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Eulbergs tönende Tierwelt: Unser treuer Begleiter

Kaum eine Vogelstimme ist uns so vertraut wie das Tschilpen des Haussperlings. Immerhin begleitet er den Menschen seit über 10 000 Jahren als Kulturfolger. Doch einst galt unser »Spatz« als Schädling und Schmarotzer; Milliarden Vögel fielen dem Irrglauben zum Opfer – mit verheerenden Folgen für Ökosysteme.
Eine detaillierte Illustration eines Vogels, der auf einem Ast sitzt. Der Vogel hat ein braunes Gefieder mit schwarzen und weißen Streifen auf den Flügeln und einen grauen Kopf. Ein grünes Blatt ist neben dem Vogel sichtbar. Die Darstellung betont die natürlichen Farben und Muster des Vogels.
Wie kaum ein anderer Vogel ist der Haussperling an das Leben der Menschen angepasst. Mit einem Bestand von etwa 1,6 Milliarden Individuen gilt er als die häufigste wildlebende Vogelart weltweit.
Wissen Sie, wie ein Siebenschläfer klingt? Warum der Pirol auch Regenkatze genannt wird? Vermutlich nicht – obwohl diese Lebewesen Teil unserer heimischen Fauna sind. In der Kolumne »Eulbergs tönende Tierwelt« stellt der Techno-Künstler, Ökologe und Naturschützer Dominik Eulberg faszinierende Exemplare aus der Tierwelt vor unserer Haustür vor. Podcast-Tipp: In WUNDERKAMMER feiert er mit dem »Zeit«-Reporter Fritz Habekuß die Schönheit der Natur.

Ich liebe das sanfte, liebliche und dennoch so keck und aufgeweckt wirkende Tschilpen der Spatzen sehr. Mehr als viele andere hochgepriesene Vogelstimmen sogar, denn es schenkt mir ein herrlich vertrautes, wohliges und heimeliges Gefühl. Wie eine Medizin beruhigt es mich, nimmt mich wie ein Freund an die Hand – auch auf meinen weltweiten Reisen. Es ist, als wäre jedes Mal ein Stückchen Heimat mit dabei.

Sowohl das Wort »Sperling« als auch seine Koseform »Spatz« stammen vom althochdeutschen »sparo« ab, was so viel wie »zappeln« bedeutet. Dies bezieht sich auf sein rastloses, emsiges Verhalten und sein beidbeiniges Umherhüpfen, das auf uns unruhig wirkt. Auch sein englischer Name »sparrow« leitet sich auf diese Weise her.

Wie kaum ein anderer Vogel ist diese gesellige Art an das Leben der Menschen angepasst. Einst Steppenbewohner, schloss er sich uns bereits vor mehr als 10 000 Jahren als einer der ersten Kulturfolger an. Mittlerweile lebt der Haussperling, bis auf die Polargebiete und die Antarktis, auf jedem Kontinent der Erde. Mit einem Bestand von etwa 1,6 Milliarden Individuen gilt er als die häufigste wildlebende Vogelart.

Seine Häufigkeit und geringe Scheu dürften auch der Grund sein, warum es zu kaum einer anderen Vogelart mehr Redewendungen gibt. Alle sind jedoch recht unterschiedlich konnotiert: »Mein Goldspatz«, »Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach«, »Mit Kanonen auf Spatzen schießen«, »Die Spatzen pfeifen es von den Dächern«, »Jemand isst wie ein Spatz« oder »Ein Spatzenhirn haben«. Spatzen sind sehr reinliche Vögel, die mehrmals am Tag baden oder gerne auch mal ein Staubbad nehmen. Diese Eigenart hat ihnen den irreführenden Namen »Dreckspatz« eingebracht. Selbst das Wort Spätzle leitet sich von dem Vogel ab: Es ist die schwäbische Verkleinerungsform von Spatz, da die Gestalt der Teigwaren mit jener der Spatzen verglichen wurde.

  • Der Haussperling
    Hier finden Sie alle wichtigen Eckdaten sowie Beobachtungstipps rund um den emsigen Spatz.
  • Steckbrief

    Klasse: Vögel

    Ordnung: Sperlingsvögel

    Familie: Sperlinge

    Größe: 14 bis 15 Zentimeter

    Gewicht: 22 bis 32 Gramm

    Fortpflanzungsperioden pro Jahr: 2 bis 4

    Nachkommen pro Periode: 3 bis 4

    Höchstalter: 14 Jahre

    Bundesweiter Gefährungsgrad (Rote Liste): nicht gefährdet

    Volkstümlicher Name: Spatz

  • Beobachtungstipps

    Der Haussperling hält sich ganzjährig in Siedlungsbereichen auf.

    Von wegen Dreckspatz | Sperlinge lieben es, zu baden. Ob in Pfützen oder – wie hier ein männlicher Haussperling – im Staub. Der Dreck hilft ihnen, ihr Gefieder von Parasiten zu befreien.

Haussperlinge sind bestens an das Leben in der Stadt angepasst, wie wir es wohl alle schon in Straßencafés oder Imbissbuden erlebt haben. Auch haben sie gelernt, weitere ungewöhnliche Nahrungsgründe zu erschließen: So lesen sie immer mal wieder tote Insekten an Kühlergrills und Frontscheiben parkender Autos auf oder auch an abgestellten Zügen. In Mexiko City wurde beobachtet und erforscht, wie Spatzen Zigarettenstummel in ihre Nester einarbeiten. Das darin enthaltene Nikotin reduziert tatsächlich signifikant die Anzahl der Parasiten. Es ist allerdings fraglich, ob es sich dabei um eine bewusste Parasitenabwehr handelt oder ob die Kippen eher zum Zweck der Wärmedämmung ins Nest eingetragen werden. Auch die Sinnhaftigkeit des Effekts im Vergleich zu den direkten gesundheitsschädlichen Auswirkungen des Nikotins auf die Vögel ist fraglich.

Der Haussperling (Passer domesticus) hat eine engverwandte Schwesternart, den Feldsperling (Passer montanus). Beide stammen von einem gemeinsamen Vorfahren ab. Die etwas kleineren Feldsperlinge kann man gut an dem dunklen Wangenfleck und der kastanienbraunen Kopfbefiederung erkennen. Interessanterweise sehen bei ihm beide Geschlechter gleich aus, wohingegen beim Haussperling ein deutlich ausgeprägter Sexualdimorphismus vorliegt: Männchen weisen ein wesentlich kontrastreiches Gefieder auf, mit grauer Kopfplatte und markantem schwarzem Brustband.

Herr und Frau Spatz | Das Federkleid der Männchen ist kontrastreicher als das der Weibchen. Erstere haben einen schwarzen Kehlfleck sowie einen kastanienbraunen Nacken und grauen Scheitel. Die weiblichen Tiere sind matt-bräunlich und eher unscheinbar. Sie haben einen graubraunen Kopf und hinter dem Auge einen hellen Streifen.

Dies liegt zum einen daran, dass Haussperlinge komplexere Sozialstrukturen haben und oft in größeren Kolonien leben, in denen Männchen stark um die Weibchen konkurrieren. Letztere bevorzugen Männchen mit einem großen, dunklen Brustlatz, da der ein Indikator für gute Gene und biologische Fitness ist. Durch diese sexuelle Selektion wurde das Merkmal mit der Zeit verstärkt. Zum anderen ist der Haussperling im Gegensatz zum Feldsperling eher ein Halbhöhlenbrüter, der auch in offenen Stellen wie Gebäudenischen, Mauerlücken, unter Dachziegeln oder in Lüftungsschächten brütet. Ein gedecktes Tarngefieder des Weibchens als Schutz vor Fressfeinden ist hier also wichtiger, als es beim höhlenbrütenden Feldsperling der Fall ist. Dieser baut sein Nest in geschlossenen Baumhöhlen oder Nistkästen, wo die Weibchen nicht besonders gut getarnt sein müssen. Kommen übrigens beide Elternteile während der Aufzucht der Jungen abhanden, so füttern mitunter andere Haussperlinge der Kolonie als Bruthelfer den Nachwuchs bis zur Selbstständigkeit durch. 

Früher galten die einst deutlich zahlreicher vorkommenden Haussperlinge irrtümlicherweise als Schädlinge und Schmarotzer; sie waren als »Korndiebe« verschrien. Im 18. Jahrhundert mussten die Bewohner in manchen Gebieten pro Jahr gar 20 tote Spatzen als »Spatzensteuer« abtreten. Noch im 20. Jahrhundert gab es spezielle Futterhäuschen des Bundes für Vogelschutz namens »Antispatz«, »Kontraspatz« oder »Spatznit«, die Haussperlinge ausschlossen. Der »unnütze« Spatz sollte nichts abbekommen.

Doch Mao Tse-tung war es, der 1958 in China »den Vogel abschoss« – im wahrsten Sinn des Wortes. Er kam auf die »glorreiche Idee«, die gesamte Bevölkerung von 600 Millionen Menschen dazu anzuhalten, sämtliche Nester von Spatzen zu zerschlagen. Außerdem sollten sie so lange auf Töpfe und Pfannen eintrommeln, bis die Tiere vor Erschöpfung vom Himmel fielen. Etwa zwei Milliarden Vögel wurden während dieser »Kampagne zur Eliminierung der Spatzen« innerhalb weniger Tage getötet. Die Folge: ein Zusammenbruch der Ökosysteme. Insekten konnten sich ungehindert vermehren, wodurch es zu gigantischen Kalamitäten und damit Ernteausfällen kam und dutzende Millionen Menschen verhungerten.

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