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Eulbergs tönende Tierwelt: Die Wehmut der Wiesen

Die melancholischen Balzrufe des Großen Brachvogels bewegen unseren Kolumnisten bis ins Mark. Von einer klanglichen Wunderwelt, die in rasendem Tempo schwindet.
Illustration eines Vogels mit einem langen, gebogenen Schnabel und detailliert gezeichnetem Gefieder in Brauntönen. Der Hintergrund ist dunkel, was den Vogel hervorhebt, mit Fokus auf die Textur und das Muster des Gefieders.
Der Große Brachvogel ist unsere größte Watvogelart. Man kann ihn vor allem im Winter an den Küsten beobachten. Leider gilt die Art bundesweit als »vom Aussterben bedroht«.
Wissen Sie, wie ein Siebenschläfer klingt? Warum der Pirol auch Regenkatze genannt wird? Vermutlich nicht – obwohl diese Lebewesen Teil unserer heimischen Fauna sind. In der Kolumne »Eulbergs tönende Tierwelt« stellt der Techno-Künstler, Ökologe und Naturschützer Dominik Eulberg faszinierende Exemplare aus der Tierwelt vor unserer Haustür vor. Podcast-Tipp: In WUNDERKAMMER feiert er mit dem »Zeit«-Reporter Fritz Habekuß die Schönheit der Natur.

Die melancholischen Rufe des Großen Brachvogels (Numenius arquata) gehören für mich zu den ergreifendsten heimischen Tierstimmen. Im zeitigen Frühjahr kann man diese wunderbar trillernden, flötenden Strophen, mit denen die männlichen Brachvögel ihr Revier abgrenzen, in Mooren und Feuchtgebieten vernehmen. Im Volksmund heißt die Art daher auch »Märzflöte«. Die Balzrufe werden entweder im Flug oder am Boden kundgetan:

Seine charakteristischen »kur-li«-Kontaktrufe sind hingegen ganzjährig zu vernehmen. Ihnen verdankt der Vogel seinen lautmalerischen, englischsprachigen Namen »curlew« oder auch seinen französischen Namen »courlis«.

Früher spannte sich um die wehmütigen Rufe des Brachvogels der Aberglaube, sie könnten Regen ankündigen oder sogar den Tod voraussagen. Oft galten sie als die Stimmen Verstorbener, was dem Vogel eine mystische und unheilvolle Bedeutung verlieh. Schon der berühmte Komponist Olivier Messiaen hat sich von der melancholischen Magie des Brachvogels verzaubern lassen und sie im 13. Satz seines Klavierzyklus »Catalogue d'oiseaux« übersetzt.

Der Große Brachvogel ist unsere größte Watvogelart. Man kann ihn vor allem im Winter gut an den Küsten beobachten. Charakteristisch ist der lange und stark nach unten gekrümmte Schnabel, der knapp ein Drittel der Gesamtlänge des Schnepfenvogels ausmachen kann. Bei den deutlich größeren Weibchen misst er mindestens 13,5 Zentimeter, kann aber sogar bis zu 19 Zentimeter lang werden, was in etwa der Länge eines kleinen Storchenschnabels entspricht. Männliche Brachvögel haben in der Regel eine Schnabellänge unter 12,3 Zentimetern. Durch diesen wesentlichen Geschlechtsdimorphismus konkurrieren die beiden Partner bei der Nahrungssuche weniger um die gleichen Ressourcen. Auch sein wissenschaftlicher Artname arquata leitet sich von der besonderen Schnabelform ab und bedeutet so viel wie »bogenförmig«. Jungvögel haben nach dem Schlüpfen übrigens noch einen kurzen, geraden Schnabel.

  • Der Brachvogel

    Hier finden Sie alles Wissenswerte sowie Beobachtungstipps rund um den Brachvogel.

  • Steckbrief

    Klasse: Vögel

    Ordnung: Regenpfeiferartige

    Familie: Schnepfenvögel

    Größe: 50 bis 60 Zentimeter

    Gewicht: 410 bis 1360 Gramm

    Fortpflanzungsperioden pro Jahr: 1

    Nachkommen pro Periode: 3 bis 5

    Höchstalter: 32 Jahre

    Bundesweiter Gefährungsgrad (Rote Liste): vom Aussterben bedroht

    Volkstümlicher Name: Kronschnepfe, Märzflöte

  • Beobachtungstipps

    Man trifft den Brachvogel von März bis August auf extensiv genutztem Grünland, Mooren und Feuchtwiesen an, aber auch ganzjährig als Wintergast, vor allem an der Küste.

    Zugeschnappt | Ein Großer Brachvogel fischt mit seinem langen, gebogenen Schnabel einen Leckerbissen aus dem Watt.

Der gebogene Schnabel ist ein ideales Werkzeug, um Schnecken, Insekten und Würmer vom Boden aufzulesen oder in Erdlöchern aufzustöbern. Dazu ist der vordere Teil elastisch wie Gummi und kann sich optimal den Windungen der Tunnelsysteme anpassen. Gleichzeitig befinden sich an seiner Spitze viele Nervenfasern, dank denen der Brachvogel seine Beute im Boden mit einem fantastischen Tastsinn sondieren kann. Dieses Multifunktionswerkzeug ist auch eine hervorragende Pinzette: Mit ihr lassen sich Schnecken und Muscheln aus ihren Schalen herauszuziehen.

Der Klang von im Moor balzenden Brachvögeln ist ein Spektakel, das mich bis ins Mark bewegt. Es ist eine Wunderwelt, die jedoch in galoppierendem Tempo schwindet. Denn nur etwa fünf Prozent der ursprünglichen Moore in Deutschland sind noch naturnah oder intakt. So sind die heimischen Bestände des Brachvogels in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen und die Art wird auf der bundesweiten Roten Liste als »vom Aussterben bedroht« (Gefährdungsgrad 1) geführt.

Der Große Brachvogel | Charakteristisch ist der lange und stark nach unten gekrümmte Schnabel, der beim Weibchen deutlich länger ist. Im Übrigen sehen die Geschlechter gleich aus: Beide sind eher unscheinbar beige-braun gefärbt und haben dunklen Streifen und Flecken.

Durch Entwässerung, aber auch zunehmende Verbuschung aufgrund fehlender Beweidung erlebt der Brachvogel einen Lebensraumverlust von offenen und feuchten Flächen als Bruthabitat. Die intensive Bewirtschaftung mit zu früher Mahd ist ein weiteres, unüberwindbares Problem für die bodenbrütende Art. Hinzu kommt die Zunahme von Fressfeinden wie Füchsen, Waschbären, aber auch Hauskatzen oder streunenden Hunden. Sie setzen dem Brachvogel immer weiter zu. Zudem leidet die Art unter dem fortschreitenden Klimawandel. So kann sie etwa auf zu trockenen Böden nicht mit ihrem »Superschnabel« nach Fressbarem stochern.

Brachvögel können sehr alt werden, gar über 30 Jahre. Dies täuscht mitunter über die wirkliche Bestandssituation hinweg, denn der jährliche Bruterfolg reicht oft nicht aus, um die Population langfristig zu sichern. Gerade einmal 2700 Brutpaare gibt es aktuell noch in Deutschland, Tendenz weiter abnehmend.

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