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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte von waghalsigen Menschen, die durch die Luft fuhren

Für eine Reise von A nach B sind Ballons kaum geeignet. Doch ihr Showpotenzial ist gewaltig. Unsere Geschichtskolumnisten Hemmer und Meßner erzählen von ersten Stars am Himmel.
Erster bemannter Aufstieg mit einem Gasballon am 1. Dezember 1783

Es muss recht unangenehm gewesen sein, als das erste Luftfahrzeug der Welt sich nach oben in Bewegung setzte. Denn der Start in ein neues Zeitalter wurde begleitet von jeder Menge Ruß und Rauch. Die Gebrüder Montgolfier, Étienne Jacques und Joseph, konstruierten einen Heißluftballon, der sich ab 1783 in die Luft erhob. Und weil sie davon ausgingen, dass ein Stoff namens Phlogiston den Ballon nach oben treibt, setzten sie auf Brennmaterial, das besonders stark qualmte, wie zum Beispiel Heu.

Die Phlogiston-Theorie geht zurück auf den Medizinprofessor Georg Ernst Stahl, der Ende des 17. Jahrhunderts postulierte, dass alle brennbaren Stoffe Phlogiston enthalten und diesen Stoff bei der Verbrennung abgeben. Sichtbares Zeichen davon waren Rauch und Qualm. Isoliert werden konnte der Stoff aber nicht. Kein Wunder, wie wir heute wissen. Er existiert schlicht nicht. Bei der Verbrennung wird der Luft nicht Phlogiston hinzugefügt, sondern Sauerstoff entzogen. Eine Erkenntnis, die sich durch Antoine Laurent de Lavoisier Ende des 18. Jahrhunderts durchsetzte und die chemische Revolution einläutete.

Fast gleichzeitig mit der Entwicklung des Heißluftballons stellte ein Physiker eine andere Art von Ballon vor, bei dem das Problem mit dem Rauch besser gelöst wurde. Es war Jacques Charles, der Erfinder des Gasballons, der seinen Ballon mit Wasserstoff füllte und 1783, kurz nach den Brüdern Montgolfier, zur ersten Alleinfahrt eines Menschen durch die Luft aufbrach. Der Erste, der das Showpotenzial der neuen Fluggeräte voll auslotete, war der Franzose Jean-Pierre Blanchard, der mit seinen spektakulären Aufstiegen ganz Europa begeisterte und regelrechte Massenveranstaltungen mit 100 000 Zuschauerinnen und Zuschauern abhielt.

Ein steuerbarer Ballon mit tödlichem Ende

Von Beginn an setzte sich der Sprachgebrauch durch, dass ein Ballon »fährt« und nicht »fliegt«. Die Vorstellung dahinter war, wie sie die Brüder Montgolfier vertraten, dass der Ballon analog zu einem Schiff auf dem Luftmeer fährt. Ballons zählen zur Kategorie der »Leichter-als-Luft-Fahrzeuge«. Dazu gehören alle Fahrzeuge, die den statischen Auftrieb nutzen und letztlich durch die Luft schweben. Die »Schwerer-als-Luft-Fahrzeuge« fliegen hingegen, weil bei ihnen die Luftströmung für einen dynamischen Auftrieb sorgt.

Abflug in die Katastrophe | Der schwedische Ingenieur und Polarforscher Salomon Andrée mit seinen Begleitern beim Ballonstart am 11. Juli 1897. Er wagte als Erster den Versuch, mit einem Ballon den Nordpol zu erreichen. 1930 wurden die Überreste der gescheiterten Expedition gefunden, darunter Tagebücher und Fotografien.

Lenkbar sind die Ballons allerdings nicht, vielmehr werden sie vom Wind getrieben. Das macht ihren Einsatz für viele Zwecke recht unpraktisch, etwa für das Reisen. Ungefähr 100 Jahre nach Erfindung des Wasserstoffballons machte der Schwede Salomon Andrée von sich reden, als er behauptete, den ersten steuerbaren Ballon entwickelt zu haben. Er befestigte nämlich lange Schleppseile aus Hanf am Ballon, die am Boden schleifen sollten und das Luftfahrzeug damit abbremsten. Mit einem Segel glaubte er die Richtung des Ballons bestimmen zu können.

Mit dem Wasserstoffballon Örnen machte er sich 1897 gemeinsam mit Knut Frænkel und Nils Strindberg auf, um über den Nordpol zu fliegen. Das Vorhaben ging aber gründlich schief. Bereits kurz nach dem Start mussten sie die Schleppseile abwerfen und nach 65 Stunden, weit vor ihrem Ziel, landen. Nach drei Monaten auf dem Packeis starben die Polarreisenden schließlich auf der Insel Kvitøya.

Käthe Paulus, die erste professionelle Luftschifferin Deutschlands

Das Ballonfahren war inzwischen so populär, dass von einer regelrechten »Balloonomania« die Rede war und erste Pioniere und Pionierinnen durch Schauflüge und Akrobatikeinlagen in der Luft ihren Lebensunterhalt mit dem Ballonfahren verdienten – wie Käthe Paulus. Sie war die erste professionelle Luftschifferin in Deutschland. Ein Teil der Show, die sie mit ihrem Mann Hermann Lattemann aufführte, bestand darin, aus dem Ballon in die Tiefe zu springen. Dazu arbeiteten die beiden an der Entwicklung von Fallschirmen.

Fallschirmsprungpionierin Käthe Paulus | Die erste »professionelle Luftschifferin Deutschlands« beeindruckte ihr Publikum durch waghalsige Stunts.

1894 endete eine Vorführung für Lattemann tödlich. Während Käthe Paulus gerade mit einem Fallschirm aus dem Ballon sprang, sollte anschließend, als Höhepunkt der Show, der ganze Ballon zu einem Fallschirm werden. Doch der faltete sich nicht wie geplant zusammen, und so stürzte Lattemann mit dem Ballon ab und kam dabei ums Leben.

Miss Polly und die Erfindung des Paketfallschirms

Die gelernte Näherin Käthe Paulus tüftelte, ausgelöst durch den Tod ihres Mannes, weiter an Fallschirmen und erfand den noch heute gebräuchlichen Paketfallschirm. Dieser war wesentlich sicherer als die früher üblichen Wickelfallschirme, bei denen sich leicht die Leinen verheddern konnten. Paulus unternahm unter dem Künstlernamen Miss Polly europaweite Tourneen und sprang in so ziemlich allen europäischen Großstädten aus dem Ballon. Ihr Markenzeichen: eine Pumphose mit Matrosenbluse und Matrosenmütze.

Das spektakulärste Kunststück in ihrem Repertoire war der Doppelabsturz, bei dem sie aus dem Ballon sprang, woraufhin sie ein erster Fallschirm auffing. Zur Überraschung – oder auch zum Entsetzen – des Publikums löste sie sich vom Fallschirm und fiel wieder in die Tiefe, bis ein zweiter Schirm aufging und sie abbremste.

Käthe Paulus blieb überzeugt vom praktischen Nutzen der Ballonfahrt und stellte ab 1916 im Auftrag des preußischen Kriegsministeriums für die Luftschiffertruppe Paketfallschirme und die dazugehörigen Hüllen her. Doch die »Balloonomania« endete spätestens mit dem Ersten Weltkrieg, als das motorisierte Fliegen immer mehr zunahm.

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