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Mäders Moralfragen: Einfach, aber nicht zu einfach

Ist es noch Wissenschaft, wenn man Forschungsergebnisse für Dummies erklärt? Oder sollen die Wissenschaftler zurück in den Elfenbeinturm?
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Am Sonntag vor einer Woche hat mein Kollege Patrick Imhasly einen Kommentar in der »NZZ am Sonntag« veröffentlicht, der das journalistische Kriterium des Gegen-den-Strich-Bürstens besonders gut erfüllt: »Forscher, zurück in den Elfenbeinturm!« lautet der Titel. Imhasly kritisiert darin das Bemühen, die Forschung für Laien begreifbar und erlebbar zu machen, weil es die Kommunikatoren damit manchmal übertreiben. Das Bemühen umfasst sowohl das Erklären und Diskutieren von Forschungsergebnissen in der Öffentlichkeit als auch die Beteiligung von Laien an überschaubaren Forschungsprojekten.

Beide Ansätze sollen Verständnis dafür wecken, wie Wissenschaft funktioniert – eigentlich eine gute Idee. Doch dieses Erklären für Dummies habe Grenzen, schreibt Imhasly: »Wissenschaft ist nicht populär, sondern ziemlich elitär. Und das soll so sein.« Das erinnert an ein Bonmot, das Albert Einstein zugeschrieben wird (auch wenn es dafür keinen direkten Beleg gibt): »Alles sollte so einfach wie möglich gemacht werden, aber nicht einfacher.«

Anlass für den Kommentar sind Ansätze in der Schweiz, die Bürgerwissenschaft (auch »Citizen Science« genannt) voranzutreiben. Wissenschaftler versuchen dort, nicht mehr bloß zu den Laien zu sprechen, sondern stattdessen mit ihnen zu reden – und sie sogar in die Forschung einzubinden. Das ist nicht nur eine Reaktion auf den gefühlten Vertrauensverlust in die Wissenschaft: Die Forscher wollen dafür kämpfen, dass nicht jeder mit alternativen Fakten und unbegründeten Theorien sein eigenes Weltbild zimmern und dafür Anerkennung beanspruchen darf. Die Bewegung entspricht aber auch den Wünschen vieler Schweizer: In einer Umfrage, dem »WissensCHaftsbarometer«, gaben immerhin 36 Prozent an, sie würden gern einmal in einem wissenschaftlichen Projekt mitforschen. Auch in Deutschland gibt es eine Plattform namens »Bürger schaffen Wissen«, auf der Citizen-Science-Projekte gebündelt werden.

Wenn Wissenschaftler übertreiben

Imhasly greift in seinem Kommentar zwei Kritikpunkte auf, die Wissenschaftssoziologen schon seit einigen Jahren äußern. Sie zweifeln zum einen daran, dass diese Art der Wissenschaftskommunikation nachhaltig ist: also den Laien nicht nur Spaß macht, sondern ihnen auch neue Erkenntnisse verschafft. Und sie warnen zum anderen davor, dass die Wissenschaft Qualität und Autorität einbüßen kann, wenn sie sich am Publikumsgeschmack orientiert und zu banal daherkommt. Eine Stellungnahme der deutschen Wissenschaftsakademien aus dem Jahr 2014, die unter dem Titel »WÖM« (Wissenschaft – Öffentlichkeit – Medien) bekannt wurde, fasste den ersten Kritikpunkt so zusammen: »Vor allem die von PR-Firmen entwickelten Werbeformate mit Kampagnencharakter, die sich zumeist an ein unspezifisches Massenpublikum richten und dessen Akzeptanzbereitschaft erhöhen sollen, erreichen das Ziel dialogischer Wissenschaftskommunikation und eine intensivierte Partizipation genau nicht.« Und den zweiten so: Es »beginnt sich zu zeigen, dass die Orientierung der wissenschaftlichen Fachkommunikation an der massenmedialen Aufmerksamkeit zu Problemen der internen Qualitätssicherung und damit der Glaubwürdigkeit führen kann«.

Am Sonntag vor einer Woche habe ich die Grube Messel bei Darmstadt besucht, eine wichtige Fundstätte von Fossilien, die zum UNESCO-Welterbe zählt. Dass es zufällig der Erscheinungstag von Imhaslys Kommentar war, passt, denn die Grube Messel hat vor knapp zehn Jahren einen Beispielfall für diese Diskussion geliefert. Im Mai 2009 präsentierte ein Team von Paläontologen ein in der Grube Messel entdecktes und besonders gut erhaltenes Fossil eines Äffchens der Art Darwinius masillae, das nach der Tochter des leitenden Forschers Jørn Hurum »Ida« genannt wurde. Es gab einen ziemlichen Medienrummel, weil das Fossil angeblich ein wichtiges Bindeglied zu den Primaten oder gar zu den Menschen sein sollte. Es wurde allerdings schnell klar, dass diese Behauptung nicht stimmt – die Forscher hatten selbst übertrieben, um ihre Forschung massenmedial zu verbreiten. Ein Kommentar auf »Spektrum.de« trug damals den Titel: »Idamanie«. Ich habe bisher keinen vergleichbaren Fall erlebt, in dem ein eigentlich mittelmäßig spannendes Forschungsergebnis durch geschicktes Marketing ein so großes Echo in der Öffentlichkeit erzeugte. Zeitgleich mit dem Fachartikel, der Ida beschrieb, erschienen ein Buch und ein Dokumentarfilm.

Nicht zu viel versprechen

Aber hat die neue Wissenschaftskommunikation, die auf Dialog und Partizipation setzt, noch etwas mit den Hypes à la Ida zu tun? Richtet sich die Kritik der Wissenschaftssoziologen und die des NZZ-Kommentators nicht vielmehr auf das alte Problem der unwissenschaftlichen Übertreibung und nicht auf die neuen, offenen Formate? Ich glaube, die Antwort lautet: ja und nein. Oder anders ausgedrückt: Die Kritik richtet sich auch auf die neuen Formen der Wissenschaftskommunikation, sofern sie die Fehler der alten wiederholen. Denn den Laien zu versprechen, sie könnten wirklich an der Forschung teilhaben oder die Ergebnisse wirklich verstehen, ist eine unwissenschaftliche Übertreibung. Doch Forscher sehen sich unter einem erheblichen Druck, Aufmerksamkeit, Sympathie und Vertrauen der Öffentlichkeit zu gewinnen.

Man kann wissenschaftliche Erkenntnisse in groben Zügen verständlich machen, und das ist natürlich eine wichtige Aufgabe. Doch man sollte nicht so tun, als sei dieses grobe Verständnis schon die eigentliche Erkenntnis. Wenn Laien in der Forschung mitreden, dann bleiben diese Gespräche auf die Prioritäten der Forschung und die gesellschaftlichen Auswirkungen der Resultate beschränkt. Mit mehr Training lernen Laien auch Indizien für gute Forschung kennen, um nicht auf schlechte Studien hereinzufallen – auf diesem Stand sollten Wissenschaftsjournalisten sein. Aber wenn es um die Details geht, vertraut man darauf, dass Wissenschaftler wissen, was sie tun, und dass sie sich gegenseitig dabei kontrollieren. Diesen Status als Garant von zuverlässigem Wissen sollte die Wissenschaft nicht untergraben. Auch in der modernen Wissenschaftskommunikation sollte klar bleiben, dass noch kein Wissenschaftler vom Himmel gefallen ist.

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