Unwahrscheinlich tödlich: Tod durch Graböffnung

Zu Lebzeiten führte Kasimir IV. Polen als König in ein goldenes Zeitalter: In seiner über 45 Jahre andauernden Herrschaft, die mit seinem Tod im Jahr 1492 endete, wurde das Reich zur Großmacht und blühte wirtschaftlich sowie kulturell auf. Doch selbst fast fünf Jahrhunderte später hielt der verstorbene Herrscher aus der Dynastie der Jagiellonen noch eine Überraschung bereit. Und zwar für jene, die 1973 in seine letzte Ruhestätte eindrangen, um diese zu restaurierten. Von zwölf Menschen, die bei der Öffnung des Grabs anwesend waren, starben zehn kurze Zeit später. War der Geist des toten Königs daran schuld – oder gibt es vielleicht doch eine natürliche Erklärung für den »Fluch der Jagiellonen«, wie die Presse das Phänomen damals nannte?
Bei der Suche nach möglichen Ursachen fiel der Verdacht schnell auf Mikroorganismen. In der Ruhestätte, die seit dem Tod Kasimirs unangetastet geblieben war, könnten gefährliche Keime überdauert haben, so die These. Die Restauratoren hätten bei ihren Arbeiten in der Gruft mikrobenhaltigen Staub aufgewirbelt und über ihre Atemwege aufgenommen.
Einige Bakterien und Pilze können dank einer Besonderheit tatsächlich derart lange am Leben bleiben: Sie bilden bei ungünstigen Umweltbedingungen Sporen aus. Das erlaubt es ihnen, in einer Art Dornröschenschlaf auf bessere Zeiten zu warten. Wenn die Umgebung wieder zum Wachsen geeignet ist, werden sie erneut aktiv.
Schimmel im Königsgrab
In Kasimirs Fall müssen wir gar nicht rätseln, ob solche untoten Mikroben im Grab anwesend waren – es gibt stichhaltige Belege dafür. Denn bei ihren Arbeiten nahmen die Restauratoren in der Krakauer Gruft Proben von der Umgebungsluft, den Wänden, dem Sarg und dem darin befindlichen Staub. In diesen wiesen Fachleute im Anschluss mehrere Arten von sporenbildenden Schimmelpilzen nach, nämlich von Aspergillus, Chaetomium, Penicillium und Trichoderma. Einige Vertreter der erstgenannten Gattung stellen hochpotente Mykotoxine her. Aspergillus flavus – den eine polnische Untersuchung am Tatort platziert – produziert unter anderem die sogenannten Aflatoxine. Diese sind nicht nur giftig, sondern zählen außerdem zu den stärksten bekannten Krebsauslösern. Aktuell gelten sie als wahrscheinlichste Verursacher der Jagiellonen-Tode.
Es wäre nicht das erste Mal, dass Aspergillus flavus ein Massensterben auslöste. Die Entdeckung der Aflatoxine geht sogar auf ein solches zurück: Im Jahr 1960 verendeten mehr als 100 000 Truthähne in Großbritannien, alle zeigten Vergiftungserscheinungen. Zuvor hatten sie erdnusshaltiges Futter aus Brasilien bekommen, das mit dem Keim kontaminiert war. In dem Nahrungsmittel wies man 1962 erstmals die Giftstoffe nach, die nach dem erzeugenden Organismus Aflatoxine genannt wurden.
Vögel sind zwar besonders empfindlich gegenüber Aflatoxinen, doch auch bei Menschen kommt es gelegentlich bei Kontakt mit ihnen zu schweren Vergiftungen bis hin zum Tod. Der größte derartige Ausbruch trug sich 2004 in Kenia zu. Mehr als 300 Personen entwickelten ein akutes Leberversagen, nachdem sie mit Aspergillus flavus kontaminierten Mais gegessen hatten. 125 von ihnen – rund 40 Prozent der Betroffenen – starben in der Folge an schweren Leberschäden. In der Region kommt es immer wieder zu solchen Aflatoxikosen. Gelegentlich treten sie auch in anderen Erdteilen auf, wie 1988 in Malaysia, 2004 in Italien und 2008 in Israel.
Aflatoxine sind meist leise Killer
Viel verbreiteter sind allerdings chronische Vergiftungen. Sie gehen meist von Lebensmitteln aus, die mit geringen Mengen mit Aflatoxinen kontaminiert sind, etwa von Nüssen, getrockneten Früchten und Gewürzen. Außerhalb von Zentraleuropa – insbesondere in feuchtheißen Gebieten – findet man Aspergillus flavus häufig auf Grundnahrungsmitteln wie Mais und Getreide. Denn sind die Bedingungen bei der Ernte oder der Lagerung der Feldfrüchte nicht ideal, begünstigt das den Schimmelbefall und damit auch die Kontamination mit Mykotoxinen. Aflatoxine könnten nicht nur das Risiko von Leberkrebs und anderen Lebererkrankungen erhöhen, sondern auch während einer Schwangerschaft das ungeborene Baby schädigen. Sie tragen zu Frühgeburten bei und begünstigen Wachstumsstörungen. Bei Kindern verschärfen sie die Folgen von Unterernährung, weil sie die Aufnahme von Vitaminen und Mineralstoffen stören. Einige der Giftstoffe scheinen außerdem neurodegenerative Erkrankungen zu fördern.
In der EU gibt es deshalb strenge Grenzwerte für Aflatoxine in Lebensmitteln. Sie liegen, je nach Produkt, bei weniger als einem bis hin zu 15 Mikrogramm pro Kilogramm. Auch in Tierfutter dürfen die Stoffe gewisse Limits nicht überschreiten. Denn zum einen können die Gifte den Nutztieren ebenfalls schaden. Zum anderen sammeln sich Aflatoxine in Fleisch und Organen von Schlachttieren, einige gehen in Milch über – und landen so wieder auf unseren Tellern.
- Steckbrief: Aspergillus flavus (Gelber Schimmel)
Organismus: Schimmelpilz
© Ekky / stock.adobe.com (Ausschnitt)Aspergillus-Schimmel unterm MikroskopVorkommen: Seine Sporen sind in Luft und Boden allgegenwärtig; der Schimmel wächst häufig auf energiereichen Lebensmitteln wie Getreide und Nüssen.
Krankheitspotenzial: Die Schimmelsporen können insbesondere bei Personen mit eingeschränkter Körperabwehr eine Infektion namens Aspergillose auslösen. Dabei befällt der Pilz meist die Atemwege, doch auch Haut, Ohren oder Nasennebenhöhlen können betroffen sein. Aspergillosen töten direkt und über Folgeerkrankungen indirekt hunderttausende Menschen pro Jahr. Zusätzlich kann Aspergillus flavus gefährliche Mykotoxine (Pilz-Giftstoffe) erzeugen, die schon in geringen Mengen gesundheitsschädigend wirken.
Mykotoxine: Die von ihm produzierten Aflatoxine lösen in hohen Dosen akute Vergiftungen und in niedrigen über längere Zeit chronische Erkrankungen wie Krebs aus. Etwa zwei Dutzend Aflatoxine sind bekannt; das für Menschen gefährlichste ist Aflatoxin B1, das als starkes Lebergift und als Auslöser von Leberkrebs wirkt.
Besonderheiten: Nicht nur für die Todesfälle bei der Restauration des Grabs von Kasimir IV. sollen Aspergillus flavus und seine Aflatoxine verantwortlich sein, sondern auch für den vermeintlichen »Fluch des Pharao« Tutanchamun. Für die Bestätigung dieser These fehlt es allerdings an wissenschaftlichen Belegen.
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