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Freistetters Formelwelt: Wenn es zu heiß für Menschen wird

Man kann Temperatur auf verschiedene Arten messen. Florian Freistetter erklärt, welche davon die wichtigste für unser Wohlergehen ist - und für die Zukunft ganzer Regionen.
Aufnahme einer Berliner Straße nach schräg oben in die Sonne.

Momentan nähert sich bei uns zwar gerade der Winter, aber was die Welt im Allgemeinen angeht, wird die Zukunft wärmer. Das ist eine fast schon triviale Erkenntnis, die in ihrem vollen Umfang aber nicht weniger dramatisch wird. Manche mögen sich angesichts der Klimakrise vielleicht sogar über wärmere Temperaturen freuen. Sie vergessen dabei allerdings, dass das Konzept von »Temperatur« deutlich komplexer ist als das, was ein simples Thermometer anzeigt.

Werfen wir einen Blick auf diese Formel:

Sie beschreibt die so genannte »wet-bulb globe temperature« (WBGT), und wie man leicht erkennen kann, setzt sie sich aus drei unterschiedlich stark gewichteten Werten zusammen. Die normale Lufttemperatur, die wir im Alltag messen (Td), hat dabei den geringsten Einfluss. Mit Tg wird das Konzept der »Mittleren Strahlungstemperatur« berücksichtigt. Ihre genaue Definition ist komplex, in der Praxis wird sie mit einem »Globe-Thermometer« gemessen, das aus einer schwarz gefärbten Hohlkugel besteht, in deren Innerem sich ein Temperatursensor befindet. Wärmestrahlung heizt die Kugel auf, und die Messung im Inneren vermeidet Ungenauigkeiten, die etwa durch Luftströmungen entstehen können. Den größten Einfluss auf die WBGT hat Tw, die so genannte »Kühlgrenztemperatur«.

Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Sie beschreibt, wie stark die Luft durch Verdunstung abgekühlt werden kann. Das hängt von der Luftfeuchtigkeit ab: Je trockener die Umgebungsluft ist, desto stärker kann die Temperatur durch Verdunstung sinken. Man kann die Kühlgrenztemperatur mit einem Thermometer messen, das mit einem feuchten Stoff überzogen ist. Ist die Luft trocken, kann die Feuchtigkeit des Stoffs schnell verdunsten und das Thermometer stark abkühlen; ist die Luft dagegen sehr feucht, wird unter Umständen gar keine Wärme abgegeben.

Was wir nicht mehr ertragen können

Für uns Menschen ist es gefährlich, wenn die Kühlgrenztemperatur zu lange zu hoch – über Werten von 35 Grad Celsius – ist. Der Körper nimmt dann Wärme aus der Umgebung auf; nach ein paar Stunden führt so eine Überhitzung zum Tod. Die WBGT kombiniert die diversen Temperaturkonzepte zu einer Maßzahl, um den Hitzestress für uns Menschen möglichst genau angeben zu können. Sie kommt bei Sportereignissen oder auch beim Militär zum Einsatz, wenn man wissen will, ob es noch zulässig ist, dass Menschen sich im Freien aufhalten und körperlich anstrengen. Ab einer WBGT von 31 Grad wird es kritisch, bei mehr als 32 Grad definitiv gefährlich.

Die Klimaforschung bedient sich für ihre Prognosen ebenfalls der WBGT. Im November 2020 veröffentlichten Erika Coppola und ihre Kollegen und Kolleginnen Vorhersagen über die Zukunft des Klimas in Europa. Das Resultat der Klimasimulationen: Es wird in den nächsten Jahrzehnten zu einem starken Anstieg der Tage kommen, an denen die WBGT den kritischen Wert von 31 Grad überschreitet, bis zu 30 solcher Tage mehr pro Jahr wird es in niedrig gelegenen Küstenregionen von Südeuropa geben. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ist mit einer Verdoppelung der kritischen Tage zu rechnen.

Was für Europa gilt, gilt für die feuchten Tropenregionen um den Äquator herum noch viel mehr. Schreitet die Klimakrise ungehindert fort, dann könnten Teile der Erde tatsächlich unbewohnbar werden. Es wäre tödlich, sich dort länger als für ein paar Stunden aufzuhalten. Noch liegen die Kühlgrenztemperaturen fast immer unter 30 Grad; was durchaus bereits sehr unangenehm sein kann und körperliche Arbeit im Freien schwer bis unmöglich macht. Es gab jedoch auch schon Hitzewellen, bei denen die kritische Schwelle fast erreicht wurde.

Die Details langfristiger regionaler Entwicklungen der klimatischen Bedingungen auf der Erde sind immer noch schwer vorherzusagen. Einig ist man sich aber darüber, dass wir in Zukunft immer mehr und heftigere Hitzewellen erleben werden. Und dann wird man es sehr viel öfter mit WBGT und Kühlgrenztemperatur zu tun haben als heute.

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