Hambacher Forst: Die Energiewende - chaotischer als der Brexit
3500 Polizisten gegen 150 Aktivisten, die sich in Baumhäusern und Erdlöchern verschanzt haben, öffentliche Proteste und politische Zänkereien, der Einsatz von Schlagstöcken und Tränengas – so stellt sich seit einigen Tagen die Situation im Hambacher Forst dar. Der Wald, der auf diesem Standort seit der Eiszeit wächst – aber schon lange kein Urwald mehr ist –, soll dem Braunkohletagebau Hambach weichen. Die Bäume fallen bald, um ausgerechnet einen Energieträger abbauen zu können, der als besonders schmutzig gilt. Von allen fossilen Brennstoffen setzt die Braunkohle beim Verbrennen mit am meisten Kohlendioxid frei, was den Treibhauseffekt verstärkt und Deutschlands Klimabilanz verschlechtert.
Der Protest der Zivilgesellschaft ist also durchaus berechtigt – wobei gewalttätige Exzesse nicht zu entschuldigen sind. Bei den Demonstrationen ganz vorne mit dabei sind mittlerweile führende Vertreter der Grünen, deren nordrhein-westfälische Vertreter sogar ihren kleinen Parteitag Anfang Oktober dort abhalten wollen. Dabei haben ausgerechnet sie noch 2016 in einer »Leitentscheidung zum rheinischen Revier« den Rodungen zugestimmt – aber damals waren sie eben noch in rot-grüner Regierungsverantwortung und nicht in der Opposition wie heute.
Das Windrad darf, der Bagger nicht
Und während im Hambacher Forst erst noch die Vorbereitungen für die Abholzung getroffen werden müssen, fallen im Aachener Münsterwald bereits ganz konkret Bäume – hier allerdings für Windkraftanlagen und nicht für einen großen Konzern, sondern für die Aachener Stadtwerke. »Fußballfeldgroße« Schneisen wurden schon in den Wald geschlagen, schreibt »WDR.de«. Es ist eines von knapp 160 Projekten in nordrhein-westfälischen Wäldern, die bereits laufen, gebaut werden oder wenigstens geplant sind und von der vorherigen rot-grünen Regierung politisch gefördert wurden. Für die »saubere« Energie spielt es also keine Rolle, wenn Naturflächen zu Industrieparks umgewandelt und bedrohte Arten wie Schwarzstorch oder Roter Milan gefährdet werden. Man darf dies durchaus Doppelmoral nennen.
Denn bei den neuen Vorrangflächen für Windkraft handelt es sich deutschlandweit mitnichten nur um ökologisch eher wertlose Fichtenforste, sondern nicht selten auch um artenreiche, teils sehr alte Laubmischwälder, die für den Naturschutz große Bedeutung haben. Das gilt zum Beispiel für Hessen, wo – unter schwarz-grüner Ägide – der Reinhardswald für die Windkraft erschlossen wird.
Und im Weserbergland standen sogar Bürgerinitiativen und Naturschützer vom NABU einem Tochterunternehmen von »Greenpeace« gegenüber, das in der Nähe eines Seeadlernistplatzes Windräder errichten wollte. Wegen der massiven Proteste und der schlechten Presse bekam »Greenpeace energy« kalte Füße und zog sich aus dem Projekt zurück. Doch wurde es nicht aufgegeben, sondern schlicht an einen anderen Investor weitergereicht. Viele Ökologen sind sich mittlerweile einig, dass die Windenergienutzung im Wald vielerorts kontraproduktiv ist und die Energiewende in ein schlechtes Licht rückt.
Kein Plan für den Ausstieg
Hambacher Forst und Aachener Münsterwald haben daher mehr gemeinsam als umgesägte Bäume: Sie stehen symbolisch für eine chaotische und wenig durchdachte Energiewende, in der die Politik zu wenig erklärt und zu widersprüchlich handelt. Nach dem – in den Augen nicht weniger Energieexperten überstürzten – Ausstieg aus der Kernenergie angesichts des Reaktorunglücks von Fukushima war eigentlich klar, dass Deutschland nicht gleichzeitig aus der Kohleverstromung aussteigen kann. Ihr Anteil beträgt daher immer noch mehr als ein Drittel am gesamten Versorgungsmix. Das ist zwar deutlich weniger als 1990, als noch mehr als die Hälfte des Stroms aus Braun- und Steinkohle gewonnen wurde. Doch gleichzeitig bedeutet dies, dass die Kohlendioxidemissionen der Bundesrepublik langsamer sinken als geplant und gewünscht.
Ein Teil des Rückgangs bei der Kohle wurde durch starke Zuwächse bei Windkraft und Biomasse kompensiert – mit den erwähnten negativen Folgen für die Natur. Um überhaupt neue Flächen für Windräder gewinnen zu können, mussten die Wälder für diese Nutzung geöffnet werden. Die Förderung der Bioenergie sorgte regional für eine »Vermaisung« der Landwirtschaft, worunter die Artenvielfalt des ländlichen Raums gelitten hat.
Kaum ein verantwortlicher Politiker – gleich welcher Partei – hat zuvor über diese Folgen der Energiewende nachgedacht. Ebenso wenig hat man die Bevölkerung ausreichend aufgeklärt, was mit der Energiewende auf sie zukommt und warum. Momentan existiert weder ein geordneter Zeitplan noch ein rundes Konzept, wo man welche Art der Energieerzeugung in Deutschland schwerpunktmäßig fördern möchte – etwa Windkraft an den Küsten, Solarenergie weiter im Süden – und wo man es besser lässt, wie man den Strom stabil verteilt und wie man ihn zwischenspeichern könnte, wenn beispielsweise Windräder über den Bedarf hinaus Strom erzeugen.
Es herrscht nicht einmal Einigkeit darüber, bis wann man endlich aus der Kohleverstromung aussteigen möchte – was angesichts des Klimawandels besser früher als später passieren muss – oder welche Flächen für alternative Energieformen absolut tabu sein sollten. All das hinterlässt verunsicherte Menschen, die auf diesem Gebiet der Politik ebenfalls immer weniger vertrauen. Die Energiewende muss also endlich wieder Chefsache werden – und die Doppelmoral beendet werden, wann Abholzungen für Energie gut und wann sie schlecht sind.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels wurde auf ein Zitat der grünen Landtagsabgeordneten Wibke Brems aus Nordrhein-Westfalen gegenüber dem »WDR« verwiesen, das so nicht gefallen sein soll. Diese Passage wurde daher gelöscht.
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