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Freistetters Formelwelt: Wie man Polarkoordinaten tanzt

Für viele Menschen klingt der Begriff Polarkoordinaten einschüchternd. Dabei ist das Prinzip ganz simpel. Sogar Bienen nutzen es täglich - und wir auch.
Bienen auf Honigwaben.

Smartphones und GPS-Satelliten haben die Orientierung mittlerweile sehr einfach gemacht. Man muss auf dem Handy den Zielort eingeben, und schon kann man sich mit einer detaillierten Beschreibung auf den Weg machen. Mit den Koordinatensystemen, die all dem zu Grunde liegen, müssen wir uns eigentlich gar nicht mehr beschäftigen. Dabei lohnt sich auch hier ein Blick auf die Formeln:

Diese beiden Gleichungen beschreiben die Umrechnung zwischen Polarkoordinaten und kartesischen Koordinaten und sehen auf den ersten Blick komplizierter aus, als sie es eigentlich sind. Um die Position eines Punkts auf einer Fläche anzugeben, reichen zwei Zahlen. Dabei sind x und y die klassischen kartesischen Koordinaten, die angeben, wie weit vom Ursprung ein Punkt entfernt ist, wenn man entlang zweier rechtwinklig zueinander stehender Achsen misst. Das kennen wir von unseren Landkarten, wo man die geografische Länge und Breite dafür verwendet.

Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Im Alltag nutzen wir diese Koordinaten jedoch eher selten. Wenn man da nach dem Weg fragt, kann es durchaus sein, dass die Antwort »Einen Kilometer in diese Richtung!« oder ähnlich lautet. Was nichts anderes ist als eine Positionsangabe in Polarkoordinaten. Ausgehend von einem Ursprung (in diesem Beispiel die eigene Position) wird ein Punkt durch seinen Abstand r von diesem Ursprung und einem Winkel φ beschrieben, der die passende Richtung angibt.

Aus mathematischer Sicht bemerkenswert ist die Tatsache, dass in dieser Formel der Winkel nicht explizit, sondern als Argument der Tangens-Funktion angegeben ist. In der Praxis bedeutet das: Man muss bei der konkreten Berechnung immer eine Fallunterscheidung durchführen, je nachdem, in welchem Quadranten sich der Punkt befindet. Man muss also die Vorzeichen von x und y beachten.

Auch Bienen nutzen Polarkoordinaten

Aus physikalischer Sicht sind die Polarkoordinaten für viele Anwendungen praktisch, zum Beispiel dann, wenn man ein System mit radialer Symmetrie betrachten will, aber auch bei der Beschäftigung mit Kräften wie der Gravitation, bei denen die Kraft immer zum Kraftzentrum hin oder davon weggerichtet ist. Im dreidimensionalen Fall verwendet man natürlich Kugelkoordinaten anstatt Polarkoordinaten.

In der Praxis eignen sich die Polarkoordinaten sehr gut für die Navigation, wenn es wirklich nur auf die Richtung ankommt, zum Beispiel, wenn man mit einem Flugzeug fliegt. Nicht umsonst verwenden wir ja den Begriff Luftlinie, wenn wir das meinen, was die Koordinate r beschreibt.

Um Polarkoordinaten zu verwenden, muss man nicht einmal Ahnung von höherer Mathematik haben. Das schaffen beispielsweise auch Bienen, wenn sie einander mitteilen wollen, wo es gute Nahrungsquellen gibt. Sie tun das mit ihrem einzigartigen Schwänzeltanz: Die Biene läuft ein paar Zentimeter in eine bestimmte Richtung und wackelt dabei mit dem Hintern. Dann dreht sie um und beschreibt einen Bogen, der sie zum Ausgangspunkt bringt. Sie wiederholt den Ablauf, nur biegt sie diesmal am Ende in die andere Richtung ab.

Das sieht seltsam aus, und schon Aristoteles wollte verstehen, was die Bienen da treiben. Doch verstanden hat es erst der Zoologe Karl von Frisch im 20. Jahrhundert: Die Bienen nutzen Polarkoordinaten, um einander über besonders ergiebige Futterquellen zu informieren. Die Richtung, in die sie hinternwackelnd laufen, entspricht dabei der Koordinate φ – in Bezug auf den Stand der Sonne. Die Entfernung r wird dabei durch das Ausmaß des Schwänzelns übermittelt. Je heftiger die Biene wackelt, desto weiter ist die Quelle vom Bienenstock entfernt.

Der Schwänzeltanz ist nicht so exakt wie die Koordinatenangabe per Längen- und Breitengrad – und auch nur eine von mehreren Komponenten bei der Kommunikation eines Bienenvolks. Aber es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, dass selbst die Tiere ein grundlegendes mathematisches Verständnis haben.

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