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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte des Hep-Hep-Pogroms, das zur Unfreiheit aller führte

Würzburg, 1819: Ein Mob attackiert jüdische Mitbürger, angestachelt von Hep-Hep-Rufen. Die folgende Welle antisemitischer Unruhen nutzen die deutschen Machthaber zu ihren Gunsten, erzählen unsere Kolumnisten.
Antisemitische Übergriffe bei den Hep-Hep-Unruhen: Die Bürger von Frankfurt am Main attackieren jüdische Mitbürger im Jahr 1819. Zeitgenössischer, kolorierter Druck von Johann Voltz.

Es war das Jahr 1815, der Wiener Kongress war gerade zu Ende gegangen. Die Erinnerung an die Schrecken der Französischen Revolution und der napoleonischen Kriege waren noch nicht verblasst, doch die Fürsten Europas hatten die alte monarchische Ordnung wiederhergestellt – so auch die Machthaber im Deutschen Bund. Alle nationalen, liberalen und demokratischen Ideen sollten künftig im Keim erstickt werden.

Die ständige Angst vor Unruhen und Revolutionen führte zu einer Fülle an Überwachungsmaßnahmen, die als Karlsbader Beschlüsse bekannt wurden. Sie schränkten die Meinungsfreiheit massiv ein und sorgten für eine strenge Pressezensur. Als Anlass für die Maßnahmen nannten die Machthaber den Mord am russischen Generalkonsul August von Kotzebue in Mannheim am 23. März 1819. Dass die Karlsbader Beschlüsse dann sehr schnell in geltendes Gesetz umgeschrieben wurden, war jedoch eher das Resultat einer Welle antijüdischer Pogrome wenige Monate später. Die ersten überregionalen Judenverfolgungen seit dem Mittelalter hatten die Angst der deutschen Fürsten vor einem Umsturz geschürt.

Pogrome erfassen die Städte des Deutschen Bundes

Die Unruhen begannen am 2. August 1819 in Würzburg. Ein Mob jagte jüdische Mitbürger durch die Straßen, plünderte und zerstörte deren Geschäfte und Wohnungen. Dabei stachelten die Gewalttäter mit dem Hetzruf »Hep, Hep« die Stimmung an. Es dauerte mehrere Tage, bis das bayerische Militär die Lage in den Griff bekam. Viele jüdische Familien waren inzwischen aus der Stadt geflohen.

Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« auf ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Die Ausschreitungen in Würzburg waren nur der Anfang. In den nächsten Wochen sprangen die Unruhen auf weitere Städte des Deutschen Bundes über. Es gibt Berichte über Pogrome in Frankfurt am Main, Graz, Wien und Prag. Ende August erreichten die so genannten Hep-Hep-Krawalle auch Hamburg, Kopenhagen und Amsterdam. Die Gewalttaten gingen einher mit der Verbreitung von antisemitischen Schriften und Flugblättern.

Die Gewalt richtete sich gegen die Gleichberechtigung der Juden

Zum ersten Mal seit dem Mittelalter wurden Jüdinnen und Juden in überregionalen Unruhen gewaltsam verfolgt. Aber warum gerade 1819? Wenige Jahre zuvor waren Gesetze erlassen worden, die so genannten Judenedikte. Sie entstanden aus den Maximen der Französischen Revolution, in deren Folge die Juden immer mehr als gleichberechtigte Staatsbürger anerkannt wurden. Nun sollten ihnen auch per Gesetz die Gewerbefreiheit, Niederlassungsfreiheit und das Wahlrecht gewährt werden.

Es war denn auch das Bayerische Judenedikt von 1813, das die Unruhen in Würzburg entzündete. Die Stadt am Main war lange ein Fürstbistum, in dem es Juden bis Anfang des 19. Jahrhunderts verboten war, sich niederzulassen. Als Würzburg 1814 seine Eigenständigkeit verlor und die Stadt zu Bayern kam, galt nun auch dort das Bayerische Judenedikt. Sehr zum Missfallen der christlichen Kaufleute und Würzburger Bürger, die gezielt antijüdische Stimmungsmache betrieben. Mit den Hep-Hep-Unruhen – nicht nur in Würzburg – wollten die Stadtbürger also den sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg der jüdischen Bevölkerung und deren politische Gleichberechtigung bekämpfen.

Noch im August trafen sich Diplomaten und Minister der Staaten des Deutschen Bundes zu Beratungen im böhmischen Karlsbad. Sie nutzten die Gewaltausbrüche, um im Eilverfahren ein riesiges Überwachungspaket zu verabschieden: die Karlsbader Beschlüsse. Obwohl sich die Pogrome nicht gegen die staatlichen Instanzen richteten, wurden sie als Begründung vorgeschoben, dass eine mögliche Revolte gegen den Staat verhindert werden müsse.

Die Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung stagnierte

Kurz darauf fanden die Hep-Hep-Unruhen ein Ende – und mit ihnen stagnierte die Emanzipation und rechtliche Besserstellung der jüdischen Bevölkerung für einige Jahrzehnte. Langfristig änderte sich das erst wieder in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, etwa als es 1867 zum Ausgleich der Habsburger Monarchie mit Ungarn kam und die Doppelmonarchie gegründet wurde. Ebenso wurde erst mit der deutschen Reichsgründung 1871 die Gleichstellung der Juden gesetzlich verankert.

Statt den Status der Juden im Deutschen Bund zu stärken, hatten die Machthaber die unübersichtliche Lage genutzt, um die monarchische Ordnung zu festigen. Die Hep-Hep-Unruhen von 1819 bereiteten zudem den Boden für den ausgeprägten Antisemitismus des 19. Jahrhunderts in Deutschland. »Hep, Hep« – wofür diese Worte stehen, ist unklar. Es wird vermutet, dass es sich um eine verkürzte Kreuzfahrerparole oder eine Abkürzung für »Hebräer« handelt. Das grimmsche Wörterbuch liefert die Erklärung, dass mit dem Ruf Zugtiere angetrieben wurden. Sicher ist: »Hep, Hep« ist keine harmlose Äußerung, sondern ein Spott- und Hetzruf gegen die jüdische Bevölkerung während der Verfolgungen von 1819.

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