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Springers Einwürfe: Großmut aus Egoismus

Die Menschheit hat im Rekordtempo Impfstoffe gegen die Corona-Pandemie hergestellt. Jetzt gilt es, die Vakzine richtig zu verteilen.
Eine Frau sitzt in der Anmeldung einer Impfkabine im Impfzentrum in Essen.

Das Kunststück, in unglaublich kurzer Zeit ein ganzes Arsenal an Impfstoffen gegen die Krankheit Covid-19 zu entwickeln, zu testen und millionenfach zu produzieren, macht dem aktuellen Niveau biologischer Wissenschaft und medizinischer Technik höchste Ehre. So pathetisch es sich anhören mag: Einer intelligenten Spezies anzugehören, die es versteht, auf eine lebensbedrohliche Attacke derart schlagfertig zu reagieren, erfüllt mich mit Stolz.

In das Behagen mischen sich freilich, je länger der Kampf gegen die Pandemie andauert, immer öfter Gefühle wie Sorge, Ungeduld, ja Scham. In Staaten wie den USA und Brasilien, welche die Seuche allzu lange auf die leichte Schulter nahmen, haben die Todeszahlen die Halbmillionengrenze überschritten. Der indische Subkontinent erlitt einen schweren Rückfall, auf den hin sich nun die ganze Welt um eine neue Virusmutante sorgt. In Afrika erlaubt die Datenlage kaum verlässliche Schätzungen, aber von einer effektiven Strategie gegen Covid-19 ist man dort jedenfalls weit entfernt.

Die globale Statistik bietet ein hässliches Bild extremer Unterschiede. Die weltweite Durchschnittsquote von etwas mehr als 30 verabreichten Impfdosen pro 100 Menschen mutet zwar ansehnlich an, sie nivelliert aber monströse Ungleichheit. Mehr als drei Viertel der verabreichten Dosen entfielen auf nur zehn reiche Nationen, die zusammen für 60 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung aufkommen. 130 arme Länder mit 2,5 Milliarden Einwohnern bekamen gar nichts. In den wohlhabendsten Staaten leben nur 16 Prozent der Erdbevölkerung, doch sie kauften mehr als die Hälfte aller Ampullen.

Kein Platz für Egoismus

Das ist nicht nur unfair, sondern einfach dumm, argumentiert sinngemäß der Gesundheitsforscher Gavin Yamey von der Duke University in Durham (US-Bundesstaat North Carolina). Eine Pandemie lässt sich mit nationalen Egoismen nicht niederkämpfen. Wenn sie anderswo weiter grassieren darf, entstehen dort Virusmutanten, die den bereits sanierten Regionen erneut gefährlich werden. So kann die Pandemie noch jahrelang wüten. Dabei erleidet eine derart infizierte Weltwirtschaft Schäden in Billionenhöhe infolge wegfallender Nachfrage und kollabierender Lieferketten.

Yamey hat 2020 an einer spieltheoretischen Studie mitgewirkt, die untersuchen sollte, wie sich knappe Impfstoffe gerechter verteilen lassen. Auf den ersten Blick handelt es sich um ein reines Nullsummenspiel: Was ich hergebe, fehlt mir; also bleibe ich Egoist. Das ändert sich erst, wenn ein Hersteller Produktionslizenzen für ärmere Länder vergibt. Beispielsweise stellt das Serum Institute of India bereits den britischen AstraZeneca-Impfstoff her, und brasilianische Firmen erzeugen Vakzine nach chinesischem Rezept. In die gleiche Richtung weist auch die – zunächst folgenlose und nicht überall goutierte – Ankündigung von US-Präsident Biden, den einschlägigen Patentschutz zu Gunsten wirtschaftlich schwacher Staaten zu lockern. So etwas müsste allerdings, um zu wirken, mit Kapitalspritzen für den Bau örtlicher Pharmafabriken einhergehen.

Einen wichtigen Faktor, der Hoffnung auf bessere Verteilung weckt, nennt Yamey gar nicht: die so genannte Impfdiplomatie. Der Westen kann wohl nicht lange tatenlos zusehen, wie China – das unterdessen Tag für Tag 20 Millionen seiner Bürger zu impfen vermag – den Schwellen- und Entwicklungsländern in großem Stil seine Vakzine andient. Hier zeichnet sich ein politischer Wettstreit ab, der ausnahmsweise wirklich allen zum Vorteil gereichen kann.

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