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Vogelsterben: Es ist etwas faul im ländlichen Raum

Neue Zahlen bestätigen: Europas Vogelwelt ist im steilen Sinkflug. Die Kulturlandschaft verödet zunehmend. Es ist Zeit, umzukehren.
Toter Jungvogel

Seit 1980 hat die Zahl der Vögel in den Staaten der Europäischen Union um 56 Prozent abgenommen: Hunderte Millionen Tiere sind damit schlicht verschwunden, darunter Arten, die man früher als Allerweltsarten bezeichnet hat, wie Star, Feldlerche oder Goldammer. Kiebitze, Uferschnepfen oder Rebhühner sind flächendeckend zu Raritäten geworden oder regional ausgestorben. Das zeigen die Daten des »European Bird Census Council« im niederländischen Nimwegen, der die unterschiedlichen nationalen Zahlen zusammenträgt und auswertet.

Sie bestätigen auf ganzer Breite, was Ornithologen in einzelnen Ländern wie Frankreich, Großbritannien, Spanien oder Deutschland beobachtet haben: Vor allem der Vogelwelt im ländlichen Raum ergeht es schlecht. Die Arten der Kulturlandschaft haben Bestandseinbrüche von 50 Prozent und mehr erlebt, während ihre Verwandtschaft im Siedlungsraum oder in den Wäldern sich deutlich besser gehalten hat und nur geringe Verluste verkraften musste. Europaweit schrumpfte die Zahl der Waldvögel zum Beispiel »nur« um sechs Prozent.

Es ist daher wohl nicht bloß ein Verdacht, dass im ländlichen Raum etwas im Argen liegt, was sich nicht (nur) mit dem Klimawandel oder der Jagd auf Zugvögel erklären lässt – sondern vielmehr mit den Entwicklungen der Landwirtschaft selbst. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Produktion von Nahrungsmitteln umfassend verändert. Beginnend mit der Flurbereinigung wurden Flächen zusammengelegt und »störende« Strukturen wie Kleingewässer, Streuobstwiesen, Hecken oder einzelne Bäume entfernt. Zehntausende Kilometer Hecken gingen in der Hochphase der Flurbereinigung verloren – und damit Brut- und Rückzugsräume für alle möglichen Tierarten.

Kiebitz auf nackter Erde | Wiesenbrüter wie der Kiebitz haben es in der modernen Agrarlandschaft zunehmend schwer.

Heute hat man den Wert der verbliebenen Hecken zwar erkannt, aber dafür schreitet der Verlust anderer Kleinlebensräume voran, etwa der blühenden Ackerrandstreifen. Bis an den Rand des Ackers wird gearbeitet, um noch den letzten Quadratmeter bebauen zu können. Und selbst wenn noch ein Feldrain vorhanden ist, so bekommt er doch die Pestizidspritze oder die Düngemittel ab, die eigentlich den Feldfrüchten dienen sollten.

Laut dem Bundesumweltamt wird im ländlichen Raum immer noch zu viel Stickstoff eingebracht: Jeder Hektar Nutzfläche erhält im Jahr 100 Kilogramm Stickstoff zu viel. Die Überdüngung mindert die Artenvielfalt auf Äckern und Wiesen und sorgt dafür, dass Gräser zu schnell für viele Wiesenbrüter wachsen: Ihre Eier und Küken kühlen im dichten Grün aus und sterben – oder werden durch die häufige Mahd zerhäckselt: Eine Untersuchung in der Schweiz (schon Anfang der 1990er Jahre, als es noch mehr Feldlerchen gab) zeigte beispielsweise, dass 80 bis über 90 Prozent aller Feldlerchennester durch Mahd zerstört wurden.

Europas Fehlanreize

Zusätzlich schwindet die potenzielle Fläche, die für Bruten genutzt werden könnte: Ebenfalls laut dem Umweltbundesamt schrumpfte die Grünlandfläche deutschlandweit seit 1991 um mehr als 600 000 Hektar. Auch wenn sich der Trend in den letzten Jahren wieder leicht umgekehrt hat: Wo Maisäcker statt kurzer Gräser wachsen, haben Wiesenbrüter kaum eine Chance. Überhaupt forderten veränderte Anbaugewohnheiten ihren Tribut in der Tierwelt. Stoppelfelder haben heute Seltenheitswert, und damit fehlt eine wichtige Nahrungsquelle außerhalb der Brutzeit. Heu wird in Plastikballen eingewickelt, die kein Schnabel auf Suche nach Insekten oder Samen durchdringen kann. Auch der Umfang der brach liegenden Flächen als Ersatzlebensraum hat sich seit 2005 mehr als halbiert, so das Umweltbundesamt – stattdessen werden auf diesem Land Wintergetreide und vor allem Energie- und Futterpflanzen wie Raps und Mais gepflanzt. Dabei gibt es kaum eine leblosere Nutzfläche als einen Maisacker.

Jedes Jahr sprühen Landwirte mehr als 30 000 Tonnen Pflanzenschutzmittel auf ihre Felder; der Verbrauch stagniert seit Jahren auf diesem hohen Niveau: Pro Jahr werden auf einem Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche durchschnittlich 8,8 Kilogramm Pestizide verteilt. Rund 40 Prozent entfallen davon auf Herbizide, die auf so genannte Ackerunkräuter abzielen und damit die Nahrungsgrundlage von Insekten und Vögeln abtöten. Das in den letzten Jahren stark diskutierte Insektensterben hängt unter anderem mit dem Pestizideinsatz in der Landwirtschaft zusammen (neben Aspekten wie der Lichtverschmutzung): Entweder sterben die Tiere direkt durch Insektizide, oder es mangelt ihnen an Nahrungspflanzen, die durch Herbizide vernichtet werden.

Die Liste ließe sich noch lang fortsetzen. Fakt ist jedoch, dass der ländliche Raum verödet und viele Regionen in Europa zu Agrarwüsten werden. Es wird daher Zeit, dass sich die europäische Agrarpolitik ändert. Etwa 75 Prozent der Gesamtsubventionen sollen laut einem Bericht der »Süddeutschen Zeitung« auch zukünftig – im Zeitraum von 2020 bis 2027 – Direktzahlungen bleiben, die sich vornehmlich nach der Größe der Agrarflächen richten und nur in geringem Ausmaß an Umweltauflagen gebunden sind. Mittel für nachhaltige Landwirtschaft sollen dagegen gekürzt werden, was im Endeffekt weniger Geld für Klima- und Naturschutz bedeutet. Die Fehlentwicklungen der Vergangenheit würden damit zementiert und in die Zukunft übertragen. Welchen Irrweg die europäische Landwirtschaftspolitik beschritten hat, zeigen die Beispiele der osteuropäischen Länder wie Polen, Bulgarien oder Lettland: Seit dort die EU-Agrarpolitik umgesetzt wird, schwinden dort ebenfalls die Vogelbestände in rasender Geschwindigkeit, wie der »European Bird Census« zeigt.

Keine Frage: Die moderne Landwirtschaft hat Lebensmittel günstig gemacht und die Versorgungssicherheit enorm verbessert. Aber müssen wir es zum Beispiel wirklich hinnehmen, dass die Fleischproduktion in den letzten 20 Jahren in Deutschland um zwei Millionen Tonnen zugenommen hat, während der inländische Verbrauch in der gleichen Zeit abnahm? Stattdessen hat sich der Exportanteil fast verdreifacht – ebenfalls mit Milliarden Euro subventioniert durch die Steuerzahler, welche auf der anderen Seite mehrheitlich die Verarmung des ländlichen Raums bedauern.

Niemand will zurück zur Landwirtschaft des 19. Jahrhunderts. Doch kann auch heute ein bäuerlicher Betrieb nachhaltiger arbeiten und der Natur zumindest etwas Raum geben. Die »Hope Farm« in Großbritannien zeigt, dass man konventionell wirtschaften und dennoch profitabel sein kann. Die meisten der erfassten Schlüsselarten haben hier seit Beginn des Projekts gegen den allgemeinen Trend zugenommen. Ziel der europäischen Landwirtschaftspolitik muss es sein, diese Art der Produktion zu fördern – und nicht mit dem Gießkannenprinzip dafür zu sorgen, dass weiter wie bisher geackert und gemäht wird. Sonst verstummen noch mehr Vögel, und das wollen auch die Landwirte selbst nicht.

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