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Kommentar: Einmal Mond ist genug

Wir stehen am Beginn eines neuen Raumzeitalters. Kritischer denn je sollten wir hinterfragen, warum wir eigentlich zu den Sternen reisen wollen, kommentiert Robert Gast.
Die Erde, die über dem Mondhorizont aufsteigt, aufgenommen von Apollo 11.

Die bemannte Raumfahrt hatte schon immer etwas Tragisches an sich. Je größer die nationalen Rivalitäten, desto besser scheint es ihr zu gehen. Als US-Präsident John F. Kennedy 1961 ankündigte, Astronauten zum Mond zu schicken, reagierte er damit auch auf die Raumfahrterfolge der UdSSR. Die Mondlandung 1969 sollte die technologische Überlegenheit der USA demonstrieren: Schaut, so groß sind die Vereinigten Staaten von Amerika.

50 Jahre später zeichnet sich eine Rückkehr zum Erdtrabanten ab, und wieder geht es darum, nationale Größe zu demonstrieren. Bereits 2024 sollen US-Bürger erneut Mondstaub aufwirbeln, hat Präsident Donald Trump im März überraschend verkündet. Der Kongress soll dafür eine milliardenschwere Aufstockung des NASA-Budgets genehmigen. So ließe sich der Plan noch innerhalb einer etwaigen zweiten Amtszeit von Trump umsetzen.

Ironischerweise ist es diese Hauruckmethode, die das Vorhaben Erfolg versprechend machen könnte: Schon mehrfach haben US-Präsidenten eine Rückkehr zum Mond angekündigt, den Termin aber stets weit in die Zukunft gelegt. Ihre Nachfolger verfolgten dann andere Prioritäten – und stellten die ambitionierten Programme ein, bevor sie richtig begannen.

Ein Kind besonderer Umstände

Trumps Mondprogramm – es trägt den Namen von Apollos Schwester Artemis – ist wie sein historischer Vorgänger ein Kind besonderer Umstände. Silicon-Valley-Milliardäre wie Elon Musk und Jeff Bezos pumpen seit Jahren einen Teil ihrer Vermögen in den Raumfahrtsektor und haben damit eine neue Begeisterung fürs Weltall angefacht. Gleichzeitig ist die Welt kompetitiver geworden: Länder fechten Handelskriege aus und steigern ihre Militäretats. Freie Gesellschaften streiten derweil erbittert über die richtigen Antworten auf die Herausforderungen der Globalisierung.

In diesen Zeiten gewinnen vielerorts Nationalstolz und politische Symbole an Bedeutung. Und kaum ein Vorhaben ist prestigereicher als eine Mond- oder Marslandung. Das sieht auch die politische Führung der Volksrepublik China so. Sie will in den kommenden Jahrzehnten vermutlich ebenfalls Menschen zum Mond schicken, danach vielleicht zum Mars. Damit verleiht sie wiederum den Plänen in den USA Auftrieb, wo Militärs und Raumfahrtstrategen die Volksrepublik als Widersacher sehen.

Die Konturen des neuen Raumzeitalters sind weit von den Idealen entfernt, für die eine Reise zu den Sternen eigentlich stehen sollte.

Vor diesem Hintergrund muss es Raumfahrtfans eigentlich das Herz zerreißen. Zwar geht es endlich wieder voran, nachdem sich fast 50 Jahre lang kein Mensch über den niederen Erdorbit hinausbewegt hat. Doch die Konturen dieses neuen Raumzeitalters scheinen weit von den Idealen entfernt zu sein, für die eine Reise zu den Sternen eigentlich stehen sollte.

In der Populärkultur, der Sciencefiction und den Köpfen vieler Verfechter ist die bemannte Raumfahrt ein edles Unterfangen, mit dem die Menschheit endgültig ihre primitive Vergangenheit hinter sich lässt. Im Weltall gibt es keine Landesgrenzen, keine Nationalitäten. Im Kampf gegen die lebensfeindlichen Bedingungen gibt es nur Menschen, die kooperieren müssen und dabei ihre irdischen Differenzen vergessen.

Die Internationale Raumstation ISS war ein Schritt in diese Richtung, trotz ihres stolzen Preises von mehr als 120 Milliarden Euro und der Tatsache, dass China nicht Teil des Projekts sein durfte. Doch vieles spricht dafür, dass das nächste Kapitel der Raumfahrtgeschichte eine andere Richtung einschlägt. Da ist nicht nur Trumps überhasteter Vorstoß in Richtung Mond, der bisher ohne breite internationale Beteiligung auskommt. Da ist auch die Weigerung von USA, Russland, China, Japan und Indien, einen Vertrag zu unterschreiben, der die Rechtslage auf dem Mond eindeutig regelt. Gleichzeitig erweitern Staaten wie zuletzt Frankreich ihre Streitkräfte um eine »Space Force« – und spornen Unternehmen an, Rohstoffe auf Asteroiden abzubauen.

Nationale Rivalitäten statt internationaler Zusammenarbeit

Die großen Ziele – von einem Dorf auf dem Mond bis zu einer Marslandung – ließen sich hingegen am ehesten mit einer internationalen Staatengemeinschaft erreichen. Hierfür tritt unter anderem Europa ein. Das Drama der bemannten Raumfahrt liegt darin, dass solch eine Koalition vielleicht immer zu zaghaft, abwägend und zerstritten sein wird, um die nötige Entschlossenheit aufzubringen – anders als eitle Präsidenten und Regime, die nach nationaler Größe streben.

Dieses Dilemma verrät auch etwas über die bemannte Raumfahrt an sich: Sie ist kein völlig rationales Unterfangen, das sich einer großen Mehrheit aufgeklärter Steuerzahler ohne Weiteres schmackhaft machen lässt. Es ist gefährlich und teuer, Menschen an der Spitze einer Rakete ins All zu schießen. Und als Lohn locken lediglich Beutel voller Mond- oder Marsgestein sowie der eher kindhafte Stolz, einen bisher unzugänglichen Ort betreten zu haben.

Anhänger betonen gerne den Wert dieser kollektiven Erfahrung. Die Fernsehbilder aus dem Juli 1969 hätten eine ganze Generation von Ingenieuren und Naturwissenschaftlern hervorgebracht, sagen sie. Mit den strengen Methoden der empirischen Sozialforschung hat sich diese Kausalität nie zweifelsfrei erhärten lassen, auch wenn es im Einzelfall durchaus stimmen mag.

Wenig schlagkräftige Gründe

Selbst wenn der Effekt ausgeprägt sein sollte: Als gigantisches Programm zur Rekrutierung von MINT-Nachwuchs ist so eine Mond- oder Marslandung schlicht zu teuer. Und eine Vorbildfunktion hat sie wohl nur, wenn sie auch gelingt. Man täte als Gesellschaft, die staatliche Mittel nach rationalen Kriterien vergibt, also gut daran, noch andere Gründe zu nennen.

Solche Gründe gibt es, aber leider ist keiner von ihnen wirklich schlagkräftig. Es mag zwar sein, dass Astronauten bessere Geologen als ferngesteuerte Roboter sind – aber so viel besser sind sie dann auch nicht. Genauso stimmt es, dass es auf dem Mond Rohstoffe geben könnte, beispielsweise Wassereis an den Polen. Aber braucht man es wirklich für etwas anderes als eine noch anspruchsvollere Reise in die Tiefen des Alls? (Das Helium-3 hingegen, das unter anderem Sciencefiction-Autoren auf dem Mond vermuten, ist übrigens kein plausibler Grund, sondern ein moderner Mythos).

Der Entdeckerdrang wirkt wie aus der Zeit gefallen, wie ein Relikt aus dem 20. Jahrhundert.

Befürworter der bemannten Raumfahrt verweisen außerdem gerne auf den Entdeckerdrang, der gewissermaßen in der DNA des Homo sapiens festgeschrieben sein soll. Seit Menschengedenken seien unsere Vorfahren ins Unbekannte aufgebrochen, was sich langfristig ausgezahlt habe. Die These klingt plausibel, ist jedoch umstritten: Möglicherweise handelt es sich nur um eine kulturelle Neigung, die der moderne Mensch recht spät entwickelt hat.

So oder so haben sich die Rahmenbedingungen verändert: Heute ist unsere gesamte Biosphäre erschlossen – und plötzlich ragt da eine Grenze, jenseits derer völlig andere Bedingungen gelten. Menschen können außerhalb der Erdatmosphäre nur mit ausgeklügelter Technik überleben, wenn überhaupt. Der Preis dafür ist hoch, die Risiken immens.

Und anders als unsere Vorfahren erwartet Raumfahrer am Ziel kein Lebensraum, der die Anstrengungen wettmacht. Selbst der Mars, der von den Planeten im Sonnensystem die größte Ähnlichkeit mit der Erde hat, ist eine unwirtliche Einöde, die Menschen auf lange Sicht nichts zu bieten hat. Anders könnte es höchstens auf Exoplaneten in anderen Sternsystemen aussehen. Heutige Raumschiffe bräuchten dorthin allerdings zehntausende Jahre – mindestens.

Ist das Ziel wirklich die Reise wert?

Somit wirkt der Entdeckerdrang aus der Zeit gefallen, wie ein Relikt aus dem 20. Jahrhundert mit seinen Ideologien und Extremen. Heute prägt völlig zu Recht eine andere Haltung den Zeitgeist: Im Kampf gegen schwindende Ressourcen, ökologische Katastrophen und die globale Erwärmung hinterfragen Menschen zunehmend ihre irrationalen Instinkte und Lebensgewohnheiten.

Dazu sollte auch der Wunsch gehören, andere Himmelskörper zu betreten. Auf der Erde hat die Menschheit alles, was sie zum Leben braucht, einen genügsamen und fairen Umgang mit den Ressourcen vorausgesetzt. Unser Planet hat dabei mehr zu bieten, als ein einzelner Mensch je sehen kann. Und so lebenswert wie hier ist es nirgendwo im für uns erreichbaren Weltall. Wieso also von der Ferne träumen?

Wir sollten unsere Kreativität und unseren Einfallsreichtum lieber anderen Zielen widmen. Welche Industrienation wird als Erste klimaneutral? Welches Land senkt die soziale Ungleichheit zuerst auf ein historisches Minimum? Und wer recycelt 100 Prozent seines Mülls? Solche Ziele sind wichtiger als eine weitere Mondlandung – oder die noch viel aufwändigere Reise zum Mars.

Das soll nicht heißen, dass wir unsere Neugier begraben sollten, im Gegenteil. Wir sollten weiter versuchen, die Welt um uns herum zu verstehen. Wir sollten noch größere Teleskope bauen, autonome Sonden ins All entsenden und der Frage nachgehen, ob wir allein im Universum sind. Aber wir sollten auch akzeptieren, dass der Mensch für die Erde gemacht ist – auch wenn er theoretisch den Mond oder Mars betreten könnte.

Alles zum Thema Mondlandung finden Sie auf unserer Themenseite.

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