Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte der Geisterfotografie

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Es war ein unscheinbares Geräusch. Ein leises, regelmäßiges Klopfen, das aus den Wänden, Böden und Decken des Holzhauses der Familie Fox pochte. Was sich im Frühjahr 1848 in jenem Haus im Örtchen Hydesville, New York, ereignete, sollte die US-Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttern. Für das Klopfen hatten die jungen Fox-Schwestern Kate und Margaret nämlich eine bizarre Erklärung parat: Es seien Botschaften aus dem Jenseits. Ein Mordopfer, das als Geist im Zuhause der Fox spuke, teile sich mit Klopfgeräuschen mit. Rasch entwickelte sich das paranormale Phänomen zur öffentlichen Attraktion, die in Auftritten vor Hunderten zahlender Gäste im größten Theater der nahe gelegenen Stadt Rochester gipfelte. Die Fox-Schwestern wurden zu Symbolfiguren einer neuen Bewegung: des Spiritismus.
Die Menschen, geprägt durch ihre Zeit voller religiöser Umbrüche, waren extrem offen für die Vorstellung, die Toten könnten mit den Lebenden kommunizieren. Damals lösten sich religiöse Massenbewegungen wie das »Second Great Awakening« allmählich auf, der von den Milleriten für 1844 prophezeite Weltuntergang war ausgeblieben. Enttäuscht suchten viele nach Trost und Orientierung – insbesondere Frauen, denen die spiritistische Praxis neue öffentliche Räume eröffnete. Der Spiritismus verstand sich früh als Medium im doppelten Wortsinn: als neue Religion und als technisches System der Übermittlung. So galten die Fox-Schwestern vielen als die ersten »geistigen Telegrafen«. Ihre Klopfzeichen erschienen wie Signale – aus einer jenseitigen Welt. Moderne Kommunikationstechnologien wie der Morse-Telegraf wurden somit zur Metapher für den Spiritismus und verpassten ihm eine tiefere Bedeutung.
Doch wer glaubt, will irgendwann Beweise sehen. Der Wunsch nach sichtbarer Gewissheit kulminierte in einer öffentlichen Séance im Jahr 1857: organisiert vom Bostoner Arzt und Spiritist H.F. Gardner unter den Augen skeptischer Harvard-Professoren. Der Versuch scheiterte kläglich, der Abend endete in einer öffentlichen Blamage. Der Spiritismus geriet ins Wanken – bis 1861 der Amerikanische Bürgerkrieg ausbrach.
Die Geister, die William H. Mumler rief
Der blutige Konflikt machte den Tod allgegenwärtig und führte zu einer neuen Welle spiritistischer Praktiken. Man traf sich zu Séancen, berichtete über persönliche Visionen und las darüber in einschlägigen Fachzeitungen wie dem »Banner of Light«. Das Bedürfnis, die Verstorbenen zu kontaktieren, wuchs. In diese aufgeladene Atmosphäre trat ein Mann, der den Spiritismus visuell greifbar machen sollte: William H. Mumler.
Geboren 1832 in Boston, eigentlich ausgebildet als Graveur, geriet Mumler eher durch Zufall zur Fotografie. Genauer gesagt, durch die Bekanntschaft mit Hannah Green Stuart, einer Fotografin und selbst ernannten spirituellen Vermittlerin. In ihrem Studio entstand 1861 das erste Bild, das Mumlers Ruhm begründen sollte: ein Selbstporträt, auf dem auch eine schemenhafte weibliche Gestalt zu sehen war. Mumler hielt es für einen technischen Fehler, Stuart erkannte darin einen Geist. Die Aufnahme gelangte in spiritistische Zeitungen – angeblich ohne Mumlers Wissen und Zustimmung – und löste ein ungeahntes Echo aus.
Die Kamera, einst Symbol objektiver Wahrheit, wurde zum Medium des Zweifelhaften
Was als Kuriosität begann, entwickelte sich rasch zum Geschäftsmodell. Mumler eröffnete mit Hannah Green Stuart, die er mittlerweile geheiratet hatte, ein eigenes Studio. Natürlich verlangte er Geld für seine Dienste. Manchmal kostete ein einziges Geisterbild bis zu zehn Dollar, damals eine immense Summe. Mumler begründete den stolzen Preis damit, dass Geister Ansammlungen mieden und der hohe Preis die Massen fernhalten würde.
Die Kunden waren dennoch höchstzufrieden. Sie bestätigten, in den Bildern verstorbene Angehörige wiederzuerkennen. Spiritistische Zeitschriften druckten Mumlers Bilder ab, das American Museum, ein Kuriositätenkabinett im Besitz von P.T. Barnum (1810–1891), nahm sie in sein Repertoire auf. Die Fotografien wurden zu Devotionalien einer trauernden Gesellschaft – und zu Objekten öffentlicher Faszination.
Doch mit dem Ruhm kam die Skepsis. Erste technische Prüfungen blieben erfolglos. Der renommierte Fotograf James Wallace Black (1825–1896) – berühmt für sein Porträt des Abolitionisten John Brown – konnte keine Tricks nachweisen. Auch der vom bekannten Spiritisten Andrew Jackson Davis (1826–1910) beauftragte Fotograf William Guay fand keine Hinweise auf Täuschung, allerdings wurde Guay später ein Mitarbeiter Mumlers. Damit ist unklar, ob er dessen Arbeiten wirklich unabhängig überprüft hatte.
Dennoch blieben Zweifel, nicht zuletzt unter den Spiritisten selbst. Die Idee, man könne das Jenseits mechanisch auf eine Glasplatte bannen, löste Skepsis und Unbehagen aus, die Mumlers Karriere von Anfang an begleiteten.
Von Boston nach New York – und vor Gericht
Nach dem Ende des Bürgerkriegs versiegten die Aufträge. Mumler verließ Boston gemeinsam mit seiner Familie und zog nach New York. Dort erlebte seine Geisterfotografie eine kurze neue Blüte: Witwen, Eltern verstorbener Kinder und allerlei Suchende strömten in sein neues Studio. Doch bald regte sich Misstrauen. Der Journalist P.V. Hickey begann mit Nachforschungen und überzeugte den Bürgermeister von New York, Mumlers Arbeiten zu überprüfen. Ein verdeckter Ermittler überführte Mumler schließlich und verhaftete ihn. Die Anklage: Betrug, Täuschung, Diebstahl. Der Vorwurf: Mumler habe Geisterbilder mit fotografischen Tricks erzeugt, um ahnungslose Menschen auszunehmen.
Der Prozess von 1869 wurde zum Medienspektakel. Experten demonstrierten diverse Methoden, die Mumler genutzt haben könnte, etwa die doppelte Belichtung ein und derselben Fotoplatte. P.T. Barnum, der Mumlers Bilder in seinem Museum ausgestellt hatte, trat als Zeuge auf und behauptete, er hätte die Bilder natürlich als Fälschungen präsentiert. Die Staatsanwaltschaft wollte nicht nur Mumler, sondern den gesamten Spiritismus diskreditieren. Der Verteidiger konterte: Mumler sei kein Betrüger, sondern ein Medium, der Spiritismus eine ernst zu nehmende Glaubensrichtung. So wie einst die Telegrafie missverstanden worden sei, werde nun die Geisterfotografie voreilig als Täuschung verurteilt.
Am Ende war ein Punkt entscheidend: Die Anklage schaffte es zwar zu zeigen, wie sich solche Bilder fälschen ließen, sie konnte Mumler aber nicht nachweisen, welche Methode er genau angewendet hatte. Die juristische Schwelle für Betrug war damit nicht erreicht. Der Richter sprach Mumler frei, obwohl er, wie der Schriftsteller und Religionswissenschaftler Peter Manseau erklärt, »moralisch überzeugt« war, dass Mumler die Öffentlichkeit getäuscht hatte.
Zwischen Trost und Täuschung
Nach dem Prozess kehrte Mumler nach Boston zurück und blieb der Geisterfotografie treu. Fortan arbeitete er allerdings im Schatten des Skandals. In den 1870er Jahren entstand sein bekanntestes Bild: Mary Todd Lincoln, die Witwe des 1865 ermordeten Präsidenten, erschien mit dem schemenhaften Geist ihres Ehemanns im Arm. Das Bild wurde zu einer Ikone spiritistischer Fotografie – und zum Symbol eines Zeitalters, das sich nach transzendenter Gewissheit sehnte.
Mumlers Werk blieb umstritten. In Europa entstanden ähnliche Studios, etwa durch Édouard Buguet in Paris. Doch auch in der spiritistischen Szene gaben immer mehr Akteure zu, die Menschen getäuscht zu haben. Margaret Fox etwa erklärte 1888 öffentlich, das berühmte Klopfen von Hydesville sei ein Schwindel gewesen. Die Entzauberung war nicht aufzuhalten, doch der Mythos blieb.
William H. Mumler starb 1884, kurz vor seinem 52. Geburtstag. In seinem Nachruf wurde in erster Linie sein technisches Talent gewürdigt, insbesondere ein nach ihm benanntes fotomechanisches Druckverfahren. In Erinnerung blieb jedoch vor allem seine Rolle als »Erfinder« der Geisterfotografie – an der Schnittstelle von Glauben, Technik und Spektakel.
Mumlers Fall markierte einen Wendepunkt: Die Kamera, einst Symbol objektiver Wahrheit, wurde zum Medium des Zweifelhaften. Sie zeigte nicht, was ist, sondern was geglaubt werden sollte. Die Geisterbilder Mumlers standen am Beginn einer langen Reihe medialer Zwischenwelten – von spiritistischen Séancen bis zu digitalen Spukvideos. Und sie erinnern bis heute daran, wie eng Glaube, Trost und Täuschung miteinander verwoben sind.
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