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Freistetters Formelwelt: Würfel und Wahlen

Zyklische Mehrheiten und intransitive Relationen: Florian Freistetter erklärt, was ungewöhnliche Würfel mit den Fallstricken der Demokratie zu tun haben.
Würfel

Die Mathematik beschäftigt sich überraschend häufig mit Glücksspielen. Die beziehen ihren Reiz ja vor allem daraus, dass man nicht weiß, ob man gewinnen wird oder nicht – auch wenn man mit mathematischer Sicherheit davon ausgehen kann, dass im Kasino immer die Bank gewinnt. In der Mathematik dagegen will man Gewissheit und untersucht gerade deswegen die Ungewissheit umso genauer. Das fördert oft überraschende Erkenntnisse zu Tage.

Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Nehmen wir an, jemand lädt uns zu einem Würfelspiel ein. Die vier Würfel, die vor uns auf dem Tisch liegen, sind allerdings nicht die üblichen Exemplare mit ein bis sechs Augen. Der erste zeigt viermal vier und zweimal null. Der zweite Würfel hat auf jeder Seite drei Augen. Auf dem dritten sehen wir viermal zwei und zweimal sechs. Und der letzte Würfel zeigt auf der Hälfte seiner Seiten fünf Augen und auf der anderen jeweils eins. Wir werden aufgefordert, einen der Würfel auszuwählen, um damit gegen einen Würfel anzutreten, den unser Gegenüber sich danach aussucht. Sollen wir uns darauf einlassen, und wenn ja, welchen Würfel sollen wir wählen? Dabei hilft diese Gleichung:

Sie zeigt die Wahrscheinlichkeiten an, mit denen ein Würfel (bezeichnet durch die Buchstaben A, B, C und D) gegen einen anderen gewinnt. Würfel A schlägt Würfel B in zwei Drittel aller Fälle, das Gleiche gilt für das Spiel von Würfel B gegen C, bei C gegen D und bei D gegen A. Es ist also egal, welchen Würfel wir wählen, unser Gegner wird immer einen anderen Würfel finden, der in mehr als der Hälfte aller Fälle gewinnt.

Die Würfel aus diesem Beispiel hat der amerikanische Statistiker Bradley Efron erfunden. Sie demonstrieren eine so genannte »intransitive Relation«. Viele Zusammenhänge in der Mathematik sind transitiv: Ist eine Zahl x etwa kleiner als y und y kleiner als z, dann ist auch x zwangsläufig kleiner als z. Wären die Würfel von Efron ebenfalls transitiv, dann müsste man mit A auch immer gegen D gewinnen. Das ist aber nicht der Fall, ebenso wie beim bekannten Spiel »Schere, Stein, Papier«. Hier schlägt die Schere das Papier und das Papier den Stein, doch die Schere verliert gegen den Stein.

Auch Wahlen können intransitiv sein!

Intransitive Würfel – von denen es noch sehr viel mehr Varianten als die von Efron gibt – sind eine nette Spielerei, mit der man Menschen sicherlich verwirren kann. Intransitive Relationen widersprechen unserer Intuition. Und wenn es dabei nicht um Würfel geht, kann das durchaus größere Auswirkungen haben. Nehmen wir an, Politikerin A ist beliebter als Politiker B. Der ist beliebter als Politiker C. Wenn es dagegen um die Frage von A gegen C geht, verliert A.

Wer gewinnt die Wahl? Das hängt davon ab, wie sie durchgeführt wird: Müssen sich zuerst A und B einer Vorwahl stellen, dann wird A diese gewinnen, dann jedoch gegen C verlieren. Treten dagegen B und C in der Vorwahl an, dann gewinnt B gegen C, verliert aber gegen A.

Das ist eine Variation des so genannten »Condorcet-Paradoxons«, auch bekannt als »Problem der zyklischen Mehrheiten«. Keine der zur Wahl antretenden Personen ist in der Lage, ein Duell gegen jede andere Person zu gewinnen. In der Realität werden die meisten politischen Wahlen auf eine Weise organisiert, die solche Probleme ausschließen. Dort, wo man bei Abstimmungen nicht eine einzelne Option aus einer Liste auswählt, sondern sie nach Beliebtheit anordnet, kann es bei der Auswertung der Ergebnisse allerdings zu paradoxen Resultaten kommen. Im schlimmsten Fall kann die Wahl durch eine geschickte Anordnung von Wahlgängen sogar manipuliert werden.

Wir haben zwar oft das Gefühl, dass Wahlen ungerecht oder »falsch« ausgegangen sind. Trotzdem heißt das nicht, dass man die Ergebnisse stattdessen einfach würfeln sollte!

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