Eulbergs tönende Tierwelt: Der große Baumhämmerer

Ab dem ausgehenden Winter hallen sie durch unsere lichten Wälder: Trommelwirbel, die von den Stämmen alter Bäume aus erklingen. Schon Kinder nennen den Specht als Urheber dieser rhythmischen Klänge. Tatsächlich leben in Deutschland bis zu zehn verschiedene Spechtarten, neun davon sind regelmäßige Brutarten. Der Buntspecht (Dendrocopos major) ist mit Abstand unsere häufigste – rund eine Million Buntspechtreviere existieren hierzulande. Was bei Singvögeln der Gesang, ist bei Spechten das Trommeln: Sie markieren damit ihr Revier und suchen nach einem Partner. Die Trommelwirbel der einzelnen Arten sind sehr unterschiedlich. Rhythmus, Länge, Schlagzahl der Wirbel sowie der zeitliche Abstand zwischen den Schlägen ist charakteristisch für die jeweilige Art. Der Trommelwirbel des Buntspechts besteht meist aus 10 bis 15 Schlägen und dauert eine halbe bis eine Sekunde.
Bis zu 12 000-mal hämmert ein emsiger Specht täglich auf dicke, trockene, resonante Äste ein, aber auch mal auf Dachrinnen, Straßenlaternen, Feuerwehrsirenen, Satellitenschüsseln oder Rollladenkästen: auf alles, was wie ein Verstärker eben den Schall weit trägt. Jeder Schlag ist vergleichbar mit einem Aufprall des Schnabels gegen eine Wand mit 25 Kilometern pro Stunde, wobei Abbremsungskräfte von bis zum 1200-Fachen der Erdbeschleunigung (g) entstehen – zum Vergleich: In einem Düsenjet sind es bis zu 14 g.
Um dies auszuhalten, besitzt der Buntspecht verschiedenste Sicherheitsausstattungen in seinem Körperbau. So findet sich zwischen Schnabel und Schädel das in der Vogelwelt einmalige Zungenbein des Spechts. Das ist eine Führschiene, in der die extrem lange Zunge »geparkt« ist, wenn sie nicht gebraucht wird. Diese Zungen-Röhre windet sich vom Schnabel über den Nacken einmal um den ganzen Schädel, teilt sich zwischen den Augen und erstreckt sich bis hin zum Nasenloch. Da sie sehr elastisch ist, leitet sie viel Energie ab und fungiert zudem als eine Art Sicherheitsgurt für das Gehirn. Dieses wiederum ist beim Specht sehr klein – ein Hauptgrund dafür, dass der Vogel beim Hämmern wohl keine Kopfschmerzen bekommt. Das kleine Gehirn wird beim Hämmern verhältnismäßig wenig erschüttert. Wäre es größer, würde es proportional mehr Energie aufnehmen. Außerdem ist das Spechtgehirn von besonders wenig Gehirnflüssigkeit umgeben, sitzt somit starr im Schädel und wird durch die entstehenden Schockwellen nicht von innen gegen die Schädeldecke geschleudert – das verhindert eine Gehirnerschütterung.
Extrem starke Muskeln rund um Schädel und Nacken wirken zusätzlich stabilisierend. Ähnlich wie ein Boxer, der einen Schlag herannahen sieht, werden diese kurz vor dem Aufprall gegen das Holz angespannt. Um zu verhindern, dass der Specht das entstehende Holzmehl einatmet, verschließen kleine Federn seine Nasenlöcher. Eine Millisekunde vor dem Aufprall schließt er zudem die Augen, um sie vor umherfliegenden Holzspänen zu schützen.
Häufig sind neben dem Trommeln auch scharfe, kurze »Kix«-Rufe von Buntspechten zu hören. Mit diesen Kontaktrufen verständigen sich die Spechte im Familienverband und geben Informationen zu ihrem Standort.
Im Gegensatz zu anderen Jungvögeln, die sich möglichst still verhalten, um nicht entdeckt zu werden, rufen Jungspechte vor allem in der zweiten Bruthälfte nahezu unentwegt am Höhleneingang, um ihre Eltern zur Fütterung aufzufordern. Das tun sie, weil sie sich im Inneren der Höhle sicher fühlen und mit ihrem kräftigen Schnabel bereits sehr wehrhaft sind. Das kontinuierliche Gezeter der Jungtiere ist schon von Weitem hörbar, sodass man Spechthöhlen zu dieser Jahreszeit gut bei Streifzügen durch die Natur ausfindig machen kann.
Buntspechte zimmern nicht eine Bruthöhle am Stück, sondern beginnen viele Höhlen anzulegen und bearbeiten diese dann erst sukzessive weiter, wenn das Holz durch Verwitterung und Pilze morscher geworden ist. Schon die Schnäbel der Spechte beherbergen Pilzsporen, mit den sie das Holz »impfen«. Diese Pilze spielen eine Schlüsselrolle beim Verrotten des Holzes.
Spechte haben so eine extrem wichtige Funktion im Ökosystem Wald, da sie jedes Jahr neue Bruthöhlen anlegen. Über 60 Tierarten nutzen diese Behausungen als Nachmieter: Meisen, Kleiber, Hohltauben, Eulen, Fledermäuse, Siebenschläfer, Marder, Eichhörnchen, Waldmäuse, Hornissen und viele weitere. Nistkästen, wie wir sie gerne im Garten aufhängen, sind letzten Endes nichts anderes als künstliche Baumhöhlen. Sie werden überall dort gebraucht, wo es nur noch wenige bis keine alten Bäume und damit auch nicht ausreichend Spechthöhlen gibt.
Stabile Schwanzfedern stützen den Buntspecht bei seinen Kletterpartien. Zudem kann er eine Zehe seiner Füße, die Wendezehe, für zusätzlichen Halt wie ein Schweizer Taschenmesser nach hinten klappen. Buntspechte hacken Insektenlarven aus morschem Holz und sammeln diese mit ihrer langen Zunge ein. Schon sein lateinischer Name weist auf seine hämmernden Tätigkeiten hin, denn Dendrocopos major bedeutet so viel wie »großer Baumhämmerer«. Außerdem ist er im Vergleich zu den beiden anderen häufiger hier vorkommenden schwarz-weiß-rot gefärbten Schwesternarten, Mittel- und Kleinspecht, der größte dieses Verbunds. Das Männchen ist übrigens gut an seinem roten Nackenfleck vom Weibchen zu unterscheiden.
- Der BuntspechtHier finden Sie alle wichtigen Eckdaten sowie Beobachtungstipps rund um den bunten Architekten.
- Steckbrief
Klasse: Vögel
Ordnung: Spechtvögel
Familie: Spechte
Größe: 22 bis 23 Zentimeter
Gewicht: 70 bis 90 Gramm
Fortpflanzungsperioden pro Jahr: 1 bis 2
Nachkommen pro Periode: 5 bis 7
Höchstalter: 9 Jahre
Bundesweiter Gefährungsgrad (Rote Liste): nicht gefährdet
Volkstümlicher Name: Rotspecht
- Beobachtungstipps© Meisterfoto / stock.adobe.com (Ausschnitt)Praktisch | Um bequem ihre Nahrung verzehren zu können, hier eine Walnuss, klemmen Buntspechte diese in Spalten von Rinden oder Baumstämmen ein. Das erfordert ein hohes Maß an Intelligenz und Lernvermögen.
Der Buntspecht hält sich ganzjährig in Wäldern, Parks und Gärten auf. Am besten spitzt man bei einem Streifzug die Ohren und folgt dem hämmernden Sound.
Buntspechte erbeuten immer wieder andere Jungvögel, vor allem von Meisen. Einige Individuen haben sich gar darauf spezialisiert. Dazu hämmern sie mitunter gezielt Nistkästen aus Holz oder Bruthöhlen auf, um die Nestlinge zu entnehmen. Im Winter ernähren sie sich im Gegensatz zu allen anderen Spechten hauptsächlich von Nadelbaumsamen. Dafür legen sie sogenannte »Specht-Schmieden« an. Sie nutzen dazu Rindenspalten an Baumstämmen oder meißeln gezielt Kuhlen in die Rinde, in die sie die Zapfen der Größe nach passend einklemmen, um die Samen bequem herauspicken zu können. Eine beeindruckende Leistung, die ein hohes Maß an Intelligenz und Lernvermögen beweist.
Im Frühjahr kann man Buntpechte beim Saftlecken an Bäumen beobachten. Dazu hacken die Vögel rings um einen Stamm, etwa an einem Ahorn oder einer Linde, kleine Löcher mit ihrem Schnabel in die Rinde. Diese füllen sich dann langsam mit aufsteigenden Baumsäften. »Ringeln« nennt man diese Form der Nahrungsaufnahme. Glaubt man dem Volksmund, dann sind Buntspechte wahre Schluckspechte. Aber bitte keine voreiligen Schlüsse: Der aufgenommene Baumsaft ist frisch und unvergoren.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.