Direkt zum Inhalt

Angemerkt!: Fischereireform schlüpft durchs Netz

Die anstehende Reform beendet nicht das schädliche Zusammenspiel zwischen Regierungsberatern und der Fischerei-Lobby, sagt Rainer Froese vom Leibniz Institut für Meereswissenschaften in Kiel.
Dorsch
Die Fischerei ist für Europas Wirtschaft weniger bedeutend als die Produktion von Nähmaschinen. Trotzdem schafft ihre Lobby es immer wieder, wissenschaftlichen Rat auszuhebeln und Fischbestände an den Rand des Zusammenbruchs zu bringen. Ohne massive Subventionen wäre die europäische Fischerei bankrott: Die Kosten der Jagd auf die letzten Fische übersteigen den Erlös vom Verkauf des Fanges.

Rainer Froese | Der Meeresbiologe Rainer Froese vom Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften (IFM-GEOMAR) kritisiert die europäische Fischereipolitik scharf.
Jedes Jahr werden die Fischereiwissenschaftler von den Politikern gefragt, wie hart die Bestände befischt werden können, so dass sie gerade nicht zusammenbrechen. Die Wissenschaftler werden dabei in die Rolle eines Arztes beim sogenannten "Waterboarding" gezwungen. Schlimmer noch, die wissenschaftlichen Grenzwerte werden von den Politikern regelmäßig überschritten, und daher ist die Mehrzahl der Bestände "außerhalb sicherer biologischer Grenzen", wie es offiziell heißt.

Der traurige Zustand der europäischen Fischbestände hat also keine natürlichen oder gesellschaftlichen Ursachen, die trotz guten Managements einfach nicht zu überwinden wären. Nein, dieser Zustand ist das geplante Ergebnis der gemeinsamen Fischereipolitik, deren Ausgestaltung und Umsetzung wesentlich von der Fischerei-Lobby beeinflusst wird.

Die europäische Öffentlichkeit wird in dem Glauben gehalten, dass das Fischereimanagement von Bürokraten in Brüssel bestimmt wird. Tatsächlich werden die Entscheidungen in Brüssel aber von den Mitgliedstaaten getroffen, die ihre Beschlüsse dann national umsetzen und auch die Einhaltung durch die Fischer überwachen. In den meisten Mitgliedstaaten liegt diese konzentrierte Macht beim Landwirtschaftsministerium.
"Die Wissenschaftler werden in die Rolle eines Arztes beim sogenannten "Waterboarding" gezwungen"
Leider haben viele dieser Ministerien eine zu enge Verflechtung mit der Fischerei-Lobby. Viele der Beamten in der Fischereiverwaltung glauben, es sei ihre Aufgabe, die Rechte der nationalen Fischerei zu schützen, einschließlich des Rechts auf Subventionen und des Rechts zur Überfischung. Diese Konzentration von Forschung, Gesetzgebung, Verwaltung und Kontrolle in einer Hand entspricht nicht dem, was wir in der Schule über die Bedeutung der Gewaltenteilung gelernt haben.

Vielleicht weil die Öffentlichkeit romantische Vorstellungen von der Fischerei hat und weil die Medien Bilder von Fischern mögen, die aus Protest Häfen blockieren oder Fische auf die Straßen von Brüssel kippen, hat die Fischerei-Lobby leichtes Spiel mit destruktiven Taktiken. So werden die Kompetenz der Wissenschaftler und ihre Beratung regelmäßig angezweifelt, der schlechte Zustand der Bestände geleugnet, Schutzgebiete bekämpft, zerstörerische Fanggeräte verharmlost, das Recht zum Fang von Babyfischen verteidigt und die Abschaffung von Schongebieten und Schonzeiten gefordert. Mit diesen Aktivitäten hat die Fischerei-Lobby die Grundlagen einer profitablen Fischerei zerstört. Europäische Fischer haben Gewinnspannen von 3 bis 6 Prozent. In Neuseeland, das seine Fischerei erfolgreich reformiert hat, liegen die Gewinnspannen bei etwa 40 Prozent.

Fischereimanagement in Europa kulminiert in den Treffen des Ministerrats, die hinter verschlossenen Türen stattfinden. Entscheidungen werden im Rat typischerweise mit Zweidrittel-Mehrheit getroffen. Wenn die EU-Kommission meint, dass ihr Vorschlagsrecht von den Ministern nicht genügend berücksichtigt wurde, ist aber Einstimmigkeit erforderlich.
"Die Festlegung der erlaubten Fänge für das nächste Jahr ist ein politischer Pferdehandel"
Das war kürzlich der Fall bei einem Vorbereitungstreffen bezüglich der Befischung des bedrohten Roten Tuns (Thunnus thynnus ). Den Mitgliedsländern gefiel der Vorschlag der Kommission nicht, obwohl er den wissenschaftlichen Empfehlungen entsprach. Sie forderten die Vertreter der Kommission auf, den Saal zu verlassen. Dann beschlossen sie, mit wenigen Enthaltungen, überhöhte Fänge.

Auch wenn die Minister alle paar Jahre wechseln, bleiben die Fischereiberater im Amt und widersetzen sich echten Verbesserungen. Im Ergebnis besteht die gemeinsame Fischereipolitik aus mehr als 600 Einzelverordnungen, von denen sich viele widersprechen. Zum Beispiel fangen regulierte Maschenweiten Fische, die kleiner sind als die regulierte Mindestgröße für die Anlandung. Diese Fische werden dann tot über Bord geworfen. Die Festlegung der erlaubten Fänge für das nächste Jahr ist ein politischer Pferdehandel, mit unheiligen Allianzen, die sich gegenseitig in dem Bemühen stützen, den größtmöglichen Fang für ihre nationalen Fischer zu sichern. Deutschland und Polen unterstützen dann überhöhte französische Fänge im Atlantik, und Frankreich unterstützt im Gegenzug überhöhte Fänge in der Ostsee.

Dorsch | Ein Dorsch im Kieler Aquarium: Seine Artgenossen in der deutschen Ostsee sind einem hohen Fischereidruck ausgesetzt.
Dieser Situation stand Maria Damanaki gegenüber, als sie im letzten Jahr als Kommissarin die Zuständigkeit für die europäische Fischerei übernahm. Sie konnte sich immerhin auf das ausgezeichnete Grünbuch zur Fischereireform von 2009 stützen, in dem vieles von dem, was ich bisher gesagt habe, dokumentiert wird. Damanaki konfrontierte den Ministerrat mit klaren Forderungen zum Wiederaufbau der europäischen Bestände bis zum Jahr 2015, so wie es internationale Vereinbarungen vorsehen. Ihre Vorschläge zur Fischereireform sollen offiziell am 13.  Juli veröffentlicht werden.

Ausgehend von dem gegenwärtigen schlechten Zustand der europäischen Fischerei sind die Reformvorschläge große Schritte in die richtige Richtung. International vereinbarte Richtwerte für nachhaltige Fischerei sollen endlich anerkannt werden und die Vernichtung von Speisefischen aus rein bürokratischen Gründen soll aufhören. Aber der Vorschlag bleibt weit zurück hinter den erfolgreichen Fischereireformen, die in Neuseeland, Australien und den USA durchgeführt wurden. Diese Länder haben vorsorgliche Fischereiziele und schließen die Fischerei, sobald Bestände vom Zusammenbruch bedroht sind. Europa plant keine Vorsorge und reduziert den Fischereidruck nur leicht, wenn der Zusammenbruch droht. Eine Schließung von Fischereien ist normalerweise nicht vorgesehen. Während die genannten Länder Subventionen ganz abgeschafft oder stark reduziert haben, plant Europa nur eine Umverteilung der Subventionen.

Die Reformvorschläge enthalten keinen Hinweis, dass die Kommission die Macht der Landwirtschaftsminister oder den Einfluss der Fischerei-Lobby einschränken will, zum Beispiel indem das Management der Wildfischbestände an die Umweltministerien übergeben wird. Diese Zurückhaltung der Kommission ist verständlich. Sie weiß, dass ihre Vorschläge zur Gesundung der europäischen Meere von den gleichen Beratern und Lobbyisten beurteilt werden, die für die bisherige Übernutzung der Meere verantwortlich sind.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.