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Schlichting!: Wie man Flaschen blitzschnell leert

Mit einer kreisenden Bewegung lässt sich eine Flasche in einem Rutsch entleeren. Dazu hält man die Öffnung nach unten und wirbelt die Flüssigkeit um die senkrechte Achse. Damit der Trick klappt, darf man jedoch nicht zu stark drehen.
Ein Wirbel aus klarem, blauem Wasser, der sich spiralförmig nach unten bewegt. Die Lichtreflexionen auf der Wasseroberfläche erzeugen glänzende, wellenförmige Muster.
Nichts reißt so effizient abwärts wie ein kräftiger Strudel.
Hinter zahlreichen alltäglichen Dingen versteckt sich verblüffende Physik. Seit vielen Jahren spürt H. Joachim Schlichting diesen Phänomenen nach und erklärt sie in seiner Kolumne. Schlichting ist Professor für Physik-Didaktik und arbeitete bis zur Emeritierung an der Universität Münster. Alle seine Beiträge finden sich auf dieser Seite.

Das typische Gluckern scheint unvermeidlich. Im Alltag erleben wir immer wieder, dass sich eine gefüllte, überkopf gehaltene Flasche nicht einfach in einem kontinuierlichen Strom leise leert. Vielmehr ergießt sich der Inhalt portionsweise – in einem ständigen Wechsel von eindringender Luft und ausfließender Flüssigkeit, mit entsprechender akustischer Begleitung.

Dieses komplexe Geschehen eines vermeintlich einfachen Vorgangs sorgt mitunter für Verwunderung. Man hat leicht nur die Flüssigkeit im Blick und übersieht, dass hier noch ein zweites Fluid im Spiel ist – nämlich die Luft. Das wäre an sich noch kein Problem, wenn es zum Beispiel darum ginge, Kochwasser aus einem Topf zu kippen. Bei so einem breiten Gefäß nimmt Luft ohne Weiteres den Raum der ausgeschütteten Flüssigkeit ein. Doch bei einer Flasche ist die Situation eine andere. Hier wechseln die beiden Fluide unter äußerst beengten Verhältnissen ihren Platz.

Ein simples, aber eindrucksvolles Experiment verdeutlicht die wesentliche Rolle der Luft beim Leeren eines Gefäßes. Deckt man ein mit Wasser gefülltes Glas mit einer Postkarte ab und dreht es vorsichtig um, so fließt das Wasser nicht aus. Wer dieses Phänomen zum ersten Mal sieht, ist darüber normalerweise sehr erstaunt. Dabei liegt die Erklärung auf der Hand: Der äußere Luftdruck von einem Bar entspricht immerhin dem Druck einer Wassersäule von etwa zehn Metern. Das ist wesentlich größer als der Druck der nur einige Zentimeter hohen Wassersäule im Glas.

Zurück zur Flasche. Wenn man sie überkopf hält und öffnet, wird die Grenzfläche des Wassers mit der Luft instabil. Es läuft zunächst ein wenig Wasser aus, sodass sich die eingeschlossene Luft im oberen Teil der Flasche ausdehnt. Entsprechend sinkt dort der Druck im Vergleich zum Außendruck, und eine Luftblase kann von außen durch den Flaschenhals eindringen. Auf ihrem Weg nach oben verdrängt die Luftblase Wasser. Dadurch hebt sich die Wasseroberfläche in der Flasche und das oberhalb eingeschlossene Luftvolumen nimmt ab. Der Druck in der Flasche steigt erneut an. Aber nur so lange, bis die aufstrebende Blase im bereits vorhandenen Luftbereich aufgeht. Dann nimmt das Gasvolumen wieder zu und der Druck sinkt. Wieder kann eine Wasserportion abfließen und der Zyklus beginnt erneut. Das steckt hinter dem vertrauten Gluckern.

Gluckern | Um vom allmählichen Aufsteigen einzelner Blasen zu einem wirbelnden Strom zu kommen, muss man die Flasche mit einer Hand am Hals festhalten und mit der anderen Hand drehen.

Wem dieses gluckernde Leeren einer Flasche zu langwierig ist, der kann jedoch zu einem Trick greifen. Diesen lernte ich zum ersten Mal auf einem Weihnachtsmarkt kennen. Ich beobachtete die Verkäuferin am Glühweinstand, wie sie flaschenweise Wein in den großen, heißen Kessel nachfüllte. Mit der einen Hand am Flaschenhals positionierte sie zuerst eine Weinflasche überkopf über den offenen Kessel. Mit der anderen Hand ließ sie dann die Flasche einige Male rotieren. Daraufhin strömte der Wein sehr schnell und stetig hinab.

Was passiert dabei? Die Drehung der Flasche um eine senkrechte Achse versetzt die Flüssigkeit infolge der Reibung mit der Flaschenwand allmählich in Rotation. Die Flüssigkeit ist träge und tendiert dazu, sich geradlinig und gleichförmig weiterzubewegen. So kollidiert sie mit der Flaschenwand und bewegt sich an ihr hoch. In der Mitte sinkt der Flüssigkeitsspiegel entsprechend. Oder einfacher ausgedrückt: Es entsteht ein Strudel. Im Zentrum dieses Wirbels bewegt sich die Flüssigkeit in dem Maß spiralförmig nach unten, wie sie an der Wand aufsteigt. Sobald sie in der Mitte die Flaschenöffnung erreicht, nimmt sie Kontakt mit der Außenluft auf. Dann kann diese in dem zentralen Kanal kontinuierlich einströmen, während die Flüssigkeit weiterhin rotierend ausfließt. Das ist die schnellste Methode, eine Flasche zu leeren. Und wenn davon jemand Ahnung hat, dann ist es die Verkäuferin von Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt.

Flaschentornado | Sobald das Wasser stark genug rotiert, stellt sich kontinuierlicher Austausch von Luft und Wasser ein.

Das klingt einfach. Doch wenn man über das Alltagsbeispiel von Flaschen hinausgeht und Gefäße allgemein betrachtet, wird es komplizierter. Im Jahr 2024 wurde eine Forschungsgruppe um die Physikerin Aurore Caquas von der Universität Paris-Saclay auf das Phänomen aufmerksam. Sie ist in Laborexperimenten insbesondere der Frage nachgegangen, ob es eine optimale Drehgeschwindigkeit gibt, bei der sich zylindrische Behälter am schnellsten entleeren.

»So hat auch das Wasser seine wirbelnden Drehungen«Leonardo da Vinci

Dazu hat das Team einen 39 Zentimeter hohen Plastikzylinder mit einem Radius von 14,5 Zentimetern mit Wasser gefüllt und in Rotation versetzt. Es maß die Entleerungszeiten bei unterschiedlichen Drehgeschwindigkeiten. Dabei konnte das Wasser wahlweise aus zwei verschieden großen Öffnungen mit Radien von zirka 0,7 und 1 Zentimeter austreten.

Als Vergleichsmaßstab diente die Zeit für eine Entleerung ohne Drehung. Das ist der langsame Fall des Gluckerns, wenn also wechselweise Wasser austritt und Luft einströmt. Dieser Zustand bleibt zunächst auch dann noch erhalten, wenn der Zylinder allmählich in Drehung versetzt wird. Bei einer kritischen Geschwindigkeit erreicht der entstehende Wirbel schließlich die untere Öffnung. Allerdings ist der Wirbel zunächst noch sehr instabil und das Entleerungstempo schwankt. Bei weiter wachsender Rotationsgeschwindigkeit wird dann eine zweite Schwelle überschritten. Hier stabilisiert sich der Wirbel und nimmt ein gleichbleibendes Profil an.

Ab diesem Punkt zeigte sich jedoch, dass die Rotationsgeschwindigkeit auch nicht zu groß werden darf. Denn je schneller sich der Zylinder dreht, desto weniger stark strömt das abfließende Wasser hinaus. Das liegt vor allem daran, dass dabei die Luftsäule im Zentrum des Wirbels immer dicker und einflussreicher wird. Während sie anfangs noch hilfreich war, steht sie der Strömung des Wassers nach unten nun immer stärker entgegen. Sie hält es gewissermaßen in seiner Drehung gefangen. Das kann im Extremfall so weit gehen, dass die gluckernde Entleerung ohne Rotation schneller erfolgt als in der Wirbelphase.

Die Ergebnisse der Untersuchung werden kaum den Nachschub von Glühwein auf Weihnachtsmärkten weiter optimieren, denn unter solchen speziellen Umständen schlagen Erfahrungswerte jede Theorie. Vielmehr geht es darum, Vorgänge dieser Art physikalisch ganz allgemein beschreiben zu können, um beispielsweise industrielle Anlagen und Prozesse besser zu planen.

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  • Quellen
Caquas, A. et al., Physical Review Fluids 0.1103/PhysRevFluids.9.064701, 2024

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