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Eulbergs tönende Tierwelt: Das Klangwunder der Nacht

Der krönende Abschluss dieser Kolumne ist der vielleicht schönsten Tierstimme in unseren Gefilden gewidmet – jener der sagenumwobenen Nachtigall. Kaum eine andere Vogelart berührt derart die Herzen und hat mehr Kunst- und Kulturschaffende beeinflusst. Aber lauschen und staunen Sie selbst!
Eine detaillierte Illustration eines singenden Vogels, vermutlich eine Nachtigall, mit braunem Gefieder und offenem Schnabel. Der Vogel sitzt auf einem Ast mit rosa Blüten. Die Darstellung betont die natürlichen Farben und die Textur des Gefieders, während die Blüten zart und lebendig wirken. Kunst, Natur, Vogelillustration.
Die Verbreitungsschwerpunkte des »Nachtsängers« sind hierzulande der Norden und Osten Deutschlands. Mit mehr als 1500 Brutpaaren gilt Berlin als die »Hauptstadt der Nachtigallen«.
Wissen Sie, wie ein Siebenschläfer klingt? Warum der Pirol auch Regenkatze genannt wird? Vermutlich nicht – obwohl diese Lebewesen Teil unserer heimischen Fauna sind. In der Kolumne »Eulbergs tönende Tierwelt« stellt der Techno-Künstler, Ökologe und Naturschützer Dominik Eulberg faszinierende Exemplare aus der Tierwelt vor unserer Haustür vor. Podcast-Tipp: In WUNDERKAMMER feiert er mit dem »Zeit«-Reporter Fritz Habekuß die Schönheit der Natur.

Für den krönenden Abschluss dieser Kolumne habe ich mir eine der schönsten, wenn nicht die schönste Tierstimme unserer Gefilde aufgehoben: die legendäre und sagenumwobene Nachtigall (Luscinia megarhynchos). Ihr Gesang ist ein schier unglaubliches Feuerwerk der Variation. Ein Wechsel aus schlagenden, knarrenden und flötenden Strophen bis hin zum wehmütigen, anschwellenden Crescendo aus lang gezogenen Pfeiftönen, die wir als klagend oder schluchzend empfinden. Es ist ein unvorhersehbares Potpourri aus durchschnittlich zwei bis vier Sekunden langen, klar abgegrenzten und äußerst fantasievollen Strophen; mal inbrünstig schmetternd schnell, mal fast schon sehnsüchtig weich. Aber lauschen Sie selbst und staunen:

Keine andere Vogelart hat mehr Kunst- und Kulturschaffende beeinflusst. Etwa Shakespeare in »Romeo und Julia« mit der weltberühmten Zeile »Es war die Nachtigall und nicht die Lerche«. Unzählige Komponisten hat sie zu musikalischen Meisterwerken inspiriert, wie Beethoven, Strauß, Händel, Schubert, Brahms, Haydn, Strawinsky oder Chopin. Schon der römische Gelehrte Plinius der Ältere beschrieb ihren Gesang vor rund 2000 Jahren in seiner Enzyklopädie »Naturalis Historia« so treffend: »Die Nachtigall lässt Töne hören, die sich vollkommen nach den Regeln der Musik miteinander abwechseln. Was die Kunst des Menschen auf den besten Instrumenten zu leisten vermag, ist in dieser kleinen Kehle beisammen.«

Die Nachtigall verdankt ihren Namen der für Singvögel ungewöhnlichen Eigenschaft, nicht nur tagsüber, sondern auch in tiefer Nacht zu singen. Das »gall« kommt aus dem Mittelhochdeutschen und bedeutet »laut tönen«. Tatsächlich ist ihr schlagendes Lied merklich durchdringender als das anderer Singvogelarten und auch für uns über einen Kilometer weit hörbar. Mich erinnert ihr Gesang immer an seidig schimmernde Silberfäden, die den dunklen Nachthimmel durchdringen. Er leuchtet und strahlt wie ein heller Stern in einer klaren Nacht.

  • Die Nachtigall

    Hier finden Sie alles Wissenswerte sowie Beobachtungstipps rund um die sagenumwobene Sängerin.

  • Steckbrief

    Klasse: Vögel

    Ordnung: Sperlingsvögel

    Familie: Fliegenschnäpper

    Größe: 16 bis 17 Zentimeter

    Gewicht: 18 bis 27 Gramm

    Fortpflanzungsperioden pro Jahr: 1

    Nachkommen pro Periode: 4 bis 6

    Höchstalter: 12 Jahre

    Bundesweiter Gefährungsgrad (Rote Liste): nicht gefährdet

    Volkstümlicher Name: Auvogel, Nachtsänger

  • Beobachtungstipps

    Die Nachtigall kann man von April bis August in unterholzreichen Laubwäldern, Gärten und Parks mit Gebüschen und vor allem in tieferen, wärmebegünstigten Gebieten beobachten. Ihre Verbreitungsschwerpunkte liegen im Norden und Osten Deutschlands. Sie fehlt in vielen Mittelgebirgen, an der Küste sowie in weiten Teilen Süddeutschlands. Im äußersten Norden und Osten Deutschlands wird sie durch die Zwillingsart Sprosser ersetzt.

    Aus voller Kehle | Tagsüber singen Männchen hauptsächlich, um Konkurrenten die Reviergrenzen akustisch mitzuteilen und Eindringlinge abzuschrecken. Hier liegt der Fokus stärker auf den schlagenden Strophen.

Im April besetzen die ersten Männchen, die aus den Überwinterungsgebieten in Afrika zurückgekehrt sind, in Deutschland ihre Reviere. Versteckt in einem Gebüsch sitzend, locken sie mit ihrem lauten Gesang die nachts ziehenden Weibchen förmlich vom Himmel. Nachtigallen erlernen ihr Lied von ihren Vätern und benachbarten Männchen bereits im Nest ab dem dritten Lebenstag. Sie gehören jedoch zu den »open-ended learners« und können auch als adulte Vögel jedes Jahr zu Beginn der Brutphase neue Strophen in ihr Repertoire aufnehmen. Im Schnitt beherrscht ein Männchen 120 bis 260 unterschiedliche Strophentypen, das ein oder andere sogar an die 300.

Je mehr Strophen es beherrscht und je kräftiger diese vorgetragen werden, desto attraktiver ist es für die Weibchen, denn es verspricht zum einen gute Gene und zum anderen ein hohes Maß an Fitness. Da die Jungen von beiden Elternteilen gefüttert und betreut werden, ist dies von großer Relevanz für die Weibchen. Ein Männchen singt Nacht für Nacht im Schnitt etwa 500 Strophen pro Stunde. Es singt so lange, bis es zu einer erfolgreichen Paarbildung kommt. Erst dann wird der Nachtgesang eingestellt, und das Männchen kann nachts wieder schlafen, was man bereits einen Tag später an einem deutlichen Anstieg des Schlafhormons Melatonin im Blut erkennen kann. Vor der Paarbildung wird dessen Produktion unterdrückt beziehungsweise reduziert. Jene Individuen, die man im späten Frühjahr nachts singen hört, sind höchstwahrscheinlich unverpaarte Männchen, die noch ein Weibchen suchen.

Die Nachtigall | Im Gegensatz zu ihrem spektakulären Gesang ist ihr Gefieder eher unscheinbar. Die Oberseite ist dunkelbraun, die Unterseite hellbraun und der Schwanz rostrot-bräunlich. Männchen und Weibchen sind gleichfarbig.

Tagsüber singen Männchen hauptsächlich, um Konkurrenten die Reviergrenzen akustisch mitzuteilen und Eindringlinge abzuschrecken. Hier liegt der Fokus stärker auf den lauten, schlagenden Strophen, während die lang gezogenen, wehmütigen Passagen seltener zu hören sind. Vor allem nachts liefern sich benachbarte Individuen regelrechte Gesangsduelle. Dabei versuchen sie, möglichst schnell auf den gerade kundgetanen Strophentyp des Konkurrenten zu reagieren. Tonhöhe, Frequenzverlauf und Rhythmus werden imitiert und elegant in das eigene Repertoire eingebaut (»Song-Matching«), oder sie fallen dem Kontrahenten unmittelbar »ins Wort« (»Song-Overlapping«). Durch diese Adaption wird dem Rivalen signalisiert: »Ich bin super fit und kann mindestens so gut singen wie du, überbiete dich sogar ganz locker.« Dieses Verhalten spielt sowohl bei Konflikten um Reviere als auch bei der Attraktion von Weibchen eine Rolle.

Paarungsbereite Weibchen durchstreifen nach der Ankunft nachts das Bruthabitat und besuchen dabei mehrere singende Männchen. Nach durchschnittlich ein bis zwei Nächten des aufmerksamen Lauschens und des Abwägens entscheiden sie sich für eines von ihnen und kehren dann gezielt zu dessen Revier zurück. Es kommt zur Paarbildung, und das Männchen stellt den Nachtgesang ein. Von besonderer Bedeutung für die Auswahl des Partners sind die sogenannten Buzz-Elemente im Gesang, lang gezogene Schnarrpassagen. Zur Veranschaulichung: In dieser Strophe ist ein sehr charakteristischer Buzz zu hören, der im Anschluss daran auch noch einmal isoliert erklingt:

Ein Buzz ist ein sehr kurzes, hochfrequentes Gesangssegment, das aus extrem schnell aufeinanderfolgenden Subelementen besteht und durch eine außergewöhnlich hohe motorische und energetische Anforderung gekennzeichnet ist. Dieser spezielle Sound beinhaltet daher besondere Informationen über das Gewicht, das Alter und die Kondition des Sängers und wird von den Weibchen mit erhöhter Aufmerksamkeit und Erregung, etwa durch vermehrtes Hüpfen und Schwanzwippen, wahrgenommen. Buzz-Sounds werden nur alle paar Minuten in den Gesang eingestreut und sind damit so etwas wie akustische »Visitenkarten«.

Da Nachtigallenmännchen ihre Gesänge von ihren Vätern und den Nachbarn erlernen, bilden sich lokal spezifische Strophentypen aus. In dem Citizen-Science-Projekt »Forschungsfall Nachtigall« rund um die Ornithologinnen Silke Voigt-Heucke und Kim Mortega wurden solche gesanglichen Kulturmuster erforscht. Dabei konnten die Forscherinnen auch wahre Evergreens feststellen, also Strophen, die es mindestens schon seit den ersten Tonaufnahmen aus den 1930er-Jahren gibt. Außerdem gibt es wohl Strophen, die überall gesungen werden. Regionale Muster in den Gesängen können Weibchen helfen, ansässige Männchen von Zuzüglern zu unterscheiden, da Letztere »anders« singen. Dieser Dialekt scheint neben Repertoiregröße, Strophenqualität und Buzz-Sounds ein zusätzliches Kriterium bei der Partnerwahl zu sein.

Mit mehr als 1500 Brutpaaren gilt Berlin als die »Hauptstadt der Nachtigallen« und hat die Redewendung »Nachtigall, ick hör’ dir trapsen« hervorgebracht, die ironisch ausdrückt, dass eine verborgene Absicht erkannt wurde. Im äußersten Norden und Osten Deutschlands findet man dagegen den Sprosser (Luscinia luscinia), die Zwillingsart der Nachtigall. Bei diesem ist der Gesang jedoch nicht ganz so variationsreich, wirkt rhythmischer und repetitiver. Im Schnitt liegt das individuelle Strophenrepertoire bei 12 bis 40. Vor allem aber fehlen beim Sprosser die für Nachtigallen so typischen langen, lauter werdenden, wehmütigen Pfeifstrophen, die unser Herz so berühren.

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