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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte der allerersten Münzen

In Lydien entstand die Weltformel des Tauschens – als die dortigen Könige vor gut 2600 Jahren Münzen einführten. Den Geldwert gewährleistete: ihr gutes Wort, erzählen unsere Kolumnisten.
Eine Hand hält eine kleine Münze aus Elektron zwischen Daumen und Zeigefinger. Die Münze zeigt ein geprägtes Design mit einem Löwenkopf als Motiv und Schriftzeichen. Der Hintergrund ist unscharf und in rötlichen Tönen gehalten.
Eine Münze aus Elektron mit dem Symbol der Lyderkönige: dem Löwenkopf. Dieses Stück haben Behörden in der Türkei im Jahr 2020 von Schmugglern beschlagnahmt.
Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« in ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Im Westen Anatoliens lag das antike Königreich Lydien. Im Flusstal des Hermos, zwischen der Ägäisküste und den Gebirgen im Hinterland, thronte seine Hauptstadt: Sardes. Die Metropole wachte über die sich hier kreuzenden Handelswege, während ein Nebenfluss des Hermos, der Paktolos, aus den Bergen natürliches Elektron herbeitrug, eine Gold-Silber-Legierung, die sich aus dem Sand waschen ließ.

Die Geschichte spülte hier auch Mythen ans Ufer, zum Beispiel die Legende von König Midas, der im Paktolos sein verwunschenes Goldhändchen reingewaschen haben soll. Diese Sage verklausulierte allerdings einen nüchternen Befund: Edelmetall war vorhanden in Sardes, und zwar reichlich.

Alyattes, seit 635 v. Chr. König von Lydien und kein Mythos, führte das Reich in eine neue Phase der Ausdehnung und Blüte. Sein Name bedeutete der Löwenhafte, doch die Wirtschaftslage seines Landes war weniger der Brüller. Sie krankte an einem alten Problem: In Lydien zirkulierte Edelmetall als Zahlungsmittel, das aber bei jeder Transaktion gewogen und auf Reinheit geprüft werden musste. Wiegen kostete Zeit und das Misstrauen in die Waagenkünste des anderen auch. Ein Machtzentrum wie Sardes wollte diesen Verschleiß nicht länger beklagen, sondern in ein Mittel zur politischen Ordnung verwandeln.

Es war einmal vor der Münze

Die Idee vom Geld ist älter als jede Prägung. Im Vorderen Orient rechneten Händler in Schekel, in Ägypten in Deben; Barren, Ringe oder Draht wurden nach Gewicht ausgegeben. Gleichzeitig existierten andere Maße, die bestimmten Werten entsprachen, ohne dass sie einen praktischen Zweck erfüllen mussten. In der homerischen Welt waren es Rinder oder Kultgeräte wie Kessel, Spieße oder Dreifüße, die nicht als Zahlungsmittel, sondern als wertige Gaben die Besitzer wechselten. Auch Sicheln und Messer zirkulierten, zunehmend stumpf, weil der Nutzen nebensächlich geworden war. Es ging aber nicht um Zweckmäßigkeit, sondern um die gegenseitige Anerkennung eines bestimmten Werts.

Moderne Erklärungen unterliegen deshalb oft dem Trugschluss, das Münzgeld sei erfunden worden, um den Handel nah und fern zu erleichtern. Mit Geld konnten Schmied, Töpfer und Bauer ihre Waren verkaufen, ohne ihre Erzeugnisse direkt tauschen zu müssen. Denn was war, wenn der andere gerade kein Rasiermesser oder eine Schüssel brauchte? Auch der Fernhandel sei einfacher geworden mit Geld. Doch die Funktion, die Münzen später perfekt erfüllten, muss nicht von Anfang an beabsichtigt gewesen sein. Und Geld sollte zunächst sehr wahrscheinlich einen anderen Zweck erfüllen. Es entstand nicht, weil man es für den Handel brauchte, sondern weil Anerkennung messbar werden sollte.

Im späten 7. Jahrhundert v. Chr., vermutlich zur Zeit von Alyattes, tauchten im lydischen Raum kleine Objekte aus Elektron auf, die mehr waren als nur Metallklümpchen. So fanden sich unter dem Artemis-Tempel von Ephesos (die Stadt lag ungefähr 100 Kilometer südwestlich von Sardes) solche Stücke, die auf der einen Seite einen quadratischen Abdruck zeigen und auf der anderen Rillen oder Bilder, etwa einen Löwenkopf. Das Entscheidende, was diese Objekte zu Münzen machte, waren drei Aspekte: ein festgelegtes Gewicht, eine einheitliche Form aus Metall und ein Zeichen, das den Münzstandard und seine Herkunft aus vertrauenswürdiger Quelle gewährleisteten. Der Löwe war zum Garantiezeichen geworden.

Die Lyderkönige schraubten am Metallwert

Elektron kam zwar natürlich vor, doch das Verhältnis von Gold und Silber im Metall schwankte. Genau hier setzte die Politik an. Wer prägte, definierte auch den nominellen Wert. Mit seinem Zeichen, ähnlich einem Siegel, garantierte der Lyderkönig, dass alle Münzen den gleichen Wert besaßen – selbst wenn der tatsächliche Metallwert schwankte. Seine Autorität war Garantie genug, wie der Numismatiker John Kroll von der University of Texas at Austin in dem Buch »The Lydians and their World« erklärt.

Kroiseios | König Krösus ließ Gold- und Silbermünzen prägen. Diese Goldmünze des Herrschers aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. zeigt einen Löwen (links), der mit seiner Pfote einen Stier (rechts) angreift. Zu sehen sind nur die Köpfe der Tiere.

Das senkte auch die Kosten für die Prüfung des Metalls, zudem schöpfte der Herrscher die sogenannte Seigniorage ab. Das ist der Gewinn, der sich durch die Ausgabe von Geld ergibt, wenn die Herstellungskosten der Münzen geringer ausfallen als ihr Nennwert.

Diesen Weg schlugen die lydischen Könige bald schon gezielter ein. Sie ließen in Sardes die Edelmetallanteile in den Münzen künstlich verändern. Das natürliche Elektron hatte eigentlich einen ungefähren Goldanteil von 70 Prozent. Spezialisten trennten die Metalle und mischten sie nach einem festen Verhältnis neu zusammen: etwa 54 Prozent Gold zu 44 Prozent Silber. Die königlichen Münzen waren somit »massiv überbewertet«, schreibt Kroll. Die Könige hatten für ihre Prägungen also absichtlich den Nennwert über den Metallwert gestellt. Das war kein Taschenspielertrick, sondern der Eintritt der Obrigkeit in den Zahlungsverkehr.

Warum kam die Münze ausgerechnet im 7. Jahrhundert auf?

Schon vor der Münze hatte der Fernhandel gut funktioniert, die lokalen Märkte liefen ebenso reibungslos. Die Münzen sollten folglich weniger eine Not der Händler lindern, sondern eher den Herrschern eine Chance bieten. Kleine Marktakteure besaßen nämlich weder die Autorität noch die Infrastruktur, um die Legierung, das Gewicht und ein Münzbild zu standardisieren, wie der Historiker David Schnaps in seinem Buch »The Invention of Coinage« schreibt. Könige und Städte hingegen konnten Gebühren, Abgaben und Sold in definierten Einheiten einfordern beziehungsweise ausgeben. Die Stücke aus Elektron dürften sich anfangs daher nicht so sehr für den Kauf von Brot und Oliven geeignet haben als vielmehr für fiskalische und größere kommerzielle Zahlungen. So oder so: Mit ihnen war aus dem Zeitfresser, Metall abzuwiegen, ein kurzer Blick auf einen Stempel geworden.

Unter Krösus (um 590–541 v. Chr.), dem letzten lydischen König, erhielt die Innovation eine neue Prägung. Statt Elektron kursierten jetzt reine Gold- und Silbermünzen. Die goldenen hießen Kroiseioi. Die Trennung der Metalle hatte einen Effekt: Sie senkte die Unsicherheit über den tatsächlichen Wert der Münzen. Mit ihnen ließ sich auch leichter über Grenzen hinweg Handel führen. Dass Krösus sprichwörtlich reich wurde, lag wohl an diesem Effizienzsprung.

Märkte und Arbeitswelt veränderten sich

Städte in Kleinasien (Anatolien) wie Milet und Ephesos prägten bald eigene Stücke, die teils auf denselben Gewichtsstandards beruhten. In der Nordägäis, in Thrakien und Makedonien, kamen ebenfalls Münzserien in Umlauf. In Athen wurde die Eule auf den Tetradrachmen zur Ikone einer Geldwirtschaft, die dem Stadtstaat Steuern, Sold und Seeherrschaft einbrachten. In China und Indien entstanden beinahe zeitgleich Münztraditionen nach einem eigenen System, unabhängig vom Mittelmeer, doch mit dem gleichen Ziel: einen Wert in kleine, standardisierte, verbürgte Einheiten zu fassen.

Mit der Münzprägung änderte sich nicht der Ursprung des Handels, aber sein Ablauf. Preise ließen sich nun klar benennen, besser vergleichen und niederschreiben. Die Agora in griechischen Städten, die früher eigentlich ein Ort der Debatte war, wurde immer mehr zum Marktplatz. Auch die Arbeitswelt veränderte sich: Die Lohnarbeiter des antiken Griechenlands, die »misthotoi«, erhielten festgelegte Löhne. Somit ließen sich auch Großprojekte leichter koordinieren. Und wer kein Land besaß, konnte Waren kaufen oder verkaufen und mit etwas Geschick sozial aufsteigen. Der Reichtum war nun nicht mehr nur erblich bedingt, sondern stärker mit Liquidität verbunden. Zugleich lösten sich damit alte Bindungen auf: Herrscher stützten sich weniger auf eine persönliche Gefolgschaft, sondern mehr auf ihre Einnahmeströme.

Nicht jeder fand das verlockend. In Sparta widersetzte man sich lange einer Silberwährung und hielt an einer Ökonomie fest, die auf sozialer Kontrolle beruhte. Den Lauf der Geschichte beeinflusste das aber kaum.

Sardes fiel, die Münze blieb

Um das Jahr 546 v. Chr. eroberte der Perserkönig Kyros II. die lydische Hauptstadt Sardes. Die Erzählungen über Krösus' Schicksal gehen auseinander; sie schwanken zwischen Scheiterhaufen, Begnadigung und spätem Ratgeberamt. Sicher ist: Lydien wurde zur persischen Satrapie (Verwaltungsgebiet), und das persische Herrschergeschlecht der Achämeniden übernahm das Werkzeug, das Lydien groß gemacht hatte. Sie prägten nun selbst Münzen. Die Kroiseioi blieben anfangs aber noch eine Weile im Umlauf, was dem einstigen König als Inbegriff des Reichtums wohl zu seinem Ruf verhalf.

Laut dem griechischen Philosophen und Gelehrten Aristoteles (384–322 v. Chr.) ist Geld nützlich und handlich. Das klingt plausibel, den eigentlichen Zweck trifft es damit aber nicht ganz. Funde wie Muscheln, stumpfe Messer, Kultgerät und Gewichtsbarren legen nämlich etwas anderes nahe: Es ging um Anerkennung – gewährleistet durch die Normierung eines Metallstücks und die Abbildung eines Zeichens. Lydien machte es vor: Ein königlicher Stempel ersetzte das Wiegen, ein standardisiertes Gewicht ersparte viele Worte. Und die Seigniorage half andere Projekte zu finanzieren, etwa für die Infrastruktur.

Der Fluss Paktolos hatte das Metall hervorgebracht, doch der eigentliche Reichtum entstand im Kopf: Es war die Einsicht, dass ein Bild, ein Gewicht und ein Versprechen genügten, um Vertrauen zu schaffen. Lydien hatte aus Flusssand eine Weltformel des Tauschens gemacht.

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  • Quellen

Head, B. V., The Coinage of Lydia and Persia, 1877

Kroll, J. H., The Coins of Sardes. In: Cahill, N. D. (Hg.), The Lydians and their World, 2010

Schaps, D. M., The Invention of Coinage and the Monetization of Ancient Greece, 2004

Von Kaenel, H.-M., Forschung Frankfurt 2, 2012

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