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Krebs verstehen: Hunde als Krebsschnüffler

Hunde können Krebs riechen. Ob sich damit die Früherkennung sinnvoll ergänzen ließe und was man sich von den Spürnasen für die Krebsdiagnose abschauen könnte, erklärt Ärztin Marisa Kurz in »Krebs verstehen«.
Ein kleiner Hund mit schwarz-weißem Fell schaut mit großen Augen auf einen Finger, der sanft seine Schnauze berührt. Der Hund wirkt aufmerksam und etwas verunsichert.
Hunde haben viel mehr Riechzellen als Menschen. Sie können nicht nur Drogen und Sprengstoff erschnüffeln, sondern auch Krebs (Symbolbild).

Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung. Was passiert dabei im Körper? Warum bekommt nicht jeder Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.

Vor mehr als zehn Jahren las ich erstmals Berichte über Hunde, die Krebserkrankungen ihrer Besitzer erkannten. Durch auffälliges Verhalten wie Antippen, Ablecken oder intensives Beschnüffeln bestimmter Körperstellen machten die Tiere ihre Herrchen darauf aufmerksam, dass etwas nicht stimmte. Untersuchungen haben dann gezeigt, dass die Personen tatsächlich an Krebs erkrankt waren, etwa an Brust- oder schwarzem Hautkrebs.

Seitdem versuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu verstehen, wie es sein kann, dass Hunde Krebs riechen können – und ob die Medizin etwas von den Spürnasen lernen kann. Heute geht man davon aus, dass Hunde so genannte flüchtige organische Verbindungen erschnuppern. Hunderte bis Tausende solcher Stoffe kommen etwa in der menschlichen Ausatemluft oder in Körperflüssigkeiten vor. Bei Krebs ändern sich Stoffwechselvorgänge und somit die Mischung dieser Verbindungen. Entsprechende Geruchsveränderungen können Hunde wahrnehmen.

In Studien konnten sie nicht nur Krebszellen im Labor erschnüffeln, sondern auch Proben von Krebspatienten und Gesunden unterscheiden. So erkannten Hunde eindeutig Atem- und Urinproben von Lungenkrebspatienten sowie Urinproben von Personen mit Prostatakrebs. Zudem identifizierten sie Atem- und Stuhlproben von Darmkrebserkrankten, Atem- und Urinproben von Brustkrebspatientinnen, Gewebematerial von Frauen mit Gebärmutterhalstumoren und Gewebe- und Blutproben von solchen mit Eierstockkrebs. Laut diesen Ergebnissen besitzen Hunde offenbar eine bemerkenswerte Fähigkeit zur Krebsfrüherkennung.

In meinem medizinischen Alltag leite ich bei Verdacht auf Krebs spezielle Untersuchungen wie eine Computertomografie ein und muss nicht – so sehr ich mich über die Gesellschaft eines Hundes bei der Arbeit freuen würde – auf die feine Nase der Tiere zurückgreifen. Dennoch finde ich die Frage spannend: Könnten Hunde Krebsfrüherkennungsuntersuchungen bei bislang beschwerdefreien Menschen durchführen? Könnte eine Frau beispielsweise ihren getragenen BH ins Hundelabor einschicken, anstatt zur Mammografie zu gehen?

Tatsächlich gibt es heute schon kommerzielle Anbieter, denen man getragene Mund-Nasen-Masken zuschicken kann, damit Hunde daran erschnüffeln, ob Lungenkrebs vorliegen könnte

Schnüffeltest als Krebsvorsorge?

Tatsächlich gibt es heute schon kommerzielle Anbieter, denen man getragene Mund-Nasen-Masken zuschicken kann, damit Hunde daran erschnüffeln, ob Lungenkrebs vorliegen könnte. Ein großer Vorteil an so einem Schnüffel-Screening: Tiere an einem getragenen Gegenstand oder einer Blut- oder Urinprobe riechen zu lassen, ist für die Betroffenen sicher angenehmer als eine Darmspiegelung oder Mammografie.

Doch Krebsfrüherkennungsuntersuchungen müssen noch viel mehr leisten. Vor allem besteht ihre Aufgabe darin, Erkrankte und Gesunde präzise zu unterscheiden. Werden Erkrankte fälschlicherweise als gesund eingestuft, kann das den Therapiebeginn verzögern und die Prognose verschlechtern. Klassifiziert man umgekehrt Gesunde unzutreffend als krank, ist das für diese nicht nur eine enorme psychische Belastung, sondern zieht auch unnötige Folgeuntersuchungen nach sich.

Außerdem sollten Screening-Untersuchungen kostengünstig und massentauglich sein. Für ein flächendeckendes Screening in Deutschland bräuchte es tausende Hunde, die von Profis gezüchtet, trainiert und betreut werden müssten. Noch dazu müssten der Tierschutz bedacht und Qualitätskriterien für die Ausbildung und Prüfung der Hunde etabliert werden, um einheitliche Standards zu schaffen. Und erst einmal müssten große Studien mit vielen Probanden zeigen, dass Hunde bestimmte Krebserkrankungen in einem frühen Stadium zuverlässiger erkennen als andere Untersuchungen.

Für einige der Krebserkrankungen, die Hunde in den genannten Studien erschnüffeln konnten, gibt es bereits anerkannte Früherkennungsuntersuchungen, etwa die Screenings auf Darm- oder auf Brustkrebs. Bald soll in Deutschland auch ein Lungenkrebs-Screening für Risikopatienten eingeführt werden.

Käme zum jetzigen Zeitpunkt ein Patient mit einem auffälligen Schnüffeltestergebnis zu mir, würde es mir schwerfallen zu entscheiden, welche Untersuchungen ich anordne. Könnte ich dem Ergebnis so sehr trauen, dass ich den Patienten einer Strahlenbelastung durch eine Computertomografie aussetze? Und welche Körperregion würde ich überhaupt untersuchen? Könnte ich mir bei einer auffälligen Atemprobe sicher sein, dass der Hund Lungenkrebs gerochen hat, wo bekannt ist, dass Hunde auch auf andere Erkrankungen reagieren? Empfehlungen von medizinischen Fachgesellschaften, wie Ärzte mit entsprechenden Ergebnissen umgehen sollen, gibt es bisher nicht.

Die Vorstellung, mit Patientenproben in den Nebenraum zu gehen und sie dort von Hunden beschnüffeln zu lassen, gefällt mir sehr. Doch selbst wenn Hundenasen tatsächlich einzelne Krebsfälle aufspüren können, bezweifle ich, dass sich solche Untersuchungen als Screening für eine breite Masse eignen. Viel interessanter finde ich die Frage, was genau die Hunde eigentlich erschnüffeln – und ob wir derartige tumorspezifischen Geruchsmuster auch mit anderen, womöglich massentauglicheren Methoden nachweisen könnten. Fachleute arbeiten daran, die Geruchsmuster einer Erkrankung zu entschlüsseln und geeignete technische Mittel zu entwickeln, um diese bestmöglich zu erkennen. So genannte elektronische Nasen – also Detektoren, die bestimmte krankheitsspezifische Mischungen flüchtiger organischer Verbindungen aufspüren sollen – könnten in Zukunft etwa Ausatemluft auf Anzeichen von Lungenkrebs untersuchen. Die europäische Gesellschaft für Lungenheilkunde hat 35 Studien zu elektronischen Nasen in der Lungenkrebsdiagnostik ausgewertet. Ihr Fazit: Die Technologie ist viel versprechend.

Ohne Zweifel haben Hunde die Fähigkeit, das Geruchsmuster bestimmter Erkrankungen zu erkennen. Hundebesitzern würde ich deshalb raten, sich beim Arzt vorzustellen, wenn ihr Hund sich auffällig verhält und bestimmte Körperstellen immer wieder beschnüffelt, ableckt oder anstupst. Und auch wenn ich im Moment nicht an ein breites Krebs-Screening mit Hunden glaube, so hoffe ich doch, dass wir uns etwas von ihren empfindlichen Nasen abschauen können. Dafür gilt es noch besser zu verstehen, was genau die Hunde riechen, und dann Geräte und Methoden zu entwickeln, die diese Substanzen detektieren. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Medizin etwas von der Natur lernt.

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