Direkt zum Inhalt

Unwahrscheinlich tödlich: Tod durch Wildschwein

Wildschweine sind zwar scheu, aber die wuchtigen Tiere können sich durchaus wehren, wenn sie sich bedroht fühlen. Im Schnitt gehen mehr Tode auf ihr Konto als auf das von Haien oder Braunbären.
Ein Wildschwein steht auf einem mit Herbstlaub bedeckten Waldboden. Es schaut in die Kamera, im Hintergrund sind in Unschärfe Bäume zu sehen.
Kein Löwe im Bild – auch wenn man das in Berlin und Brandenburg vielleicht anders sieht.
Eines ist sicher: Irgendwann geben wir alle den Löffel ab. Weniger absehbar ist das Wie. Denn es gibt eine schier unendliche Zahl an Wegen, die einen Menschen ins Grab bringen können – manche von ihnen außergewöhnlicher, verblüffender und bizarrer als andere. In der Kolumne »Unwahrscheinlich tödlich« stellen wir regelmäßig solche Fälle vor, von bissigen Menschen über giftige Reisbällchen bis hin zu lebensgefährlichem Sex.

In der ersten Staffel der erfolgreichen Fernsehserie »Game of Thrones« stirbt König Robert Baratheon; das Ereignis bietet den Ausgangspunkt für das titelgebende Spiel um die Throne, das zahlreiche Konflikte nach sich zieht. Für den Regentenmord steht in der Show kein Mensch ein, sondern ein aufgeschrecktes Wildschwein. Während die royale Entourage das Tier jagt, fügt es dem Monarchen schwere Wunden zu, die er nicht überlebt. Ein derartiger Tod ist kein reines Hirngespinst des Autors George R.R. Martin. Denn tatsächlich sterben auch im wahren Leben gelegentlich Menschen nach Zusammenstößen mit Keilern oder Wildsäuen.

Im Jahr 2017 etwa erlag ein 50-jähriger Deutscher einer solchen Konfrontation. Sie geschah im Rahmen einer Treibjagd, bei der ein ausgewachsener Keiler auf ihn zuraste und mit seinen scharfen Hauern den Oberschenkel des Jägers durchbohrte. Dabei zerriss er die Beinschlagader sowie eine große Vene. Die Verletzung führte zum rapiden Blutverlust und der Mann starb, bevor er ärztlich versorgt werden konnte.

Der Vorfall trug sich im Herbst zu – besonders häufig sind Wildschweinattacken jedoch zu anderen Jahreszeiten. Im Winter sind es die brunftigen Eber, denen man besser aus dem Weg geht. Im Frühling sollte man die Wildsäue mit ihren Frischlingen meiden, die sie im Ernstfall mit aller Kraft verteidigen. Dabei gilt: Egal, wie niedlich sie sind, bitte keine kleinen Wildschweinchen anfassen und immer einen ausreichend großen Sicherheitsabstand zu ihnen wahren. Damit Mama gar nicht erst auf die Idee kommt, dass einer ihrer Schützlinge bedroht sein könnte.

Schwein gehabt?

Dass Wildschweine auf Personen losstürmen, passiert äußerst selten. In Deutschland dürfte die Attacke von 2017 die aktuellste gewesen sein, die für einen Menschen tödlich ausging. 2024 gab es vereinzelte Zusammenstöße etwa in Lübeck, in Stuttgart und im Saarland, bei denen Betroffene verletzt wurden.

Eine 2023 veröffentlichte globale Auswertung von Wildschweinattacken zeigt allerdings, dass die Fallzahlen zwischen 2000 und 2019 stark zunahmen. In den 29 untersuchten Ländern, zu denen auch Deutschland zählt, fanden die Fachleute um die Jahrtausendwende noch weniger als 20 Angriffe pro Jahr. Knapp zwei Jahrzehnte später waren es mit über 190 Fällen mehr als zehnmal so viele. Die Gründe dafür nennt die Arbeit zwar nicht. Möglich ist, dass Menschen heute einfach häufiger in den Lebensraum der Tiere eindringen und so mehr Potenzial für Konflikte entsteht. Insgesamt kamen in den 20 betrachteten Jahren 172 Menschen ums Leben. Auch hier zeigt sich ein klarer Aufwärtstrend: Während 2000 bis 2005 weltweit weniger als drei Personen pro Jahr durch ein Wildschwein ins Jenseits befördert wurden, traf es 2017 bis 2019 jeweils mehr als 15 Menschen. Mit im Schnitt 8,6 Opfern jährlich sind die Tiere damit laut den Autoren immerhin gefährlicher als die von vielen gefürchteten Haie oder Braunbären.

Die Getöteten waren in der überwiegenden Mehrheit der Fälle männlich. Auch hierfür liefert die Arbeit keine Erklärung. Vermutlich spielen mehrere Faktoren eine Rolle – Männer dürften etwa insgesamt häufiger als Frauen in Waldnähe arbeiten, wo sie den Tieren eher begegnen. Zudem sind die meisten Jäger männlich. Und zuletzt könnte auch etwas leichtsinnigeres Verhalten zu Konfrontationen beitragen. Obwohl die Paarhufer eigentlich in der Dämmerung und nachts besonders aktiv sind, passierten Unfälle vorwiegend in den Tagesstunden.

Angriffe unter der Gürtellinie

Wildschweine attackieren häufig die Beine von Menschen, die ihnen den Weg versperren. Sie stoßen, rammen oder beißen, wobei die scharfen Hauer der Keiler tief ins Fleisch eindringen und Blutgefäße durchtrennen können. Etwa acht von zehn der bekannten Todesopfer verbluteten, die meisten von ihnen noch am Tatort. Unter den registrierten Fällen gab es jedoch auch ein paar grausigere Ableben. So erwischten die Tiere insgesamt sechs Personen, während diese draußen ihre Notdurft verrichteten – eine gute Erinnerung für alle, sich zum Defäkieren ein geeignetes stilles Örtchen auszusuchen. Eine Person wurde beim Angriff ausgeweidet. Und in einer kleinen Zahl von Fällen fehlte von den Toten ein Häppchen (oder mehr).

Trotzdem muss man sich in deutschen Feldern und Wäldern nicht besonders vor dem Schwarzwild fürchten. Solche Zwischenfälle sind in Zentraleuropa äußerst selten. Etwa die Hälfte der tödlichen Attacken geschahen laut Studienautoren in Indien; in Deutschland gab es in den 20 betrachteten Jahren hingegen insgesamt bloß drei Todesopfer. In aller Regel sind die Tiere sehr scheu. Sie greifen im Normalfall nur dann an, wenn sie sich bedroht und in die Enge gedrängt fühlen. Bei Begegnungen mit einem Wildschwein ist es deshalb wichtig, ruhig zu bleiben und dem Tier ausreichend Raum zur Flucht zu geben.

Im Wald lauern übrigens weitaus größere Gefahren als Wildsäue, Keiler oder Wölfe: andere Menschen. So erschoss etwa in Italien 2024 ein 34-Jähriger bei der Jagd seinen 55-jährigen Vater, weil er diesen für ein Beutetier gehalten hatte. Beide Männer waren zu dem Zeitpunkt in einem Areal unterwegs, in dem das Jagen strikt verboten ist. Auch im Jahr zuvor war ein Italiener unter ähnlichen Umständen gestorben. In Deutschland kommt es ebenfalls immer wieder zu derartigen Unfällen. Anfang 2025 verblutete etwa ein Jäger in einem Hochstand, nachdem ein anderer aus einem 200 Meter entfernten Hochstand unbeabsichtigt auf ihn geschossen hatte. Im April erschoss sich ein Deutscher bei der Wildschweinjagd versehentlich selbst. Das gefährlichste Tier in heimischen Wäldern ist und bleibt somit der Mensch.

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.