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Warkus' Welt: Kann ein »Hundeleben« glücklich machen?

Diogenes von Sinope war der Sohn einer reichen Bankiersfamilie, doch er wählte ein Leben in Armut auf der Straße. Wie der Philosoph einst glaubte, dadurch sein Glück zu finden, erklärt unser Kolumnist.
Ein brauner Hund liegt entspannt auf einer Straße, während im Hintergrund ein gelbes Tuk-Tuk vorbeifährt. Der Hund hat die Zunge herausgestreckt und wirkt zufrieden. Die Szene spielt sich an einem sonnigen Tag ab, was durch den klaren Himmel und die helle Beleuchtung deutlich wird. Im Hintergrund sind weitere Fahrzeuge und verschwommene Details einer städtischen Umgebung zu erkennen.
Wer wie ein Hund lebt, der ist redensartlich gesprochen nicht unbedingt zu beneiden. Doch was, wenn ausgerechnet in dem, was viele Menschen als Elend bezeichnen würden, der Schlüssel zum Glück steckt?

»Du sollst auch nicht leben wie ein Hund« – diese Redewendung sage ich am ehesten scherzhaft zu den Katzen, wenn ich ihnen das zweite oder dritte Frühstück reiche. Gemeint ist damit eigentlich: Du sollst nicht im Elend leben, du sollst es dir gutgehen lassen.

Aber was, wenn das Beste, was ein Mensch mit seinem Leben anfangen könnte, tatsächlich wäre, wie ein Hund zu leben? Das zu behaupten, wäre schon ein bisschen zynisch. Und zwar im Wortsinne. Die Kyniker, von denen sich das Wort »zynisch« ableitet, waren eine philosophische Gruppierung im alten Griechenland ab dem Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. »Kyôn« heißt Hund; der Wortstamm steckt auch in »Kynologie«, der Wissenschaft, die sich mit dem Haushund beschäftigt.

Es ist zwar nicht ganz klar, ob die Kyniker ihren Namen wirklich von ihrem »Hundeleben« ableiteten, aber ihr berühmtester Vertreter, der legendäre Diogenes von Sinope (zirka 413–323 v. Chr.), machte daraus sein Markenzeichen. Er verfügte weder über eine Wohnung noch über nennenswerten Besitz, lebte auf der Straße und verstieß demonstrativ gegen alle gesellschaftlichen Normen. Zumindest zeitweise hauste er in einem Pithos, einem großen Vorratsgefäß aus Ton mit einem Fassungsvermögen von rund 1000 bis 1400 Litern; in der deutschen Überlieferung wird daraus oft eine »Tonne« oder ein »Fass«. Mit seiner Bettelei und der bewussten Ablehnung von Wohlstand und Anstand könnte man ihn vielleicht mit den Menschen vergleichen, die man heute mitunter abwertend als »Fußgängerzonenpunks« bezeichnet.

Diogenes war ursprünglich der gebildete Spross einer wohlhabenden Bankiersfamilie. Zu seinem Lebensstil kam er, nachdem er sich mit der Philosophie von Antisthenes beschäftigt hatte, dem ersten Kyniker, einem Schüler des Sokrates. Was bewog ihn zu einer derart drastischen Entscheidung?

Leben wie ein Tier

Die Kyniker waren zwar äußerst produktiv, doch es sind keine ihrer philosophischen Schriften überliefert. Ihre Lehre lässt sich also lediglich aus Legenden und Anekdoten rekonstruieren. Als relativ sicher gilt, dass ihre Philosophie in erster Linie eine Ethik war. Die theoretische Philosophie mit ihren Fragen danach, was warum existiert oder wie sich sichere Erkenntnis gewinnen lässt, spielte für sie keine große Rolle. Ihre Ethik wiederum lehrte, dass einzig Tugend zu Glück und Freiheit führe; und dabei galt ein möglichst »naturnahes« Leben als tugendhaft. Ordnung und Konventionen, Staat und Religion sollte man hingegen als weitgehend unnatürliches Menschenwerk hinter sich lassen. Der praktizierende Kyniker lebte deshalb im besten Sinne wie ein Tier: unbelastet durch Besitz und äußere Regeln, im Einklang mit den wenigen körperlichen und geistigen Bedürfnissen.

Das bedeutete allerdings nicht unbedingt Müßiggang. Die Kyniker waren bestrebt, ihre Tugendhaftigkeit nach innen durch Übungen (Askesis) zu festigen, was vor allem hieß, sich in Verzicht zu üben: Widrigkeiten zu ertragen und falsche Bedürfnisse abzulegen. Nach außen versuchten sie, ihre Lehre zu verbreiten, und kritisierten radikal Menschen und Institutionen, von denen willkürliche Regeln und Ansprüche ausgingen, die in ihren Augen unglücklich machten. Das beinhaltete mitunter auch, die Bürgerrechte abzulehnen, die menschengemachten Verfassungen, die Rechte, die Pflichten, die religiösen Kulte und Rituale, die Bündnisse und Kriege der Städte – was die Oberschicht der griechischen Stadtstaaten regelrecht schockierte. Diogenes soll sich selbst einen »Kosmopoliten« genannt haben, wörtlich einen Bürger des Kosmos. Das griechische Wort hat die Doppelbedeutung »Welt« und »natürliche Ordnung«.

Den größten historischen Einfluss hatten die anarchischen Kyniker sicherlich über die philosophische Schule der Stoa, die sie entscheidend mitprägten. Allerdings entwickelte der Stoizismus ein völlig anderes Verhältnis zu staatlichen Institutionen und Pflichten: Das Klischee des Stoikers ist das des tapferen, unbestechlichen und gerechten Staatsdieners, nicht das des Totalaussteigers. Beides liegt aber vielleicht näher beieinander, als man spontan meinen könnte. Die Geschichte kennt viele Figuren, die eher melancholisch und tief skeptisch über Staaten, Gesetze und die menschliche Gesellschaft dachten und dennoch viel für ihr Gemeinwesen leisteten.

Diogenes galt trotz oder gerade wegen seiner unkonventionellen Lebensweise als Lehrer und Autoritätsfigur. Um seinen Tod ranken sich widersprüchliche Anekdoten, die diesen wie in der antiken Tradition üblich als krönendes Fazit seiner intellektuellen Biografie aussehen lassen sollten: Unter anderem soll er gefordert haben, sein Leichnam möge nicht bestattet, sondern einfach achtlos weggeworfen werden. Das lässt vermuten, dass Diogenes sein ganzes langes Leben über an seiner Lehre äußerster Bedürfnislosigkeit und Naturnähe festhielt. Man darf ihn sich vermutlich tatsächlich als einen glücklichen Menschen vorstellen.

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