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Angemerkt!: Geschäft mit der Angst

Tanja Krämer
Gesundheit ist ein kostbares Gut. So kostbar, dass man sie kaum noch dem Zufall überlassen will. Das gilt besonders für die künstliche Befruchtung. Immer neue Untersuchungen suggerieren den hoffnungsvollen Paaren, sie könnten schon mit dem Genmaterial ihres Kindes bestimmen, ob es ein gesundes und damit auch ein glückliches Leben führen wird.

In den Niederlanden reicht nun schon die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Krankheit aus, um Embryonen bei der künstlichen Befruchtung auszusortieren. Die Entwicklung hier und in anderen Ländern zeigt: Ohne eine strenge Regulierung läuft die Präimplantationsdiagnostik Gefahr, außer Kontrolle zu geraten.

Ein fünf Tage alter Embryo
Konkret geht es um Brustkrebs. Allein dieses Wort genügt, um den meisten Frauen einen Schauer über den Rücken zu jagen. Mehr als ein Viertel aller Krebserkrankungen bei Frauen sind solche der Brust. Die Angst, dass es auch die eigene Person treffen könnte, schwingt bei jeder Vorsorgeuntersuchung mit. Die niederländische Staatssekretärin kann das anscheinend mitfühlen und will darum bei künstlichen Befruchtungen die Embryonen zukünftig auch auf die Gene BRCA1 und BRCA2 untersuchen lassen. Frauen, die diese Gene in sich tragen, haben ein Risiko von 55 bis 85 Prozent, irgendwann an Brustkrebs zu erkranken. Die Brustkrebs-Gene seien so bedrohlich, begründete die Staatssekretärin ihren Vorstoß, "dass man es der Tochter, die man bekommt, sicher nicht mitgeben will." Embryonen mit dieser Veranlagung können darum in den Niederlanden nun aussortiert werden.

Den eigenen Töchtern die Angst vor Brustkrebs zu ersparen, klingt natürlich verlockend. Man muss kein Hellseher sein, um sich auszumalen, wie viel Nachfrage ein entsprechendes Untersuchungsangebot in den Reproduktionskliniken produzieren – und wie viel Geld es in die Kassen der Mediziner spülen wird.

Doch der Wunsch nach Kontrolle geht in die Irre: Auch Frauen ohne die BRCA-Gene können an Tumoren erkranken. Nur fünf Prozent der Brustkrebserkrankungen sind erblich bedingt. Die Heilungschancen bei einer frühen Erkennung stehen auch hier gut, es gibt Vorsorgemöglichkeiten und spezielle Therapien für Risikopatientinnen. Zudem finden Forscher immer neue Gensequenzen, die bei der Krebsentstehung eine Rolle spielen. Wenn jeder Embryo mit einem solchen Gen oder einer Gensequenz aussortiert werden sollte, dürfte es schwierig werden, überhaupt noch Embryonen zu finden, die von den Frauen ausgetragen werden können.

Embryonenforschung
Dazu kommt, dass es bei den Embryonen mit den entsprechenden Genen gar nicht sicher ist, ob sie überhaupt an Brustkrebs erkranken würden. Bislang ist nur bekannt, dass die Genträger eine hohe Wahrscheinlichkeit haben, einen Tumor in der Brust zu entwickeln. Einen Embryo aber nur wegen seiner potenziellen Leiden auszumustern, ist vermessen.

Zudem ermöglicht die Argumentation mit der Wahrscheinlichkeit eine immer breitere Auslegung des Krankheitsbegriffs und erschafft so eine Diktatur der Gesunden. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die wahrscheinliche Erkrankung an Diabetes oder die wahrscheinliche Neigung zu Suchtverhalten zur Selektion von Embryonen führen.

In einer Zeit der hoch technisierten Vorsorgemedizin stellt sich einmal mehr die Frage, ob man wirklich alle Methoden bis zum Schluss ausreizen sollte. Ursprünglich war die PID gedacht, um so genannten Risiko-Paaren zu ermöglichen, ein Kind zu bekommen, das keine schwere und unheilbare vererbbare Krankheit hat. Unter solchen Krankheiten verstand man etwa die Mukoviszidose, an der die Kinder lange leiden und langsam sterben. Inzwischen jedoch werden mit der PID in Großbritannien Embryonen so ausgesucht, dass ihr Erbmaterial sich als Spender für ihre kranken älteren Geschwister eignet. In anderen Ländern wird auf Trisomie 21 hin selektiert. Beides Anwendungen, die mit dem ursprünglichen Konzept der PID nicht mehr zu begründen sind.

BRCA-defiziente Chromosomen
Der Vorstoß der Niederländer ist nun ein weiterer Schritt in eine immer liberalere Handhabung der vorgeburtlichen Selektion. Dass er von den Reproduktionsmedizinern unterstützt wird, ist nicht weiter verwunderlich. Sie wollen hauptsächlich zufriedene Kunden – und die bekommen sie mit einem großen Leistungsangebot, das die höchstmögliche Sicherheit verspricht. Doch die PID ist gedacht, um Kindern das Leiden an schwerwiegenden, tödlichen Krankheiten zu ersparen – und nicht um ihnen jedes gesundheitliche Risiko abzunehmen. Das Leben ist nicht kontrollierbar – auch nicht mit PID.

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