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March for Science: Erst demonstrieren, dann reden

Ist die Protestkundgebung, die Forscher in Washington planen, kontraproduktiv? Sie sollte jedenfalls nicht davon ablenken, was Wissenschaftler nun eigentlich leisten müssen.
Wissenschaftler protestieren

Nun müsste eigentlich die Stunde staatlich finanzierter Forschung schlagen. Die Welt ist verunsichert, sie sucht zwischen Troll-Armeen, Fake News und alternativen Fakten nach einem Anker, der festmacht an einem evidenzbasierten, konsensfähigen Verständnis der Welt um uns herum. Wer könnte hier bessere Dienste leisten als die Wissenschaft? Jenes globale Netzwerk aus universitär organisierten Gelehrten, die ihre Aufsätze mit dutzenden Quellenangaben versehen und von ihren schärfsten Konkurrenten gegenlesen lassen?

Das Problem ist: Viele jener Menschen, die es von den Meriten der Rationalität und Reproduzierbarkeit zu überzeugen gälte, glauben das alles nicht. Sie halten Wissenschaftler in entscheidenden Fragen für parteiisch und Schlüsselpublikationen für Auftragsgutachten. Oder sie haben irgendwo mal gehört, dass sich Forscher oft über ihre Ergebnisse streiten, was ja irgendwie nahelegt, dass sie sich so sicher nicht sein können.

Man kann es als Ironie der Geschichte betrachten oder als kausale Folge der allgemeinen Verunsicherung, dass die amerikanische Öffentlichkeit ausgerechnet jetzt einen Menschen mit dieser Haltung ins Weiße Haus gewählt hat. Donald Trump hat seit seiner Wahl zahlreiche Entscheidungen getroffen, die US-Forscher völlig zu Recht in Panik versetzen.

Seit einer Woche macht daher die Idee eines "March for Science" (Marsch für die Wissenschaft) die Runde: Mit einer Großdemonstration in Washington D.C., die Ableger in anderen Städten in und außerhalb der USA finden soll, wollen die Organisatoren an die Bedeutung staatlich finanzierter Forschung erinnern und Politiker zu einer evidenzbasierten Politik auffordern, so die Homepage der Initiative. Angelehnt ist die Aktion an den "Women's March", der am Tag nach Trumps Amtseinführung stattfand.

Wasser auf die Mühlen der Skeptiker

Nicht alle Wissenschaftler halten das für eine gute Idee. Einer von ihnen ist der Küstengeologe Robert S. Young von der Western Carolina University. Solch ein Marsch vergrößere bloß den Graben zwischen Wissenschaftlern und Trumps Anhängerschaft, argumentiert er in einem Gastbeitrag in der "New York Times". Denn mit der Protestkundgebung verstärke man unfreiwillig das Narrativ wissenschaftsskeptischer Konservativer. Diese diskreditieren Wissenschaftler als eine egoistischen Motiven verschriebene Interessengruppe, die ihre Daten und Ergebnisse zur Durchsetzung ihrer Anliegen nutze.

Young spricht in seinem Beitrag tatsächlich ein reales Problem an: Wenn Forscher oder jene, die ihre Ergebnisse kommunizieren, zu Aktivisten werden, kippen sie Wasser auf die Mühlen von Kritikern. Wenn Wissenschaftler in Berichten über ihre Forschung zu dick auftragen, wenn sie unbequeme Ergebnisse unter den Tisch fallen lassen oder wenn sie mit scharfer Rhetorik gegen anders Denkende wettern, machen sie sich und ihren Stand angreifbar.

Diese Gefahr kann man auch in einem Protestzug aus wütenden Wissenschaftlern sehen, der vor Fernsehkameras tritt und Parolen kundtut. Andererseits erleben die Vereinigten Staaten eine historische Ausnahmesituation: Gut möglich, dass Trumps Regierung in die Geschichte eingehen wird, weil sie den Niedergang der Wissenschaftsmacht USA einläutete.

Vor diesem Hintergrund ist es vertretbar, dass Wissenschaftler lautstark auf ihre Situation aufmerksam machen. Ein weltweiter Aufmarsch der Gelehrten wird vermutlich vor allem als verzweifelter Hilferuf wahrgenommen werden – auch weil man ihn von Menschen, denen das Image des unpolitischen Nerdtums anhaftet, in dieser Form nicht erwartet.

Die Frage ist allerdings, wie es nach dem Protestmarsch weitergeht. Es ist ein Irrglaube, dass man Wissenschaftlichkeit – oder eine andere Weltanschauung – auf der Straße durchsetzen kann. Wer Vorbehalte gegenüber Forschenden abbauen will, muss diskutieren statt skandieren. Er muss Skeptiker in Labore einladen, Vorträge außerhalb der universitären Blase halten und auch unangenehme Fragen beantworten.

Hier sind ebenso die Arbeitgeber der Wissenschaftler gefragt: Universitäten und Forschungsorganisationen müssen größere Freiräume und mehr Anreize für das öffentliche Engagement ihrer Mitarbeiter schaffen. Sie sollten mehr Wert auf eine Forschungskommunikation legen, die Erkenntnisse zu gesellschaftlichen Schlüsselfragen bündelt und bei der Rückfragen erwünscht sind. All das wünschen sich Experten in Deutschland seit Jahren. Der Marsch für die Wissenschaft könnte den entscheidenden Impuls in diese Richtung geben – diesseits und jenseits des Atlantiks.

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