Eulbergs tönende Tierwelt: Unser heimliches Wappentier

Der eindrucksvolle Rotmilan (Milvus milvus) ist im Flug gut an seiner deutlich ausgeprägten Schwanzgabelung zu erkennen, weshalb er im Volksmund auch »Gabelweihe« genannt wird. Mit einer Spannweite von bis zu 1,75 Metern ist er größer als ein Mäusebussard. Zur Balzzeit vollführen die Paare akrobatische Kunstflüge und geben dabei häufig ein wieherndes Trillern von sich:
Der Rotmilan jagt seine Beute im Suchflug und nicht, wie viele andere Greifvögel, von einem Ansitz aus. So kann man ihn häufig bei seinen äußerst eleganten Gleitflügen beobachten. Stundenlang schwebt er dabei mit seinen aerodynamischen Flügeln im Wind. Nur mit seinem langen Gabelschwanz steuert er die Richtung. Er ist ein echter Nahrungsopportunist: Er erbeutet Kleinsäuger, Vögel, Regenwürmer, Großkäfer, Reptilien, Amphibien, Fische oder auch Aas. In unserem Ökosystem fungiert er als eine Art Müllabfuhr, sammelt überfahrene Tiere an und auf Straßen oder Mähopfer auf Wiesen auf.
Seine Nester legt er meist hoch oben in großen Bäumen an und schmückt sie kurioserweise mit allerlei bemerkenswerten Fundstücken. So fand man neben Plastiktüten, Unterwäsche, Arbeitshandschuhen und Tennisbällen sogar Plüschtiere, die ins Nest eingebaut wurden. Schon William Shakespeare schrieb in »The Winter's Tale«: »Wenn der Milan sein Nest baut, pass auf die Wäsche auf!« Warum er diese Gegenstände sammelt, ist bis heute nicht wissenschaftlich geklärt. Vielleicht dienen sie zur Reviermarkierung oder sollen Nesträuber täuschen?
Der imposante Greifvogel verdankt seinen Namen seinem auffällig rostrot gefärbten Gefieder. Das Wort Milan ist aus dem Französischen entlehnt und geht wiederum auf das lateinische »milvus« zurück, das in der Antike bereits für bestimmte Greifvögel verwendet wurde. In England wird der Rotmilan passenderweise »red kite« genannt, denn er vermag in luftigen Höhen wie ein Drachen zu gleiten.
Die weltweit häufigste Greifvogelart ist die Schwesterart des Rotmilans, der Schwarzmilan (Milvus migrans). Sein enorm großes Verbreitungsgebiet erstreckt sich über weite Teile Europas, Asiens und Afrikas sowie Bereiche Australiens. Der Rotmilan brütet hingegen (bis auf eine Handvoll Ausnahmen in Nordwestafrika) ausschließlich in Europa. Bei keiner anderen Vogelart konzentriert sich der Verbreitungsschwerpunkt so stark auf Deutschland wie beim Rotmilan: 50 bis 60 Prozent der gesamten Weltpopulation brüten hier. Wir beheimaten etwa 15 000 Brutpaare. Deshalb wird er auch als der heimliche Wappenvogel Deutschlands bezeichnet. Wir tragen also eine besondere Verantwortung für den Schutz und Erhalt dieser Art.
Der Rotmilan ist ein Teilzieher. Ältere Tiere bleiben je nach Nahrungsangebot immer häufiger den Winter über in Deutschland. Jungtiere hingegen ziehen häufig in den Süden Europas und bilden dabei oft größere Gruppen.
Nicht nur die Risiken während des Zugs bedrohen den Rotmilan, auch seine Nahrungsgrundlage ist durch die intensive Landwirtschaft in Gefahr. Wenn Nagetiere mit chemischen Mitteln bekämpft werden, findet der Greifvogel weniger Nahrung. Das kann sogar Sekundärvergiftungen der Rotmilane verursachen, wenn Rattengift verwendet wird.
Wie sich außerdem gezeigt hat, verunglücken Rotmilane proportional häufiger als andere Vogelarten an Windkraftanlagen. Je nach Quelle und Schätzung gibt es in Deutschland zwischen 500 und 3000 Rotmilan-Schlagopfer pro Jahr. Diese sogenannten Green-Green-Konflikte zwischen nachhaltigen Energiequellen und Biodiversitätsschutz werden mitunter sehr hitzig und emotional geführt. Fakt ist: Für die notwendige Energiewende brauchen wir Windkraft.
Schätzungen zufolge sterben in Deutschland jedoch jährlich etwa 100 000 Vögel durch Kollisionen mit Windkraftanlagen. Wichtig ist es dabei, diese Zahl richtig einzuordnen und zu berücksichtigen, welche Rolle diese Todesursache verglichen mit anderen spielt. So töten allein Hauskatzen in Deutschland geschätzt zwischen 44 und 132 Millionen Vögel jährlich, was in etwa dem 1000-Fachen der Opfer durch Windkraftanlagen-Kollisionen entspricht. Manche Experten gehen sogar von bis zu 200 Millionen Vögeln im Jahr aus. In Deutschland leben rund 11 bis 16 Millionen freilaufende Hauskatzen. Streunerkatzen sind in der Statistik nicht enthalten und erhöhen die Zahl an erlegten Vögeln erheblich, da sie mehr jagen als Hauskatzen mit Freigang.
Allerdings sind die meisten Katzenopfer Singvögel mit einer viel höheren Reproduktionsrate und einer geringeren Lebenserwartung. Sie lassen sich somit nicht mit einem Greifvogel gleichsetzen, der in der Regel sehr alt wird.
- Der RotmilanHier finden Sie alles Wissenswerte sowie Beobachtungstipps rund um den beeindruckenden Greifvogel.
- Steckbrief
Klasse: Vögel
Ordnung: Greifvögel
Familie: Habichtartige
Größe: 56 bis 73 Zentimeter
Gewicht: 750 bis 1400 Gramm
Fortpflanzungsperioden pro Jahr: eine
Nachkommen pro Periode: 2 bis 3
Höchstalter: 30 Jahre
Bundesweiter Gefährdungsgrad (Rote Liste): nicht gefährdet
Volkstümlicher Name: Gabelweihe
- Beobachtungstipps© Derek Middleton / FLPA / Minden Pictures / picture alliance (Ausschnitt)Kunstvoll gefertigt | Ihre Nester legen Rotmilane meist hoch oben in großen Bäumen an.
Man kann den Rotmilan ganzjährig in Deutschland beobachten. Er lebt in strukturreichen, abwechslungsreichen offenen Landschaften in der Nähe von Wäldern.
Speziell bei Rotmilanen zeigte ein Vergleich der Populationsentwicklungen in Bezug auf die Windkraftanlagendichte einerseits: Je mehr Anlagen in einem Gebiet standen, desto stärker sank die Zahl der Rotmilane. Andererseits deuten Zwischenergebnisse einer europaweit durchgeführten Besenderungs- und Zählkampagne darauf hin, dass Windkraftanlagen zumindest in Gesamteuropa »nur« für rund vier Prozent der Gesamtmortalität bei Rotmilanen verantwortlich sind. Damit liegen sie laut dieser Studie deutlich hinter anderen Ursachen wie Vergiftung, Verkehr, Stromschlag und Jagd und sind erst die sechsthäufigste menschengemachte tödliche Gefahr.
Wir sollten Lösungen für diese Konflikte formulieren, statt uns zu streiten. So können etwa moderne KI-Kamerasysteme einen Rotmilan schon von Weitem identifizieren und ein Windrad abschalten, sollte der Vogel ihm bei seinen Gleitflügen zu nahe kommen. Auch das Anstreichen eines einzelnen Rotorblatts, etwa mit schwarzer Farbe, kann bereits die Anzahl der durch Kollision getöteten Vögel an Windkraftanlagen signifikant reduzieren, oft um etwa 70 Prozent. Für Vögel »verschmelzen« im Flug die schnell drehenden, weißen Rotorblätter optisch zu einer transparenten Fläche, sie erkennen daher häufig die Gefahr nicht. Ein einzelnes schwarz gefärbtes Blatt durchbricht dieses Muster, da durch das Anstreichen ein stärkerer Kontrast zwischen den Rotorblättern entsteht. So können die Vögel die Windkraftanlagen besser als Hindernis erkennen und ihnen leichter ausweichen.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.