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Eulbergs tönende Tierwelt: Die Schlange unter den Spechten

Der Wendehals ist ein ganz besonderer Specht – er klettert nicht an senkrechten Baumstämmen und trommelt nicht wie seine Artgenossen. Dafür hat er eine außergewöhnliche Tarnung auf Lager: Fühlt er sich bedroht, so zischt er und windet sich wie eine Schlange. Zur Freude unseres Kolumnisten erfüllen seine kecken Rufe im Frühling so manche Streuobstwiese.
Illustration eines Wendehalses, eines Vogels mit grauem und braunem Gefieder, das detailliert gezeichnet ist. Der Vogel hat ein markantes Muster auf seinem Kopf und Hals. Der Hintergrund ist schwarz, was den Fokus auf den Vogel lenkt.
Der Wendehals sticht in vieler Hinsicht aus den europäischen Spechten heraus. Seinen Namen verdankt der nur etwa lerchengroße Vogel seinen auffälligen Kopfdrehungen.
Wissen Sie, wie ein Siebenschläfer klingt? Oder ein Reh? Warum der Pirol auch Regenkatze genannt wird? Vermutlich nicht – obwohl all diese Lebewesen Teil unserer heimischen Fauna sind. In der Kolumne »Eulbergs tönende Tierwelt« stellt der Techno-Künstler, Ökologe und Naturschützer Dominik Eulberg faszinierende Exemplare aus der Tierwelt vor unserer Haustür vor.

Der Wendehals (Jynx torquilla) ist für mich eine der bemerkenswertesten heimischen Vogelarten. Das liegt zum einen daran, dass er zwar zur Familie der Spechte (Picidae) gehört, sich aber in vielen Dingen erheblich von deren anderen Vertretern unterscheidet. So trommelt er etwa nicht, um Partner zu finden oder Reviere abzustecken. Sein gellender Balzruf hat sich tief in mein Bewusstsein eingebrannt. Jedes Frühjahr kann ich seine zunächst gemächlich und nasal beginnenden, dann keck und inbrünstig anmutenden Rufe in hiesigen Streuobstwiesen genießen. Sie wirken auf mich fast ein wenig überschwänglich und lebensbejahend und sind für mich sehr mit dem aufbrechenden Frühlingsgefühl verankert:

Als ich die durchdringenden Rufreihen als Kind zum ersten Mal vernahm, dachte ich zunächst an einen Greifvogel, einen Sperber oder Habicht. Oder an einen Falken, etwa einen Baum- oder Turmfalken. Umso verblüffter war ich, als ich auf einem Zaunpfahl einen nur etwa lerchengroßen Vogel sah. Auf den ersten Blick erinnerte er mich mit seiner pfeilspitzenförmigen Musterung auf der Brust und dem edlen, rindenfarbenen Gefieder an eine Mischung aus Singdrossel und Ziegenmelker. Und tatsächlich verschmilzt er wie der Ziegenmelker mit seinem fein marmorierten Gefieder optisch mit einem Baumstamm. Um die Gestaltauflösung, die auch Somatolyse genannte Form der Tarnung, noch mehr zu verstärken, sitzt der Wendehals oft in Längsrichtung auf Ästen, ähnlich wie Ziegenmelker es tun.

Umso überraschter war ich zu erfahren, dass dieses faszinierende Tier zur Familie der Spechte zählt. Als einzige der heimischen Spechtarten ist der Wendehals ein echter Zugvogel, der den Winter südlich der Sahara in Zentralafrika verbringt. Anfang April kommen die ersten Männchen in unsere Gefilde zurück und besetzen mit ihren Balzrufen Reviere. Sie benötigen dazu offene, strukturreiche Lebensräume wie Streuobstwiesen, Waldlichtungen, Windwurfflächen oder Parks. Geschlossenen Wald meiden sie, genauso wie baumlose Flächen.

  • Der Wendehals

    Hier finden Sie alle wichtigen Eckdaten und Beobachtungstipps rund um den Wendehals.

  • Steckbrief

    Klasse: Vögel

    Ordnung: Spechtvögel

    Familie: Spechte

    Größe: 16 bis 17 Zentimeter

    Gewicht: 30 bis 45 Gramm

    Fortpflanzungsperioden pro Jahr: 1 bis 2

    Nachkommen pro Periode: 6 bis 14

    Höchstalter: 10 Jahre

    Bundesweiter Gefährdungsgrad (Rote Liste): gefährdet

    Volkstümlicher Name: Drehhals

  • Beobachtungstipps

    Man findet den Wendehals von April bis Ende August in klimatisch begünstigten, halboffenen Landschaften mit einzelnen Bäumen, etwa in Streuobstwiesen.

    Tarnkünstler | Ein Wendehals an einem Baumloch. Man kann gut sehen, wie sein Gefieder perfekt die Zeichnung der Baumrinde imitiert.

Wendehälse sind Höhlenbrüter. Sie zimmern jedoch keine eigene Bruthöhle, sondern beziehen als Nachmieter solche von anderen Spechtarten oder auch Nistkästen. Nachdem das Männchen ein Weibchen für eine Brutsaison gefunden hat, welches übrigens im Duett seine Balzrufe erwidert, suchen die zwei eine geeignete Bruthöhle aus. Ist diese bereits von anderen Höhlenbrütern besetzt, geht der Wendehals rigoros vor und beseitigt ein schon vorhandenes Gelege.

Hier brüten beide Elternteile ein für Spechte sehr großes Gelege von bis zu 14 Eiern aus. Ihre Nahrung suchen sie hauptsächlich auf dem Boden. Diese besteht zur Zeit der Jungenaufzucht zu 98 Prozent aus Wiesen-, Rasen- und Wegeameisen. Die Vögel öffnen die Ameisenbauten mit kräftigen Schnabelhieben und nehmen vor allem die proteinreichen Larven und Puppen mit ihrer langen Leimrutenzunge auf. Im Gegensatz zu anderen Spechten kann der Wendehals nicht an senkrechten Baumstämmen landen und auch nicht mit seinem Schnabel die Rinde ablösen, um darunter Insektenlarven zu suchen. Man sieht ihn daher eher einem Singvogel gleich auf Ästen sitzen.

Der Wendehals | Der Vogel hat ein rindenfarbenes Gefieder. Typisch ist die mehr oder weniger gebänderte schwarze Musterung, besonders im Bereich der rahmfarbenen Kehle. Bei Erregung sträubt der Wendehals sein Kopfgefieder. Die Geschlechter unterscheiden sich kaum voneinander; Weibchen sind etwas matter gefärbt.

Seinen Namen verdankt der Wendehals der bemerkenswerten Fähigkeit, den Kopf um bis zu 180 Grad zu drehen. Fühlt er sich bedroht, zeigt er eine einzigartige »Schlangenmimikry«: Er windet seinen Körper in schlangenartigen Bewegungen, wirft den Kopf hin und her und gibt dabei drohende Zischlaute von sich. Dabei stellt er auch seine Kopffedern auf, spreizt die Schwanzfedern und schleudert gelegentlich seine Zunge hervor. Sein wissenschaftlicher Artname torquilla leitet sich vom lateinischen Wort »torquere« ab, was so viel bedeutet wie »winden« oder »drehen«. Auch in anderen Sprachen hat sich diese erstaunliche Verteidigungstechnik in seinem Namen niedergeschlagen. So heißt er im Englischen »wryneck«, was so viel wie »Schiefhals« bedeutet; im Niederländischen sagt man »draaihals« (»Drehhals«).

Auch in unseren alltäglichen Sprachgebrauch hat die Vogelart Einzug gehalten. Bereits im 16. Jahrhundert nannte man opportunistische, heuchlerische Menschen Wendehälse. Der politische Begriff des Wendehalses wurde zu Zeiten des Mauerfalls häufig verwendet. Man bezeichnete so Personen, die ihre politische Gesinnung plötzlich der sich geänderten Situation der Wende anpassten. Auf Grund von Lebensraumverlusten steht der Wendehals bei uns auf der Roten Liste und gilt in seinem Bestand als gefährdet. So haben wir etwa seit den 1960er Jahren mehr als 70 Prozent der Streuobstwiesen in Deutschland verloren. Doch auch die Bestände von Ameisen, seiner Hauptnahrung, leiden unter erhöhtem Stickstoffeintrag und Insektiziden.

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