Direkt zum Inhalt

Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte eines Filmpioniers, der spurlos verschwand

1888 dreht Louis Le Prince den ersten bekannten Film der Welt. Doch den Erfinderruhm wird er nie genießen können. Warum nicht, erzählen unsere Geschichtskolumnisten.
Louis Le Prince
Der Filmpionier Ende der 1880er Jahre. Kurz darauf verschwand er spurlos.
Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« auf ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Der Ausschnitt dauert nur ungefähr zwei Sekunden. Ursprünglich waren die Aufnahmen, die Louis Le Prince im Oktober 1888 machte, vermutlich länger, aber mehr ist nicht erhalten. Zu sehen sind die Schwiegereltern des Erfinders, eine Freundin der Familie und sein Sohn Adolphe, wie sie im Garten in einem Vorort von Leeds im Kreis laufen. Die Szene, bekannt als »Roundhay Garden Scene«, gilt als der erste überlieferte Film der Geschichte.

Immerhin 20 Einzelbilder sind uns von der ältesten bekannten Filmaufnahme erhalten geblieben. Dem Mann hinter der Kamera, Louis Le Prince, war ein Durchbruch gelungen: die Konstruktion einer Kamera, mit der er mehrere Bilder pro Sekunde machen konnte. Ein kniffliges Problem, an dem zu dieser Zeit gleich mehrere Kamerapioniere arbeiteten. Denn den Rollfilm aus Papier, später Zelluloid, gab es noch nicht. Wer damals ein Foto schoss, hatte in aller Regel eine Glasplatte eingelegt, die mit lichtempfindlichen Chemikalien beschichtet war. Sie ließ sich beileibe nicht so schnell wechseln, wie es für einen Film notwendig wäre. Viele Bilder pro Sekunde zu schießen, verlangte außerdem nach sehr kurzen Belichtungszeiten.

Le Prince versuchte es zunächst mit einer Kamera, die 16 Objektive hatte und mit der er in rascher Folge 16 Fotos aufnahm. Davon ist eine Szene aus dem Jahr 1887 erhalten. Sie ist bekannt als »Man Walking Around a Corner« und zeigt den Assistenten von Le Prince, wie er in Paris ums Eck eines Hauses geht. Letztlich handelt es sich dabei aber um eine Serie von Fotos, nicht um einen Film. Zudem waren längere Aufnahmen mit dieser Kamera nicht möglich, weil Le Prince nach den 16 Bildern erst die Glasplatte wechseln musste. Daher vereinfachte er die Kamera 1888, reduzierte sie auf ein einzelnes Objektiv und tauschte die Glasplatte mit dem rollbaren Papierfilm des Unternehmers George Eastman (1854–1932). Le Prince schaffte damit die Grundlagen des Films. Noch wusste die Öffentlichkeit aber nichts davon.

»Roundhay Garden Scene«, gefilmt am 14. Oktober 1888

Filmpioniere tüftelten an der Sensation

Als die großen Filmpioniere gelten heute andere: etwa die Brüder Lumière, die den Kinematografen erfanden und 1895 in Paris eine legendäre Filmvorführung veranstalteten. Oder Thomas Edison (1847–1931), der vielleicht einflussreichste Erfinder überhaupt, der im kalifornischen Menlo Park zahlreiche Tüftler und Ingenieure für sich arbeiten ließ, um neue Patente zu entwickeln.

Edison ist einer der wichtigsten Begründer der Filmindustrie: In seinen Werkstätten entwickelte William Dickson ab 1890 in dessen Auftrag den Kinetografen, eine der ersten funktionierenden Filmkameras. Dickson sorgte übrigens durch die Verwendung der 35-Millimeter-Filme für die spätere Standardgröße bei Kinoprojektionen.

Der erste Film aus den Edison-Werkstätten, auf dem eine Person zu erkennen ist, heißt »Dickson Greeting« und zeigt genau das: Dickson, wie er mit seinem Hut das Publikum grüßt. Er stammt aus dem Jahr 1891, Le Prince hatte also etwa zwei Jahre Vorsprung mit seiner Entwicklung. Doch als Dickson schließlich seine ersten Filme drehte und Edison im Jahr 1893 mit Black Maria das erste Filmstudio der Welt bauen ließ, fehlte von Le Prince jede Spur.

Eine neue Kamera für ein neues Medium

Als der Franzose im britischen Leeds Filmgeschichte schrieb, hatte er bereits mehrere Ortswechsel hinter sich. 1842 im französischen Metz geboren, zog er zum Studium nach Leipzig, wo er sich mit seinem aus Leeds stammenden Kommilitonen John Whitley anfreundete. Später zog er in dessen britische Heimat, arbeitete in dessen Familienbetrieb und heiratete sogar dessen Schwester Lizzie. Im Auftrag der Firma zog die Familie Le Prince mit zwei Kindern Anfang der 1880er Jahre nach New York.

Wie so viele Fotointeressierte jener Zeit war der 40-Jährige von den Aufnahmen Eadweard Muybridges (1830–1904) fasziniert. Muybridge war ein Pionier der Chronofotografie, mit der sich ebenfalls Bewegungen im Bild festhalten ließen: In einer berühmt gewordenen Bewegungsstudie konnte Muybridge erstmals beweisen, dass Pferde beim Galoppieren einmal kurz komplett in der Luft sind mit ihren Hufen.

Muybridge nutzte dazu allerdings viele Kameras, von denen jede im richtigen Moment ein einzelnes Bild schoss. Bei Le Prince kam dabei wohl der Gedanke auf, dass es auch möglich sein müsste, mit einer einzelnen Kamera viele Bilder zu schießen. Er begann mit Entwürfen für eine solche neuartige Kamera. Doch um sie auch bauen zu können, fehlten ihm in den USA offenbar die Mittel. 1887 überquerte Le Prince den Atlantik Richtung Großbritannien. In seiner früheren Wahlheimat konnte er auf ein breites Netzwerk an Kontakten zurückgreifen. Seine Familie blieb in New York, weil Le Prince in wenigen Monaten wieder zurück sein wollte – mit einer neuen Filmkamera im Gepäck.

Erst ein Jahr später, Ende 1888, war die Kamera fertig, Le Prince drehte die ersten Filme, darunter die »Roundhay Garden Scene«. Auch das Patent an der Kamera konnte er sich sichern. Danach ließ er das Gerät in Leeds verpacken für die Überfahrt in die USA, wo er seine Erfindung präsentieren wollte. Aus den wenigen Monaten in Leeds waren drei Jahre geworden. Bevor es losgehen sollte, machte Le Prince allerdings noch einen Abstecher nach Frankreich zu seinem Bruder in Dijon.

Le Princes Filmkamera | Mit dieser Kamera filmte Le Prince im Garten seiner Schwiegereltern. Heute steht das Exemplar im National Science and Media Museum in Bradford.

Louis Le Prince verschwand spurlos

Am 16. September 1890 – so erzählte es jedenfalls besagter Bruder später der Polizei – gingen die beiden zum Bahnhof. Louis Le Prince bestieg einen Zug, der ihn nach Paris bringen sollte. Und verschwand für immer spurlos.

Sieben Jahre später, am 16. September 1897, erklärte man Louis Le Prince offiziell für tot. Wurde er Opfer eines Gewaltverbrechens? Hatte er einen Unfall? Was ist mit ihm passiert? Wir wissen es nicht und werden es wahrscheinlich nie erfahren. Kurz nach seinem Verschwinden kündigte Thomas Edison seine erste öffentliche Filmvorführung an. Hatte er sich noch rechtzeitig seines Konkurrenten entledigt? Lizzie Le Prince verdächtigte Edison in der Tat, für das Verschwinden ihres Mannes gesorgt zu haben, wie der britische Autor und Filmproduzent Paul Fischer in seinem Buch »The Man Who Invented Motion Pictures« erläutert.

Sicher ist: Die ältesten Filmaufnahmen, die wir kennen, stammen von Le Prince. Aber dennoch sind es letztlich die Kameras von William Dickson, die den frühen Film prägen und nachhaltig die Geschichte des Kinos beeinflussen. Ob die Filmgeschichte anders verlaufen wäre, wenn Le Prince seine ersten Bewegtbilder in New York präsentiert hätte? Vermutlich nicht, denn dazu hätte er sich gegen Edison durchsetzen müssen, der ihn wahrscheinlich, wie so viele, mit Patentklagen überzogen hätte.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.