie gab Physikerinnen und Physikern jahrzehntelang Rätsel auf.

Dieses Phänomen beschäftigte zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, darunter James Clerk Maxwell, den Entdecker der Elektrodynamik. Er führte mehrere Experimente durch, in denen er Katzen aus verschiedenen Höhen auf Betten und Tische sowie aus Fenstern fallen ließ. Doch erst im Jahr 1969 konnte das »Problem fallender Katzen« gelöst werden. Wie sich herausstellte, hatte man den Körper der Katze während des Falls nicht genau genug untersucht. Denn dabei handelt es sich nicht einfach um ein zylinderförmiges Objekt, das auf magische Weise beginnt, sich zu drehen. Wenn man genau hinsieht, lässt sich erkennen, dass sich der Ober- und der Unterkörper in entgegengesetzte Richtungen drehen. Damit ist die Drehimpulserhaltung gerettet: Wenn das Tier wie eine Pfeffermühle in zwei unterschiedliche Richtungen rotiert, ist die Änderung des Drehimpulses null.

Viele Menschen denken, Mathematik sei kompliziert und öde. In dieser Serie möchten wir das widerlegen – und stellen unsere liebsten Gegenbeispiele vor: von schlechtem Wetter über magische Verdopplungen hin zu Steuertricks. Die Artikel können Sie hier lesen oder als Buch kaufen.

Wie aber schafft die Katze es, am Ende noch auf den Pfoten zu landen? Dafür nutzt sie die physikalischen Gesetze der klassischen Mechanik aus: Indem sie die Vorderpfoten nah an den Körper anlegt, verringert sie ihr Trägheitsmoment – und rotiert wie eine Eiskunstläuferin schnell um die eigene Achse. Mit den Hinterläufen macht das Tier genau das Gegenteil und streckt die Beine aus, um ein möglichst großes Trägheitsmoment zu erzeugen. In der Folge rotiert der Oberkörper um einen großen Winkel, während die Beine sich in entgegengesetzter Richtung weniger stark drehen. Die extrem biegsame Wirbelsäule der Tiere ermöglicht diese Bewegung. Ist der Oberkörper nun in der richtigen Position (also der Kopf aufrecht über dem Boden ausgerichtet), kann die Katze ihre Vorderpfoten ausstrecken, die Hinterläufe anziehen und die Pfeffermühlen-Bewegung in umgekehrter Richtung ausführen, damit auch die Hinterpfoten über dem Boden ausgerichtet sind. So gelingt es den Tieren, stets auf allen vieren zu landen – und dabei alle physikalischen Gesetzmäßigkeiten zu befolgen.

Einen Fall aus welcher Höhe können Katzen noch überleben?

Die Gesetze der Physik besagen aber auch, dass der Aufprall umso stärker ist, je höher der Fall. Doch eine Studie aus den 1980er Jahren zeichnet ein anderes Bild. Zwei Tierärzte aus New York City beschrieben darin insgesamt 132 Fälle zwischen Juni und November 1984, in denen Katzen aus Hochhäusern gestürzt waren – von der 2. bis hin zur 32. Etage. Insgesamt hatten 90 Prozent der Katzen überlebt und die Tiermediziner hatten die Verletzungen dokumentiert. Dabei ergab sich eine erstaunliche Beobachtung: Während die Schwere der Verletzungen der Tiere bis zu einer Höhe von etwa sieben Stockwerken zunahm, schien sie danach wieder abzunehmen. Das heißt, ein Sturz aus der 11. Etage kann für eine Katze glimpflicher ausgehen als einer aus dem 6. Stock.

Wieder schienen die Vierbeiner die Gesetze der Physik zu brechen. Je höher das Stockwerk, aus dem eine Katze stürzt, desto länger wird sie von der Erde beschleunigt. Damit wächst ihre Geschwindigkeit immer weiter an, mit der sie am Ende schließlich den Boden erreicht. Durch den abrupten Aufprall wandelt sich die Bewegungsenergie des Tiers schließlich in andere Formen um, was zu Knochenbrüchen, Lungenkollaps und Schlimmerem führen kann. Damit sollte der Sturz aus hohen Stockwerken unangenehmere Konsequenzen haben als aus niedrigen. In dieser Betrachtung haben wir allerdings den Luftwiderstand außer Acht gelassen. Die Katzen fallen schließlich nicht in einem Vakuum zu Boden, sondern bewegen sich durch Luft, die den Sturz abbremst.

Damit wirken während des Falls zwei entgegengesetzte Kräfte auf die Katze: die Erdanziehungskraft Fg und die Reibungskraft FR, die sie abbremst. Während Fg eine denkbar einfache Form hat und sich bloß aus dem Produkt der Masse m der Katze und der Erdbeschleunigung g ergibt, hängt der Luftwiderstand von der Querschnittsfläche A, dem Strömungswiderstandskoeffizienten cW, der Luftdichte ρ und der Geschwindigkeit v des fallenden Objekts ab: FR = ½·ρ·A·cW·v2. Am Anfang des Sturzes hat die Katze eine Geschwindigkeit von null, daher wirkt nur die Erdbeschleunigung auf sie, doch mit wachsendem v macht sich dann auch die entgegengesetzte Reibungskraft bemerkbar. Um die konkrete Bewegung des Tiers zu bestimmen, muss man also die Gesamtkraft (Fg − FR) berechnen. Diese legt dann fest, welche Beschleunigung a auf eine Katze bestimmten Gewichts m wirkt: m·a = Fg − FR.

Ein Tempolimit für fallende Katzen

Die Beschleunigung entspricht der Geschwindigkeitsänderung – mathematisch lässt sich das durch eine Ableitung ausdrücken, a = ddtv. Möchte man also die Geschwindigkeit der Katze zu einem bestimmten Zeitpunkt berechnen, muss man ein kompliziertes Gleichungssystem lösen, das sowohl die Geschwindigkeit selbst als auch deren Ableitung (Beschleunigung) enthält: m·ddtv = m·g − ½·ρ·A·cW·v2. Für solche »Differenzialgleichungen« gibt es oft keine exakte Lösung. In diesem Fall lässt sich zwar eine Lösung für die Geschwindigkeit berechnen, die einem »Tangens hyperbolicus« entspricht. Man kann aber auch auf einen Computer zurückgreifen, der die Gleichungen in etlichen kleinen diskreten Zeitschritten näherungsweise löst. Je nach Querschnitt und Gewicht der Katze erhält man am Ende eine Kurve, die anfangs schnell anwächst und dann abflacht und auf einen konstanten Wert zuläuft: Die Katze gewinnt zu Beginn des Sturzes schnell an Geschwindigkeit, bevor der Luftwiderstand irgendwann so stark wird, dass sie nicht mehr schneller wird.

Geschwindigkeitsverlauf mit der Zeit | Die Fallgeschwindigkeit der Katze wächst anfangs rasant an, doch irgendwann gewinnt der Luftwiderstand die Oberhand: Die Geschwindigkeit nähert sich einer Konstanten an.

Wie hoch diese Endgeschwindigkeit ist, lässt sich recht einfach bestimmen: Diese ergibt sich nämlich, wenn die Reibungskraft genau so groß ist wie die Erdanziehungskraft – in diesem Fall heben sich die beiden Kräfte auf und ein fallendes Objekt stürzt mit gleich bleibender Schnelligkeit dem Boden entgegen. Man muss also bloß die Gleichung m·g = ½ρAcWv2 nach v auflösen und erhält: v = √(2mgρAc).

Um einen konkreten Wert für die Endgeschwindigkeit einer Katze anzugeben, muss man für die Variablen nur noch Zahlenwerte einsetzen. Während man das Gewicht und die Querschnittsfläche einer Katze schätzen kann, ist der Strömungswiderstandskoeffizient schwieriger zu bestimmen. Angenommen, eine Katze wiegt 4 Kilogramm, ist 50 Zentimeter lang und 15 Zentimeter breit (Querschnittsfläche A = 0,075 Quadratmeter) und hat den Strömungswiderstandskoeffizienten eines Zylinders (cW = 0,8). Dann ist die Endgeschwindigkeit des Tiers: v = 32,68 Meter pro Sekunde, was knapp 120 Kilometern pro Stunde entspricht.

Um herauszufinden, ab welcher Höhe eine Katze diese Endgeschwindigkeit erreicht, kann man die Differenzialgleichung lösen und so die Geschwindigkeit zum Zeitpunkt des Aufpralls in Abhängigkeit von der Fallhöhe berechnen:

Geschwindigkeitsverlauf mit der Höhe | Ab einer Fallhöhe von etwa 100 Metern erreichen Katzen in etwa ihre Endgeschwindigkeit.

Wie man dem Graphen entnehmen kann, erreichen Katzen bei einer Fallhöhe von 100 Metern bereits eine Geschwindigkeit von 30 Metern pro Sekunde. Da schon Katzen beobachtet wurden, die Stürze von höheren Gebäuden (etwa aus der 32. Etage) überlebt haben, bedeutet das, dass Katzen theoretisch einen Aufprall mit der größtmöglichen Endgeschwindigkeit von 120 Kilometern pro Stunde überstehen können – folglich müssten die Tiere einen Fall aus jeder erdenklichen Höhe überleben.

Tatsächlicher Effekt oder Survivorship Bias?

Das erklärt aber nicht die Beobachtungen der New Yorker Tierärzte: Warum scheinen Katzen einen Sturz aus der 7. Etage oder höher besser zu überstehen als aus niedrigeren Stockwerken? Dafür könnte die Haltung der Tiere verantwortlich sein.

Wenn eine Katze aus niedriger Höhe stürzt, ist sie für kurze Zeit schwerelos. Instinktiv wird sie daher ihre Beine unter sich ausstrecken, um auf allen vieren zu landen. Bei großen Fallhöhen ist das aber keine gute Strategie: Die ausgerichteten Beine können zu schweren Verletzungen führen, da das Gewicht des Tiers ungünstig verteilt ist. Das kann erklären, warum die Überlebensrate mit zunehmender Höhe abnimmt – zumindest bis zum 7. Stock. Bei größerer Fallhöhe macht sich während des Sturzes jedoch irgendwann die Reibungskraft bemerkbar. Deswegen, so mutmaßen die Tiermediziner, habe die Katze nicht mehr das Gefühl zu fallen. Somit können sich die Tiere offenbar entspannen und strecken ihre Beine nicht mehr aus. Das führe dazu, dass sie durch eine gleichmäßigere Gewichtsverteilung etwas sanfter landen und daher bessere Überlebenschancen haben.

Es gibt aber auch noch eine einfachere Erklärung für die Beobachtung: den so genannten Survivorship Bias. Falls eine Katze aus einem hohen Stockwerk fällt und sofort stirbt, macht sich der Besitzer wahrscheinlich nicht die Mühe, in einer Tierklinik vorbeizuschauen. Daher ist die Dunkelziffer der verstorbenen Tiere wahrscheinlich höher als die von den Medizinern aufgezeichnete.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels wurde behauptet, dass die Differenzialgleichung keine exakte Lösung besäße. Das ist falsch und wurde korrigiert.

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