Eulbergs tönende Tierwelt: Die erstaunlichen Tricks des Kuckucks

Jedes Kind kennt den Kuckuck (Cuculus canorus). Diesen Namen verdankt er natürlich seinem markanten Ruf. Mit der weltbekannten Kuckucksuhr aus dem Schwarzwald, deren Schlagwerk den Kuckuck-Ruf imitiert, hat der Singvogel sogar einen eigenen Uhrentyp. Ab Mitte April kann man die unverwechselbaren Werberufe der männlichen Kuckucke in unseren Gefilden hören. Dann sind sie aus ihren Überwinterungsquartieren zurückgekehrt.
Da der Ruf des Kuckucks so eingängig ist wie kaum eine andere Vogelstimme, gibt es unzählige Sprichwörter und Mythen über ihn. So glaubte man früher, dass es ein finanziell gutes Jahr werde, wenn man den ersten Kuckucksruf des Jahres vernehme und dabei viel Geld im Portemonnaie habe. Man unterstellte ihm wahrsagerische Fähigkeiten – etwa, dass er einem Menschen die noch vor ihm liegenden Lebensjahre vorhersagen könne. Daher stammt die Redewendung »Weiß der Kuckuck«. Im Frühling entdeckt man in Wiesen häufig schaumige Gebilde, die aussehen, als hätte jemand ins Gras gespuckt. Im Volksmund nennt man sie auch »Kuckucksspeichel«, da sie in der Zeit zu finden sind, in der der Kuckuck ruft. In Wirklichkeit haben sie mit ihm jedoch nichts zu tun. Stattdessen haben Schaumzikaden hier ihre Kinderstube errichtet.
Schon sehr früh war bekannt, dass der Kuckuck anderen Vögeln »Kuckuckseier« ins Nest legt und seine Jungen von fremden Eltern aufziehen lässt. Deshalb galt er als herzlos oder gar teuflisch. Aus anderen Redensarten weiß man aber: »Wenn man den Teufel nennt, dann kommt er gerannt«, weshalb man auch »den Teufel nicht an die Wand malen« soll. Deshalb ruft man also lieber »zum Kuckuck nochmal«, wenn man sich über etwas ärgert.
Der Kuckuck ist die einzige heimische Vogelart, die Brutparasitismus betreibt, ihre Eier also nicht selbst ausbrütet, sondern sie unfreiwilligen Zieheltern unterjubelt. Weltweit gibt es 140 Arten aus der Familie der Kuckucke (Cuculidae). Die in Deutschland vorkommende Kuckucksart parasitiert ausschließlich Singvögel. Doch diesen ähneln sie nur oberflächlich. Bei Singvögeln zeigt die erste Zehe immer nach hinten, die drei anderen nach vorn. Beim Kuckuck hingegen sind die erste und die vierte Zehe nach hinten gerichtet, die zweite und dritte nach vorn.
Ein Kuckuck mutet im Flug auf den ersten Blick an wie ein Greifvogel. Auch die markante Brustbänderung und die gelbe Iris erinnern an einen Sperber. Und genau das sollen sie auch. Mit diesem Täuschungstrick, einer Form der Mimikry, gaukelt der Kuckuck den Wirtsvögeln die Anwesenheit eines gefährlichen Greifvogels vor und vertreibt sie so kurzzeitig von ihrem Nest.
Es gibt zwei Farbvariationen weiblicher Kuckucke: eine graue Sperber-Morphe, die dem Männchen ähnelt, und eine rostbraune Morphe, die wie eine komplett andere Vogelart aussieht und eher an einen Turmfalken erinnert. Dieser »Tarnmantel« irritiert die Wirtsarten zusätzlich und verhindert, dass sich ein klares Feindbild einprägt.
Die Weibchen legen in einer Brutsaison bis zu unglaubliche 25 Eier. Um das Männchen zur Paarung und Befruchtung der Eier aufzufordern, hat sie sogar einen eigenen Lockruf für ihn, der interessanterweise an den Triller eines Zwergtauchers erinnert:
Von hohen Ansitzen aus beobachten die Weibchen dann ausgiebig potenzielle Kinderstuben für ihre Kuckuckskinder. Denn sie müssen nicht nur eine geeignete Wirtsart finden, sondern auch das Timing muss passen. Liegt noch kein Ei im Nest, würde der parasitierte Vogel misstrauisch werden. Ein zu weit fortgeschrittenes Brutgeschäft wäre ebenfalls schlecht, da der Jungkuckuck womöglich zu spät schlüpfen würde und nicht mehr so leicht die Stiefgeschwister über Bord werfen könnte. Ein bis zwei Eier im Nest sind deshalb optimal. Im geeigneten Moment fliegt das Kuckucksweibchen zum Nest ihrer Wahl, nimmt ein Ei in den Schnabel, legt in Sekundenschnelle ein eigenes Ei ins Nest und entschwindet mit dem stibitzten. Dieses verzehrt es anschließend und sammelt so wertvolle Nährstoffe wie Kalzium. Dass weibliche Kuckucke so viele Eier pro Saison produzieren können, liegt an dieser zusätzlichen Nährstoffversorgung und der Energieersparnis, die sie durch die Auslagerung von Nestbau und Jungenaufzucht erreichen. Um den Zeitpunkt des Schlüpfens zu optimieren, bebrüten Kuckucke ihre Eier schon bei 40 Grad Celsius im Mutterleib. Dadurch haben ihre Jungen einen Entwicklungsvorsprung gegenüber den Wirtsvogeljungen und schlüpfen früher als diese.
Da Kuckucke deutlich größer werden als ihre Wirtsarten, etwa der kleine Zaunkönig, sind auch ihre Eier immer ein bisschen größer. Dennoch sind Kuckuckseier eine wahre Meisterleistung der Evolution. Obwohl ausgewachsene Kuckucke etwa so groß werden wie Tauben, erreichen ihre Eier nur etwa ein Drittel der Größe von Taubeneiern – eine geniale Kompressionsanpassung, um im Singvogelnest nicht aufzufallen. Zusätzlich beherrschen Kuckucke einen noch verblüffenderen Trick: Sie imitieren mit erstaunlicher Genauigkeit die Farbe und Musterung der Wirtsvogeleier. So sind Gartengrasmücken-Kuckuckseier beige mit den markanten Sprenkeln, Neuntöter-Imitate rotbräunlich und Gartenrotschwanz-Duplikate leuchtend türkis. Die Pigmentierung der Eischalen in ihrer chemischen Zusammensetzung wird nahezu perfekt nachgebildet. Es gibt immer wiederkehrende, wirtsspezifische Linien bei den Weibchen, die auf eine bestimmte Wirtsart konditioniert sind, von der sie selbst aufgezogen wurden. Dies ist möglich, weil die Ausprägung der Eischalenform und -farbe allein vom weiblichen Chromosomensatz genetisch definiert wird.
Es gibt jedoch auch Kuckucke, die nicht die Farbe und Struktur der Wirtseier imitieren, sondern die des Nestes. Da die Wirtsarten diese Eier als Teil des Nestes interpretieren, erkennen sie die Kuckuckseier häufig nicht als Fremdkörper, obwohl sie völlig anders aussehen als ihre eigenen.
- Der Kuckuck
Hier finden Sie alles Wissenswerte sowie Beobachtungstipps rund um den berühmten Vogel.
- Steckbrief
Klasse: Vögel
Ordnung: Kuckucksvögel
Familie: Kuckucke
Größe: 32 bis 34 Zentimeter
Gewicht: 95 bis 140 Gramm
Fortpflanzungsperioden pro Jahr: –
Nachkommen pro Periode: 10 bis 25
Höchstalter: 13 Jahre
Bundesweiter Gefährdungsgrad (Rote Liste): gefährdet
Volkstümlicher Name: Gauch
- Beobachtungstipps© R. Lammers / blickwinkel / picture alliance (Ausschnitt)Raus damit | Ein frisch geschlüpfter Kuckuck (rechts) wirft das Ei eines Teichrohrsängers aus dem Nest.
Der Kuckuck lässt sich von April bis August in halboffenen Landschaften mit Buschvegetation beobachten. Häufig trifft man ihn in der Nähe von Gewässern mit Schilfgürteln an.
Dennoch haben auch die Wirtsarten einige Tricks auf Lager, um den Schwindel zu enttarnen, bevor die Jungen schlüpfen. Neben dem exakten Einprägen der Beschaffenheit der eigenen Eier merken sich einige Arten wie beispielsweise Singdrosseln und Amseln die exakte Anordnung der Eier ihres Geleges. Ist diese nach der Rückkehr zum Nest durcheinandergebracht, sind sie alarmiert und geben das Gelege auf. Manche Schwindelaufdecker, wie etwa der Drosselrohrsänger, bauen dagegen einfach ein neues Nest auf das alte und begraben so das parasitierte Gelege. Baumpieper haben wiederum eine ganz besondere Fähigkeit. Bei ihnen legt jedes Weibchen Eier mit individuellen Farb- und Fleckenmustern und hat somit eine eigene »Handschrift«, die wie ein Wasserzeichen fungiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kuckuck rein zufällig einen ähnlichen »Eier-Duktus« besitzt, ist somit äußerst gering, und die Schwindeleier können problemlos als solche identifiziert werden.
Schafft es ein Kuckucksei, ausgebrütet zu werden, hat das Küken erst einmal bemerkenswerte Kraftakte vor sich. Schon das Aushämmern der dickeren Eischale ist sehr kräftezehrend und erfordert im Schnitt 250 heftige Hiebe mit dem Schnabel. Nach dem Schlüpfen ist das Küken so erschöpft, dass es 24 bis 36 Stunden lang ruhen muss. Dann beginnt das noch blinde Jungtier direkt damit, andere Eier oder Küken aus dem Nest zu bugsieren: Es stemmt sich gegen sie und klammert seine Füße fest ins Nest. Eine besonders raue Haut und ein konkaver Rücken helfen ihm bei dieser Operation. Nach vollbrachter Tat ist es so entkräftet, dass es erst einmal kaum Nahrung aufnehmen kann. Diesen Rückstand holt es aber rasch wieder auf, denn Jungkuckucke halten die Eltern durch eine Reihe von Strategien bei der Stange. Ein leuchtend roter Rachen ist ein unwiderstehliches Reizsignal für die Zieheltern. Überdies imitieren Jungkuckucke den arttypischen Bettelruf der jeweiligen Wirtsvogeljungen. Sie verfügen über ein ganzes Repertoire an Bettelrufen. Der Ruf, auf den die Zieheltern am besten reagieren und füttern, setzt sich mit der Zeit bei ihnen fest: ein erstaunlicher Lernprozess. Zudem betteln Kuckucksjungen lauter und häufiger als andere Jungvögel und stimulieren so die Zieheltern immer wieder. Außerdem sind ihre Bettelrufe extrem schnell, sodass sie wie eine ganze Horde von Nestlingen klingen.
Den nimmersatten Schlund zu stopfen, bringt so manches Ziehelternpaar an seine Leistungsgrenzen. Es kommt aber auch immer wieder vor, dass noch nicht flügge Kuckucksküken aufgegeben werden und verhungern. Denn manche Wirtsarten wie der Teichrohrsänger besitzen eine Art innere Uhr und stellen das Füttern nach genau 14 Tagen ein. Kuckucksküken bedürfen aber einige Tage länger der Fürsorge als die Wirtsvogeljungen. Die Jungen, die überleben, ziehen ab Anfang August allein nach Afrika, südlich des Äquators. Das wiederum ist ein bemerkenswertes Beispiel für den angeborenen Orientierungssinn der Vögel.
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