Eulbergs tönende Tierwelt: Schaufelradbagger auf sechs Beinen

Mit ein bisschen Glück kann man zwischen April und Juni von den Abendstunden bis etwa Mitternacht einen wunderbaren Sound genießen. Vor allem am Rand von Gewässern, aber auch in Gärten und auf manchen Wiesen sind diese sonderbaren Klänge zu vernehmen, die man gut und gerne für die Rufe einer Wechselkröte halten könnte:
Die trillernden Geräusche stammen von einem urtümlichen Insekt, welches nahezu sein gesamtes Leben unter der Erde verbringt. Bekommt man es doch einmal zu Gesicht, wirkt es sonderbar – mit seinen großen Grabschaufeln, dem abgeflachten Körper, dabei sechs Beinen und den Flügeln: wie eine Mischung aus einem Maulwurf und einer Grille. Und tatsächlich lautet sein Name Gemeine Maulwurfsgrille (Gryllotalpa gryllotalpa). Im Englischen heißt sie »mole cricket«. Auch die wissenschaftliche Bezeichnung gryllotalpa ist eine Kreuzung aus beiden: Gryllidae verweist auf die Familie der Echten Grillen und Talpidae auf jene der Maulwürfe. Anders als der erste Teil des Namens vermuten lässt, gehört sie aber nicht zu den Echten Grillen.
Die Familie der Maulwurfsgrillen (Gryllotalpidae) umfasst weltweit rund 100 Arten, wobei in Deutschland nur die Gemeine Maulwurfsgrille lebt. Älteste Fossilienfunde sind bis zu 35 Millionen Jahre alt. Die »urzeitlich« wirkenden Insekten erinnern mit ihren kräftigen Vorderbeinen auf den ersten Blick an einen Krebs, weshalb man sie im Volksmund früher auch »Erdkrebs« nannte. Außerdem kann sie gut schwimmen und sogar tauchen.
- Die Maulwurfsgrille
Hier finden Sie alles Wissenswerte sowie Beobachtungstipps rund um das gefährdete Insekt.
- Steckbrief
Klasse: Insekten
Ordnung: Heuschrecken
Familie: Maulwurfsgrillen
Größe: 3,5 bis 5 Zentimeter
Gewicht: 3 bis 4,5 Gramm
Fortpflanzungsperioden pro Jahr: 1
Nachkommen pro Periode: 200 bis 500
Höchstalter: 3 Jahre
Bundesweiter Gefährungsgrad (Rote Liste): gefährdet
Volkstümlicher Name: Werre, Zwergel, Erdkrebs, Erdwolf, Halbteufel
- Beobachtungstipps
Maulwurfsgrillen kann man im Mai und Juni vor allem in Süddeutschland beobachten. Die Insekten halten sich auf Wiesen, in Gärten, mit Vorliebe an Uferzonen oder Grabenrändern auf, mit lockerem, feuchtem Boden und niedriger Vegetation.
© Reinhard Hölzl / Getty Images / imageBROKER (Ausschnitt)Vorliebe fürs Erdige | Maulwurfsgrillen leben die meiste Zeit unterirdisch in selbst angelegten Gangsystemen, bevorzugt in lockeren Sand- oder Lehmböden. Adulte Tiere verlassen ihre Bauten vor allem auf der Suche nach Paarungspartnern.
Die Stridulationslaute der Männchen, mit denen sie Weibchen anlocken, ähneln jenen der Echten Grillen stark. Wie diese reibt die Maulwurfsgrille einen Vorderflügel über den anderen – dabei gleitet eine verstärkte Kante des Flügelhinterrands über eine mit Zähnchen besetzte Ader des anderen Flügels. Stimmgabelförmige Adern, die sogenannte Harfe, verstärken den Schall, indem sie in Schwingung versetzt werden. An dieser markanten Aderung, die sich ungefähr in der Mitte der Vorderflügel befindet, kann man die sonst schwer zu unterscheidenden Geschlechter gut erkennen. Im Gegensatz zur Feldgrille, bei der der rechte Flügel immer über den linken schrappt, sind die Flügel der Maulwurfsgrille gleich gestaltet und können jeweils beide Funktionen übernehmen. Anders als die Feldgrille ist sie außerdem flugfähig.
Um den Schall zu verstärken, sitzen männliche Maulwurfsgrillen während der Stridulation in einer speziellen Resonanzkammer in ihrem Bau. Durch einen trichterförmigen Gang wird der Schall deutlich lauter nach außen getragen und von vorbeifliegenden Weibchen wahrgenommen. Die schlitzförmigen Hörorgane der Tiere befinden sich in den Schienen der Vorderbeine. Diese sind vor allem im Frequenzbereich der Stridulationslaute von zwei Kilohertz sehr sensibel. Man stellte jedoch ein Nebenmaximum im Ultraschallbereich der Echoortungsrufe von Fledermäusen fest, wodurch sie diesen im Flug besser ausweichen können.
Einem Maulwurf gleich lebt das Insekt unterhalb der Bodenoberfläche und legt hier ein ausgedehntes System von ungefähr fingerdicken Gängen an. Dazu sind seine Vorderbeine auffällig umgewandelt und erinnern stark an die Grabschaufeln eines Maulwurfs – ein wunderbares Beispiel für konvergente Evolution. An den Schienen der Vorderbeine befinden sich große Dornen, mit denen es sich wie ein Schaufelradbagger Nacht für Nacht mehrere Meter durch lockere Böden »frisst«. Wie ihr Namensvetter ernährt sich die Maulswurfsgrille ebenfalls überwiegend von Würmern, Schneckeneiern, Insekten und anderen Bodenlebewesen.
Auch die Paarung findet unterirdisch statt. Anschließend legt das Weibchen im Schnitt 200 bis 500 Eier in faustgroßen Bruthöhlen ab. Um ideale Brutbedingungen zu schaffen, nagen die Tiere hier die feineren Wurzeln ab, sodass die Pflanzen darüber welken und absterben. Dadurch dringt Sonnenlicht bis zum Boden durch, wodurch die Bruthöhle erwärmt und belüftet wird. Die ersten Larven schlüpfen schon nach drei Wochen und werden von den Weibchen bis zur vierten Häutung versorgt. Sie überwintern im Boden und suchen dabei erstaunliche Tiefen von bis zu drei Metern auf. Bis das Insekt geschlechtsreif ist, dauert es ein bis zwei Jahre, in denen insgesamt zehn Häutungen stattfinden. Adulte Maulwurfsgrillen leben nach der Eiablage durchschnittlich noch etwa fünf bis sechs Monate, wobei die Spanne von 2 bis zu 20 Monaten reicht. Maulwurfsgrillen leben also insgesamt etwa bis zu drei Jahre lang.
Hartnäckig hält sich der Irrglaube, Maulwurfsgrillen würden, ähnlich wie Wühlmäuse, mit Vorliebe Pflanzenwurzeln fressen. Doch in Wirklichkeit verspeisen sie diese nur, wenn es ihnen an Nahrung mangelt. Durch ihre emsige Aktivität können mitunter in lockeren Böden, wie man sie etwa in Gemüsebeeten auffindet, Einsaaten durchwühlt werden. Deshalb betrachtet man sie oft fälschlicherweise als »Schädlinge«, obwohl sie genau das Gegenteil sind, Bestände regulieren und den Boden auflockern. Maulwurfsgrillen sind in vielen Regionen aufgrund von intensiver Bekämpfung bereits vollständig verschwunden und mittlerweile auf der bundesweiten Roten Liste als »gefährdet« eingestuft.
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