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Hirschhausens Hirnschmalz: Freudsche SMS oder: Haben Smartphones ein Unbewusstes?

Eckart von Hirschhausen

Wissen Sie, was Ihr Smartphone heimlich denkt? Achtung, gleich könnten einige Dinge zum Vorschwein kommen ... Ups, ein freudscher Fehler! Unter anderem mit dem Wort "Vorschwein" – eine Mischung aus dem beabsichtigten "Vorschein" und der versehentlich beigemengten "Schweinerei" – wollte Sigmund Freud demonstrieren, dass sich in unseren Versprechern geheime Gedanken offenbaren. Ein aktuelles Beispiel ist bei YouTube zu belächeln: Auf dem CDU-Parteitag 2008 sprach Angela Merkel ihren damaligen Rivalen Koch mit "Roland Kotz" an. Seitdem schreibt die Kanzlerin lieber SMS. Aber auch hier hat das Unbewusste ein Wörtchen mitzureden!

Wie Sascha Topolinski von der Universität Würzburg vor Kurzem nachweisen konnte, lernen SMS-Schreiber nicht nur, mit Hilfe der Zifferntasten Buchstaben zu erzeugen. Sie üben unbemerkt auch den anderen Weg ein: Zahlen in Wörter zu übersetzen. In Topolinskis Studie erkannten die Versuchspersonen zum Beispiel das Wort "Liebe" rund zehn Millisekunden schneller als korrektes Wort, wenn sie vorher unter einem Vorwand "54323" auf einem Handy eintippen mussten – obwohl auf der Tastatur nur Ziffern abgebildet waren. Offenbar aktivierte die Zahlenkombination das in einer Kurznachricht resultierende Wort im Gedächtnis gleich mit!

Psychotest

Was denken Sie bei der Ziffernfolge 54323?

  1. A) 54324
  2. B) Liebe
  3. C) Wie bitte?
  4. D) Ich schreib keine SMS

Wenn SMS uns unbewusst beeinflussen, drängt sich die Frage auf, ob auch Handys selbst geheime Gedanken haben. Laut Freud beschäftigt sich das "Es" am liebsten mit Sex, Tod und Aggression. Exakt die Vorlieben meines Telefons! Ich kann das beweisen, anhand der Eingabehilfen T9 und "Autokorrektur". Kennen Sie den geisterhaften Moment, wenn Sie anfangen, ein Wort einzutippen, und das Telefon weiß schon, wie es weitergeht? Das erste Mal fiel mir die unterdrückte Libido meines Tastenteufels auf, als ich harmlos schreiben wollte: "Komm heil an!" Was bekam der Empfänger zu lesen? "Komm geil an!" Ein höfliches "Darf ich dich kurz stören?" wird zu: "Darf ich dich kurz stoßen?" Das Funkferkel kennt sogar Ausdrücke, auf die noch nicht mal mein Unbewusstes kommt: "Ich rudi auf dich!" – gemeint war: "Ich steh auf dich!"

Auf alle Fälle ist das Ding, typisch psychoanalytisch, offenbar analfixiert: "Kannst du meine Kacke mitbringen? Die liegt noch auf deinem Rücksitz." Auch der freudsche Todestrieb schlägt zuweilen durch: Wer "Hallo Papi" schreibt, erhält als Vorschlag: "Hallo Sarg". Ödipal hoch neun! Wünscht sich das Smartphone etwa den Tod des Vaters herbei, um ungestört mit dem Motherboard Daten auszutauschen?

Die Absurditäten nehmen kein Ende. Wenn ich per SMS "Gute Nacht!" wünschen möchte, erscheint "Gute Macht!" Wer hat T9 programmiert – R2–D2? In welcher Situation außerhalb einer Jedi-Rebellion könnte man sich "gute Macht" wünschen? Offenbaren die Maschinen damit vielleicht ihre geheimen Pläne, die Weltherrschaft zu übernehmen? Letztes Silvester: Ich wünschte "guten Rutsch", mein Telefon verbreitete "guten Putsch"! Vielleicht stehen wir kurz vor der wahren digitalen Revolution?

Doch es gibt Hoffnung. Das System ist lernfähig – so heißt es –, und tatsächlich trägt es manchmal selbst schon pädagogische Züge: Ein "Prost" wird zu "Sport" autokorrigiert. Schwitzen statt saufen! Haben Computer vielleicht sogar Humor? Zumindest ­machen sie aus "gute Besserung" spontan "gute Bewässerung". Ich weiß nicht genau, wie es gemeint ist, aber: Das wünsche ich meinem Smartphone auch!

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  • Quellen
Topolinski, S.: I 5683 You: Dialing Phone Numbers on Cell Phones Activates Key-Concordant Concepts. In: Psychological Science 22, S. 355–360, 2011

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