Eulbergs tönende Tierwelt: Von pfeifenden Nachtfaltern und klickenden Raupen
Wie eine Zuckerstange vom Jahrmarkt! Das war mein Gedanke, als ich zum ersten Mal einen Totenkopfschwärmer (Acherontia atropos) erblickte – besser gesagt, seine Larve. Eine Gärtnerin aus einem Nachbardorf hatte mir eine aufgeregte Mail geschrieben: Sie habe eine merkwürdige »Alien-Raupe« auf ihren Kartoffelpflanzen gefunden! Und tatsächlich war ich ziemlich baff, als ich die imposante Raupe mit den im 80er-Jahre-Style anmutenden, blau getupften V-Zeichnungen auf dem Rücken erblickte.
Was den Totenkopfschwärmer unter anderem so besonders macht: Er ist einer der wenigen Schmetterlinge, die auch für uns deutlich vernehmbare Töne von sich geben. Bei Gefahr erzeugt er überraschend laute, zischende Geräusche, die vermutlich dazu dienen, potenzielle Angreifer kurzzeitig in die Flucht zu schlagen. Dazu saugt er über den Rüssel Luft ein und verschließt die Speiseröhre. Durch abwechselndes Öffnen und Schließen der Mundöffnung entweicht der Druck und es entstehen quiekende Alarmlaute, die an eine Maus erinnern. Die folgenden Sounds habe ich zusammen mit meiner Frau Natalia aufgenommen, die die Art züchtet und genaustens studiert:
Auch seine Raupen, die bis zu 13 Zentimeter lang und mehr als 20 Gramm schwer werden können, geben Laute von sich. Fühlen sie sich bedroht, pressen sie Luft aus ihren Tracheen-Öffnungen (Tracheen bilden das Atmungssystem bei Insekten) – es entstehen Klickgeräusche:
Die »Lautfreudigkeit« ist individuell sehr unterschiedlich. Manche Raupen tönen bereits, wenn sich der Zweig, auf dem sie sitzen, bewegt, andere erst, wenn sie fest gepackt werden. Auch die Färbung der Larven variiert: Neben der hier abgebildeten gelben Morphe gibt es noch eine grüne Variante sowie eine dritte, braune Morphe. Sie erinnert uns in Form und Farbe an unappetitliche Vogelexkremente (siehe »Beobachtungstipps«). Diese Art der Tarnung nennt man Vogelkot-Mimese.
Schwärmer sind eine der 130 weltweit existierenden Schmetterlingsfamilien. Mit viel Glück kann man in unseren Gefilden bis zu 21 Arten entdecken. Die prächtigen Flugkünstler machen ihrem Namen alle Ehre: Mit erstaunlich schnellem Flügelschlag schwärmen sie durch die Lüfte, manche können dabei sogar auf der Stelle fliegen. Ihr wissenschaftlicher Familienname lautet übrigens Sphingidae. Dieser rührt daher, dass die Raupen bei Gefahr eine typische »Sphinx-Stellung« einnehmen: Dabei ziehen sie ihren Vorderkörper zu einem dicken Scheinkopf zusammen.
Mit einer Flügelspannweite von bis zu 13 Zentimetern und einem Gewicht von bis zu acht Gramm sind Totenkopfschwärmer die Jumbojets unter den heimischen Insekten. Sie sind Wanderfalter, die eigentlich in Afrika oder Südeuropa leben. Etwa die Hälfte der in Deutschland anzutreffenden Schwärmerarten kommt nur in den Sommermonaten zu uns. Mit ihrem torpedoförmigen Körper und einer extrem starken Muskulatur können einige Schwärmer Geschwindigkeiten von bis zu 100 Kilometer pro Stunde erreichen und Strecken von mehreren tausend Kilometern zurücklegen.
Jedes Jahr überqueren auch einige Totenkopfschwärmer die Alpen – auf einer der geradlinigsten Migrationsrouten im Tierreich. Dabei gleichen sie Winde aus und manövrieren sich zielsicher durch Schneestürme auf den Berggipfeln. Forschende des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie statteten 2022 mehrere der Schwärmer mit Sendern aus und berechneten für ihre Wanderstrecke einen Geradheitsindex von 0,95. Solche Werte waren bisher nur von Walen und Wasserschildkröten bekannt.
- Der Totenkopfschwärmer
Hier finden Sie alle wichtigen Eckdaten und Beobachtungstipps rund um den Totenkopfschwärmer.
- Steckbrief
Klasse: Insekten
Ordnung: Schmetterlinge
Familie: Schwärmer
Größe: 5 bis 6 Zentimeter
Gewicht: 3 bis 8 Gramm
Fortpflanzungsperioden pro Jahr: eine
Nachkommen pro Periode: 100 bis 200
Höchstalter: 2 Monate (Imago)
Bundesweiter Gefährdungsgrad (Rote Liste): nicht bewertet
Volkstümlicher Name: Totenvogel
- BeobachtungstippsTotenkopfschwärmer sind dämmerungs- und nachtaktiv und bei uns sehr selten zu beobachten. Mit viel Glück kann man die Raupen im Spätsommer auf Nachtschattengewächsen sehen, etwa auf Kartoffelpflanzen. Mit noch mehr Glück findet man adulte Falter in Bienenstöcken.
Im Gegensatz zu anderen Schwärmerarten trinkt der Totenkopfschwärmer keinen Nektar aus Blüten, sondern dringt mit vibrierenden, angelegten Flügeln in Bienenstöcke ein. Hier sticht er mit seinem kurzen, kräftigen Rüssel die Honigzellen an und saugt sie aus. Die Honigbienen vertreiben den ungebetenen Gast nicht, denn eine »chemische Tarnkappe« macht ihn im Bau quasi unsichtbar. Der Geruchsstoff besteht aus einem Gemisch von vier verschiedenen Fettsäuren, die in ihrer Konzentration und ihrem Verhältnis den Bienenduft nahezu perfekt imitieren. Vermutlich schützt ihn zudem eine gewisse Immunität gegen das Bienengift, falls seine Tarnung doch einmal auffliegen sollte. In einem Experiment wurde einem Falter der Inhalt von vier Bienengiftblasen injiziert. Nach anfänglichen Krämpfen erholte er sich nach 15 Minuten jedoch erstaunlich schnell.
Auf Grund seines imposanten Erscheinungsbildes mit dem namensgebenden »Totenkopf« auf dem Thorax und seiner nachtaktiven Lebensweise, galt der Totenkopfschwärmer einst als Todesbote und Unglücksbringer. Unzählige düstere Geschichten rankten sich um den großen, dunklen Nachtfalter, der damals auch als »Totenvogel« bekannt war: Bei seinem Anblick sollen Nonnen in Ohnmacht gefallen und ein Bürgermeister einen tödlichen Herzinfarkt erlitten haben. Auch nahm man an, die Flügelschuppen des Falters würden Menschen erblinden lassen. Noch heute wird er in Film und Literatur als Verkörperung des Bösen dargestellt. Weltbekannt wurde die Art durch seine Abbildung auf dem Filmplakat von »Das Schweigen der Lämmer«.
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