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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte einer selten steilen Piratenkarriere

Das Leben von Roger de Flor könnte einem Abenteuerroman entstammen, finden unsere Kolumnisten: Aus dem mittellosen Achtjährigen wurde erst ein Templer, dann ein Pirat und womöglich fast ein Kaiser.
Eine historische Szene zeigt eine Gruppe von Menschen in prächtigen Gewändern vor einem imposanten Gebäude. Im Zentrum sitzt eine Person auf einem reich verzierten Thron, umgeben von Beratern und Wachen. Links reitet eine Figur auf einem geschmückten Pferd, während andere Personen zu Fuß gehen. Die Architektur im Hintergrund erinnert an byzantinische Bauwerke. Die Szene vermittelt einen Eindruck von Macht und Zeremonie.
Das 1888 entstandene Gemälde von Jose Moreno Carbonero zeigt das Aufeinandertreffen von Roger de Flor und dem byzantinischen Kaiser.
Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« in ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Ende Mai 1291 schwanden alle Aussichten, Akkon noch zu halten. Die Hafenstadt an der Mittelmeerküste – die letzte Bastion der Kreuzfahrer im Heiligen Land – hatte der Belagerung der Mamluken nichts mehr entgegenzusetzen, es blieb nur noch die Flucht. Zahlreiche Schiffe standen bereit für die Fliehenden. Eines davon: die »Falcò« mit ihrem Kommandanten Roger de Flor.

Der fuhr schon, seitdem er acht Jahre alt war, mit den Tempelrittern zur See. An Bord ihrer Schiffe war er erwachsen geworden, mit 20 Jahren war er in den Templer-Orden eingetreten. Jetzt segelte er seine Fracht der Fliehenden sicher und wohlbehalten nach Montpellier. Dort allerdings sollte seine Ordenskarriere ein jähes Ende finden.

Der Krieg war von Anfang an Rogers Begleiter gewesen. Um das Jahr 1266 war er in der süditalienischen Hafenstadt Brindisi geboren worden – mitten hinein in eine Welt, in der sich die Anhänger der deutschen Staufer und der Papst in Rom eine blutige Auseinandersetzung lieferten. Sein Vater, Richard von Blum, war einst Falkner des Stauferkaisers Friedrich II. gewesen, nun stritt er in der Partei des verstorbenen Kaisers für den Machterhalt der Staufer in Süditalien – ein Kampf, der endgültig verloren ging, als der kleine Roger, der damals noch Rüdiger oder Rutger hieß, gerade zwei Jahre alt war. Nach dem Tod des Vaters in der Entscheidungsschlacht von Tagliacozzo landete der Knabe bei den Tempelrittern, die von Brindisi aus per Schiff die Kreuzfahrer und Christen im Königreich Jerusalem versorgten.

An Bord ihrer Schiffe machte der junge Mann Karriere, inzwischen unter seinem romanisierten Namen Roger de Flor. Nach jener Flucht aus Akkon endete allerdings sein Aufstieg. Kaum im Zielhafen angekommen, wurde sein Schiff durchforstet. Der Vorwurf: Roger habe sich bei seinen Passagieren persönlich bereichert. Um einer möglichen Kerkerhaft zu entgehen, floh der Mittzwanziger nach Genua und schickte sich an, von dort aus erneut in See zu stechen – diesmal als Pirat.

Plündern im Auftrag und auf eigene Rechnung

Bereits während seiner Zeit bei den Templern hatte Roger beobachten können, wie sich um das Erbe der Staufer in Sizilien ein neuerlicher Machtkampf entspann. Karl II. von Anjou schien darin die Oberhand zu behalten, doch er überreizte seine Karten: Als er auch noch das Byzantinische Reich angriff, verbündete sich dessen Herrscher mit Karls mächtigstem Feind, Peter III. von Aragón. Die Aragoneser jagten Karl den sizilianischen Thron ab und suchten nach Gelegenheiten, den vormals mächtigsten Herrscher des Mittelmeerraums weiter einzudämmen.

Eine dieser Gelegenheiten besegelte in Gestalt Roger de Flors seit nunmehr acht Jahren unter eigener Flagge das Mittelmeer. Peters Sohn Friedrich III. von Aragón-Barcelona engagierte den Freibeuter um das Jahr 1300 und ließ ihn Küsten im Einflussbereich der Anjous plündern. Was dieser, wie der Historiker Christian Vogel in seinem Buch »Roger de Flor – Lebensgeschichte eines Templerpiraten« schreibt, wohl durchaus erfolgreich tat: Roger verbreitete Angst und Schrecken.

Bis Ende August 1302. Da schlossen das Haus Anjou und das Haus Aragón-Barcelona einen Friedensvertrag. Friedrich III. hatte nun keine Verwendung mehr für Roger de Flor und auch nicht für mehrere Tausend katalanische Söldner, die bislang seine Herrschaft gestützt hatten. Diese sammelte Roger jetzt zusammen und begründete ein eigenes Söldnerheer, das unter dem Namen »Katalanische Kompanie« oder »Große Kompanie« in die Geschichte eingehen sollte.

Anführer einer brisanten Truppe

Söldnerheere waren nicht nur teuer, sondern auch gefürchtet, denn sie waren bekannt dafür, ein gefährliches Eigenleben zu entwickeln. Dem byzantinischen Kaiser Andronikos II. kam Rogers Schar dennoch gelegen, da er sich von zwei Seiten konfrontiert sah: von Herrschern wie Karl II. von Anjou im Westen und den türkischen Armeen im Osten, die bereits Kleinasien unter ihrer Kontrolle hatten. Roger de Flor wusste Andronikos' Misere zu nutzen. Als Gegenleistung für seine Dienste wurde aus dem Ex-Templer ein »Megas Doux«, ein oberster Heerführer – und Ehemann einer byzantinischen Prinzessin. Roger de Flor gehörte nun der kaiserlichen Familie an.

Ab wann Andronikos seinen Pakt mit Roger bereute, ist nicht bekannt. Anfangs eilte sein neuer Alliierter in Kleinasien von Sieg zu Sieg. Dank der Katalanischen Kompanie erhielt Byzanz bedeutende Städte wie Philadelphia zurück. Doch die Katalanische Kolonie hielt sich auch bei Verbündeten schadlos. Als sie das befreundete Magnesia belagerte, weil sich die Einwohner gegen Plünderungen gewehrt hatten, beorderte der Kaiser den Söldnerführer nach Konstantinopel zurück. Dort startete Roger neue Verhandlungen. Der Kaiser versuchte, ihn von der Gehaltsliste zu streichen, und lockte ihn stattdessen mit dem Versprechen, Roger im Erfolgsfall zum Großfürsten von Kleinasien zu machen.

Griff über den Bosporus

Mit seiner Kompanie im Rücken hatte Roger eine unbehagliche Machtfülle angehäuft. Wenn es ihm gelänge, eine Basis in Kleinasien zu etablieren, wäre gar Konstantinopel womöglich in greifbarer Nähe. Was hätte die Stadt – längst nicht mehr die glanzvolle Metropole von einst – einem Angriff der Söldner entgegenzusetzen gehabt? Wohl nicht viel. War das sein Plan?

Man wird es nicht mehr erfahren: Am 30. April 1305 verließ Roger ein Bankett bei Mitkaiser Michael IX. in Adrianopolis, als Attentäter ihn und seine Gefährten abpassten. Es gelang ihm noch die Flucht in das Gemach der Kaiserin. Dort jedoch wurde er gefangen und schließlich getötet. Roger, so scheint es, hatte sich zu viele Feinde gemacht, sicher auch in den allerobersten Rängen des byzantinischen Herrscherhauses.

Dieser Mord beendete zwar das abenteuerliche Leben des Tempelritters, Piraten und Söldnerführers, aber die Katalanische Kompanie löste sich deshalb noch lange nicht auf. Die Kämpfer durchzogen zunächst plündernd das Byzantinische Reich, bis sie 1310 von Walter V. von Brienne engagiert wurden. Der Herzog von Athen setzte die Kompanie gegen die umliegenden Fürsten in Thessalien ein. Auch er bezahlte die Dienste der Söldner mit seiner Herrschaft: Als er die Soldzahlungen einstellte, wendeten sie sich gegen ihn und eroberten das Herzogtum. Es dauerte bis 1388, ehe die katalanische Dominanz in Griechenland endete und das Kapitel »Roger de Flor« endgültig geschlossen wurde.

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  • Quellen
Vogel, C., Roger de Flor – Lebensgeschichte eines Templerpiraten, 2012

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