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Unwahrscheinlich tödlich: Tod durch Ölkäfer

Ein Tier verbreitet in Deutschland offenbar gerade Angst und Schrecken: der Schwarzblaue Ölkäfer, der bei Stress stark gifthaltige Tröpfchen aus seinen Beingelenken drückt. Doch wie gefährlich sind das Insekt und sein Gift Cantharidin wirklich?
Ein schwarzblau glänzender Käfer mit ausgesprochen dickem Hinterteil krabbelt auf einem Stück Holz.
Vorsicht, giftig! Den Schwarzblauen Ölkäfer fürchten viele, doch es muss schon ziemlich viel schiefgehen, damit eine Begegnung mit dem dicken Brummer (für die menschliche Seite) tödlich ausgeht.
Eines ist sicher: Irgendwann geben wir alle den Löffel ab. Weniger absehbar ist das Wie. Denn es gibt eine schier unendliche Zahl an Wegen, die einen Menschen ins Grab bringen können – manche von ihnen außergewöhnlicher, verblüffender und bizarrer als andere. In der Kolumne »Unwahrscheinlich tödlich« stellen wir regelmäßig solche Fälle vor, von bissigen Menschen über giftige Reisbällchen bis hin zu lebensgefährlichem Sex.

In den vergangenen Wochen sind mir gleich mehrere Texte begegnet, die vor der Gefahr durch Schwarzblaue Ölkäfer (Meloe proscarabaeus) warnen. Die Insekten sind hierzulande schon länger heimisch, doch sie haben in den letzten Jahren, so zumindest mein Eindruck, mehr Medienaufmerksamkeit bekommen. Was sicher damit zu tun hat, dass die »Maiwürmer« ein hochpotentes Gift namens Cantharidin produzieren. Nach Kontakt mit der Haut verursacht es einen blasenbildenden Ausschlag. Gelegentlich stirbt das betroffene Gewebe daraufhin sogar ab. Wer Cantharidin verschluckt, muss mit Magen-Darm-Beschwerden, neurologischen Symptomen und Nierenschäden rechnen. Mengen von einigen Milligramm können bereits zum Tod führen – und in so manchem ausgewachsenen Käfer steckt zumindest in der Theorie genug Toxin, um ein Kind zu töten.

Bei einem 1999 registrierten Todesfall brauchte es für den schlimmstmöglichen Ausgang jedoch mehr als ein einzelnes Tier. In Simbabwe verspeisten ein vierjähriges Mädchen und sein siebenjähriger Bruder eine unbekannte Menge gebratener Käfer der Spezies Mylabris dicincta – eine von hunderten bekannten Ölkäferarten, die Cantharidin enthalten. Die Kinder hatten die Tiere womöglich mit einem ähnlich aussehenden, essbaren Insekt verwechselt. Ihre Eltern entdeckten die beiden lethargisch neben Erbrochenem und brachten sie am folgenden Tag in die Notaufnahme. Die Kinder litten zu dem Zeitpunkt unter heftigen Magen-Darm-Beschwerden und Bewusstseinseinschränkungen. Dem älteren konnten die Mediziner nicht mehr helfen: Der Junge verstarb, kurz nachdem er in der Station ankam. Seine Schwester überlebte. Ihre Symptome blieben fünf Tage lang bestehen und sie bekam diverse unterstützende Behandlungen, bevor sie das Krankenhaus vollkommen genesen verlassen konnte.

Es sind noch weitere Fälle dokumentiert, bei denen Babys und Kleinkinder den einen oder anderen Ölkäfer verschluckten. In Saudi-Arabien nahmen zwei Säuglinge je einen Käfer der Art Hycleus maculiventris zu sich, deren Exemplare besonders viel Cantharidin enthalten. Die Insekten konnten identifiziert werden, nachdem die Kleinen sie zusammen mit Blut erbrochen hatten. Der vergiftete Junge war nicht mehr bei vollem Bewusstsein, als er etwa vier Stunden nach dem Vorfall ins Krankenhaus kam. Seine Nieren funktionierten nur noch eingeschränkt und er hatte neurologische Symptome. Seine Beschwerden verschwanden innerhalb von vier Tagen wieder. Das zweite Kind, ein Mädchen, hatte zusätzlich Fieber und erlitt im Spital einen Krampfanfall. Ihre Nierenfunktion war ebenfalls beeinträchtigt, sie erholte sich nach wenigen Tagen aber vollständig von dem Käfermahl.

Vor allem Eltern sollten bei Ölkäfern vorsichtig sein

Auch Blauschwarze Ölkäfer produzieren ausreichend Cantharidin, um insbesondere bei Babys und Kleinkindern schwere Vergiftungen auszulösen. Da die Insekten in unseren Breiten eher selten vorkommen, müssen sich Eltern keine allzu großen Sorgen machen. Dennoch ist es ratsam, darauf zu achten, was der Nachwuchs sich draußen so in den Mund steckt. Ölkäfer sind schließlich nicht die einzigen Organismen, die den Kleinen gefährlich werden können.

Erwachsenen liegen Ölkäfer mitunter ebenfalls schwer im Magen. Das musste ein 29-jähriger Mann in Malta lernen, nachdem er ein solches Tier absichtlich verschluckt hatte. Über seine Beweggründe lässt sich nur spekulieren. Die Fachleute vom National Poisons Information Service in Cardiff (UK), die seinen Fall 2012 auf einer Konferenz vorstellten, beschrieben lediglich die aufgetretenen Beschwerden direkt nach dem Zwischenfall. Der Mann kam 24 Stunden nach dem Käfermahl in die Notaufnahme, wo ein Nierenversagen festgestellt wurde. Zudem war seine Blutgerinnung gestört und er erlitt neurologische Schäden. Leider ist nicht bekannt, ob diese bestehen blieben oder ob der Patient sich erholte.

Ein weiterer Mann aß als Mutprobe einen Käfer der Spezies Berberomeloe majalis. Die Kameraden des Soldaten hatten gewettet, dass er sich nicht trauen würde, das dicke schwarz-rote Insekt zu verzehren. Dass er sich dazu anstacheln ließ, bereute er recht schnell. Innerhalb von 15 Minuten brannte ihm der Mund, ihm war übel, er erbrach sich und schied blutigen Urin aus. In der Notaufnahme stellte das medizinische Team akute Nierenschäden fest. Der Mann verbrachte sieben Tage im Krankenhaus, in denen er vollständig genas.

Cantharidin: Giftiges Heilmittel und gefährliches Aphrodisiakum

Etwas leichtsinnig ist auch der absichtliche Konsum von cantharidinhaltigen Präparaten: In der traditionellen chinesischen Medizin setzt man »Ban Mao« – getrocknete Ölkäfer – unter anderem gegen Tumoren und bei Hautleiden ein. Es wird zwar empfohlen, nur kleine Mengen zu sich zu nehmen. Doch dass es so einige Menschen mit der Dosis übertreiben, sieht man an der Zahl von Vergiftungen, die auf die Käferkur zurückgeführt werden konnten. Eine Übersichtsarbeit von 2018 fasst 91 Fälle zusammen, die zwischen 1996 und 2016 in China registriert wurden. Fast jeder fünfte ging für die Betroffenen tödlich aus.

Mancherorts werden zerstoßene Ölkäfer traditionell als vermeintlich luststeigerndes Mittel verwendet. Auch das führt, wie Sie sich sicher vorstellen können, mitunter zu mehr Frust als Lust. 1992 starb zum Beispiel ein Mann in Italien, nachdem er zu viel eines solchen »Aphrodisiakums« zu sich genommen hatte. Die Ärzte, die seinen Fall in der Fachliteratur beschrieben, schätzten die konsumierte Dosis reinen Cantharidins auf 26 bis 46 Milligramm. Ein 51-jähriger Portugiese hatte mehr Glück. Er schluckte ebenfalls zu viel Käfergift und entwickelte daraufhin die bereits bekannten Symptome. Er erholte sich jedoch von dem Abenteuer, das er sich sicherlich anders vorgestellt hatte.

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