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Freistetters Formelwelt: Weißt du, wie viel Sternlein stehen?

Das ist nicht nur eine Frage aus einem Volkslied. Tatsächlich rätselt darüber auch die Wissenschaft. Selbst mit der korrekten Mathematik lässt sich das Problem nur schwer lösen.
Sternenspuren rund um den Himmelsnordpol.
Sterne leuchten nicht ewig – sondern werden »geboren« und können auch »sterben«.

Als der evangelische Pfarrer Wilhelm Hey im Jahr 1837 den Text für das Lied »Weißt du, wie viel Sternlein stehen« geschrieben hat, dachte er wahrscheinlich nicht an Astronomie. Ihm ging es eher um Gott und dessen Schöpfung – woraus aber nicht folgt, dass die Anzahl der Sterne aus wissenschaftlicher Sicht uninteressant ist.

Ganz im Gegenteil: Es ist durchaus wichtig zu wissen, wie viele Sterne im Universum existieren. Diese fundamentale Frage hängt eng mit anderen Erkenntnissen zusammen, wie dem Problem der Lebensdauer von Himmelskörpern. In der Antike und bis in die Neuzeit hinein ging man noch davon aus, dass die Sterne am Himmel ewig leuchten und sich ihre Anzahl nicht verändert. Mittlerweile wissen wir aber, dass auch Sterne »geboren« werden, wenn interstellare Gaswolken kollabieren und in ihrem verdichteten Inneren Kernfusion einsetzt. Wir wissen, dass Sterne eine begrenzte Lebensdauer haben und zu Weißen Zwergen, Neutronensternen oder Schwarzen Löchern werden, wenn sie keinen Treibstoff mehr für die Kernfusion haben. Die Anzahl der pro Zeit neu entstehenden Sterne ist eine wichtige Kenngröße, wenn man verstehen will, wie sich Galaxien entwickeln. Man kann sie mit dieser Formel näherungsweise beschreiben:

Mit ∑SFR wird die Sternbildungsrate (pro Flächeneinheit) angegeben, die proportional zur Gasdichte ∑gas und einem Exponenten ist. Diesen hat im Jahr 1997 der US-amerikanische Astronom Robert Kennicutt zu 1,4 bestimmt. Schon in den 1950er Jahren hatte der Niederländer Maarten Schmidt ein allgemeines Proportionalitätsgesetz aufgestellt und vermutet, dass der Exponent zwischen 1 und 2 liegen muss.

Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Die heute als Schmidt-Kennicutt-Gesetz bekannte Formel gilt für Galaxien, die nicht älter als fünf Milliarden Jahre sind und ist eine empirische Beziehung, die aus Beobachtungsdaten abgeleitet wurde. Aber es ist intuitiv nachvollziehbar, dass umso mehr Sterne entstehen, je höher die Dichte an interstellarem Gas ist.

Wie aus einer im Januar 2023 erschienenen Studie folgt, entstehen in unserer eigenen Milchstraße zwischen 10 und 20 neue Sterne pro Jahr. Zuvor ging man von nur ein bis zwei Sternen aus, die neu dazukommen. Die Gesamtzahl der Sterne in der Milchstraße lässt sich trotz allem nur schätzen: Es sind zwischen 100 und 400 Milliarden. Die im gesamten beobachtbaren Universum existierenden Galaxien kann man ebenfalls nur näherungsweise bestimmen, aber man vermutet, dass es ein paar Billionen sein können. Auf jeden Fall ist klar: Es gibt sehr, sehr viele Sterne und es wäre illusorisch, sie alle zählen zu wollen.

9095 Sterne funkeln uns an

Das Volkslied von Pfarrer Hey liefert natürlich auch keine Antwort auf die titelgebende Frage und beschränkt sich auf die Feststellung »Gott der Herr hat sie gezählet«. Das hilft bei der Suche nach einer Antwort leider nicht weiter – dafür die Arbeit der US-amerikanischen Astronomin Dorrit Hoffleit. Sie hat 1956 den »Yale Catalogue of Bright Stars« zusammengestellt und darin alle Sterne aufgelistet, die man – zumindest prinzipiell – mit bloßem Auge am Himmel sehen kann. Insgesamt sind dort 9095 Objekte gelistet. Dank der Lichtverschmutzung ist die Zahl der ohne Hilfsmittel sichtbaren Sterne heutzutage stark gesunken. Trotzdem ist es beruhigend, dass es zumindest in der Theorie eine verbindliche Antwort gibt. Das Lied von Hey könnte man nun entsprechend umdichten:

Weißt du, wie viel Sterne stehen
An dem blauen Himmelszelt?
Gott der Herr hat sie gezählet,
verriet es leider nicht der Welt.
Die Antwort kam von Dorrit Hoffleit
und jetzt wissen wir Bescheid.

Zugegeben, die konkrete Zahl 9095 kommt hier auch nicht vor. Aber was reimt sich schon auf »neuntausendfünfundneunzig«? Vielleicht fällt Ihnen ja etwas besseres ein.

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