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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte über einen Brief aus Gold

1756 schrieb der birmanische König einen außergewöhnlichen Brief. Was es ihm gebracht hat und was der Empfänger damit anstellte, erzählen unsere Geschichtskolumnisten.
Mit Rubinen verzierter Goldener Brief
Der Brief an den britischen König ist aus purem Gold, das zudem mit Rubinen verziert wurde. Heute befindet sich das Stück in der Niedersächsischen Landesbibliothek in Hannover.

Der Brief, den der birmanische König Alaungphaya am 7. Mai 1756 an seinen britischen Amtskollegen nach London schickte, könnte kaum prunkvoller sein: Er bestand aus fast purem Goldblech, war 55 Zentimeter breit, 8,5 Zentimeter lang und an den Rändern mit 24 Rubinen verziert. Auch für die Verpackung scheute man keine Kosten und Mühen. Zusammengerollt wurde er in eine Dose aus Elfenbein gegeben und in eine versiegelte Tasche aus rotem Brokat gelegt – ein sehr teurer Stoff, oft aus Seide, in den Gold- oder Silberfäden eingewebt sind.

Am Ende einer an vielen Wendungen reichen Geschichte wird dieser Brief in der Bibliothek der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover landen. Dort kann man ihn noch heute besichtigen. Eine Antwort aber – sei es auf Gold, Silber oder Karopapier – lässt inzwischen 267 Jahre auf sich warten.

Dabei hatte König Alaungphaya nur freundliche Worte für die Machthaber im fernen Europa. Er schrieb diesen Brief, weil er sich von den Briten militärische Unterstützung erhoffte, denn sein Reich befand sich seit Jahren im Bürgerkrieg. Die East India Company hatte wiederum große Probleme mit ihrem Handelsstützpunkt vor Ort. Doch aus der Zusammenarbeit wurde nichts. Im Gegenteil: Kurz darauf eskalierte die Situation. Um zu verstehen, wie es dazu kam, ist ein kurzer Blick in die Vorgeschichte notwendig.

Ein neues Reich im Süden

Über Generationen hatte die Dynastie der Taungu die Macht im heutigen Myanmar inne. Der Einfluss der Herrscher sank aber mit den Jahren, ständig hatten sie mit Rebellionen zu kämpfen, bis es den Mon im Jahr 1740 gelang, ihr eigenes Reich abzuspalten. Sie herrschten nun im Süden über das Pegu-Reich, benannt nach der Hauptstadt Pegu. Im Norden saßen weiterhin die Taungu auf dem Thron, ihr Reich trägt den Namen Ava, nach ihrer eigenen Hauptstadt.

Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« auf ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Das neue Reich im Süden profitierte stark vom Überseehandel, denn dort befand sich mit Syriam der wichtigste Warenumschlagplatz Birmas, der im Golf von Bengalen liegt. Dort setzte sich in den 1740er Jahren auch die Französische Ostindien-Kompanie fest. Das Südreich wurde zum bestimmenden Machtfaktor, der das alte Reich im Norden immer mehr in Bedrängnis brachte. Nur rund zwölf Jahre später, im Jahr 1752, wurde die Hauptstadt Ava von den Mon erobert und der König entführt. Damit endete die Taungu-Dynastie.

Vom Dorfvorsteher zum König

Es schlug die Stunde des Alaungphaya. Denn den Mon gelang es nicht, den Norden dauerhaft unter ihre Kontrolle zu bringen. Einige der lokalen Dorfvorsteher leisteten erbitterten Widerstand und weigerten sich, Abgaben an die neuen Herrscher zu zahlen. Der Dorfvorsteher in Moksobo stach besonders hervor. Eigentlich war er ein einfacher Verwaltungsbeamter, zuständig für Steuereinnahmen und die Gerichtsbarkeit. Doch schon bald führte er den Widerstand gegen das Südreich an und versammelte Verbündete im Norden, um das Reich von den Mon zurückzuerobern. Innerhalb kurzer Zeit wurde der Dorfvorsteher Moksobos zum neuen König von Birma ausgerufen: Er gab sich den Namen Alaungphaya, »zukünftiger gerechter König«.

Bis 1755 hatte Alaungphaya den Norden des Reichs wieder vereint. Nun plante er einen Eroberungsfeldzug in den Süden. Seine Truppen trafen dort jedoch auf gut vorbereitete und gut ausgerüstete Soldaten, die unter anderem mit Waffen durch die Französische Ostindien-Kompanie versorgt wurden.

Die Engländer beginnen sich zu interessieren

Das Engagement der Franzosen rief wiederum die Konkurrenten aus dem Vereinigten Königreich auf den Plan. Die East India Company war ursprünglich nicht in Birma aktiv gewesen, sondern hatte sich auf ihre Handelsniederlassungen in Indien konzentriert. Nun trieb die Verantwortlichen die Sorge um, beim Südostasienhandel ins Hintertreffen zu geraten. Daher schickten sie 1752 eine Gruppe von Siedlern nach Birma, um dort eine kleine Festung zu errichten. Sie entscheiden sich für eine Insel im Südwesten, Negrais.

Die Unternehmung entpuppte sich als völlige Katastrophe. Die Insel war kaum bewohnt, die Neuankömmlinge hatten massiv mit Malaria zu kämpfen, und Versorgung gab es nur per Schiff aus Indien. Denn die Bevölkerung vor Ort verweigerte ihnen die Unterstützung. In dieser Lage befand sich die Abordnung der East India Company, als Alaungphaya Kontakt aufnahm. Er erhoffte sich vor allem Kanonen und Gewehre für die geplante Invasion in den Süden.

Die Reaktion der Company fiel allerdings sehr zurückhaltend aus. Waffenlieferungen? Lieber nicht. Eine Kanone im Jahr und ein paar Kisten Schießpulver vielleicht. Mehr wird dem ernüchterten Alaungphaya nicht in Aussicht gestellt. Erklären lässt sich die abwartende Haltung der Briten durch die außenpolitische Situation in der Heimat: Die Rivalität zwischen Frankreich und Großbritannien erreichte einen neuen Höhepunkt. Beide Länder führten zu der Zeit – letztlich im Rahmen des Siebenjährigen Kriegs – auf mehreren Kontinenten gegeneinander Krieg. In Nordamerika seit 1754, in Indien im so genannte Dritten Karnatischen Krieg ab 1756 und in Europa. Am Ende verlor Frankreich einige Kolonialgebiete und massiv an Einfluss, während das Vereinigte Königreich endgültig zur Weltmacht aufstieg. Birma geriet für die Briten zum Nebenschauplatz.

Statt Waffenlieferungen sollte ein Freundschaftsvertrag her, so der Plan der East India Company. Alaungphaya wurde aufgefordert, ihnen einige Handelsprivilegien einzuräumen und einen neuen Hafen zuzusichern, denn in Negrais wollten sie auf Dauer nicht bleiben. Alaungphaya war damit jedoch nicht zufrieden, und so zogen sich die Verhandlungen mehrere Jahre ergebnislos hin.

Alaungphaya erobert, was es zu erobern gibt

Während zwar diplomatisch keine Fortschritte erzielt wurden, sah die Sache für Alaungphaya militärisch ganz anders aus. 1755 eroberte er mit Dagon eine strategisch wichtige Stadt des Pegu-Reichs. Sie liegt direkt gegenüber der Hafenstadt Syriam. Er gründete Dagon neu und benannte sie in Yangon um, was so viel heißt wie »Ende des Streits« – bis 2005 war Yangon, auch bekannt als Rangun, die Hauptstadt von Myanmar.

Ein »Ende des Streits« war freilich nicht geplant. Anfang 1756 setzte er die Invasion in den Süden fort und eroberte auch Syriam. Schließlich hatte er die Mon bis auf ihre Hauptstadt Pegu zurückgedrängt. Nun machte er den nächsten Schritt. Weil er mit den Vertretern der East India Company nicht weiterkam, wandte er sich direkt an den König. Alaungphaya hatte sich entschieden, den Briten eine Ausweitung der Handelsbeziehungen anzubieten und ihnen im Grunde all jene Zugeständnisse zu machen, die die East India Company in ihrem Handelsvertrag bestätigt haben wollte. Genau das ließ er seine Kunsthandwerker auf den Goldenen Brief schreiben. Das prunkvolle Sendschreiben übergab er schließlich einem Vertreter der East India Company.

Goldener Brief | Der Brief umfasst zehn gleich lange Zeilen mit Text in birmanischer Schrift. Eine Übersetzung ins Englische hatte schon der Absender dem Schreiben beigefügt. Dennoch wurde der Brief unmittelbar nach dem Erhalt einer falschen Herkunft zugeordnet und weitestgehend ignoriert.

Heute gilt der Brief als einziger noch erhaltener Goldener Brief der Welt. Alle anderen wurden irgendwann eingeschmolzen. Gold ist einfach zu wertvoll als Material, zumal sich der Inhalt auch auf günstigere Materialien kopieren lässt.

Während sein Brief die Reise nach London antrat, setzte der Herrscher seinen Eroberungsfeldzug fort. Ein Jahr später, 1757, fiel auch Pegu, die Hauptstadt der Mon, in seine Hand. Damit hatte er das birmanische Reich wiederhergestellt und eine neue Dynastie begründet: die Dynastie der Konbaung. Jetzt, auf dem Höhepunkt seiner Macht, nachdem er das Reich vollständig unter seine Kontrolle gebracht hatte, unterschrieb Alaungphaya den Freundschaftsvertrag mit der East India Company.

Ablage: Kuriosa

Aber das Timing hätte kaum schlechter sein können. Denn die East India Company hatte bereits entschieden, die Handelsniederlassung wieder aufzugeben. In Alaungphayas Enttäuschung mischte sich ein Gefühl der Demütigung: Erst hatte er sich mit einem wertvollen, außergewöhnlichen Brief an den britischen König gewandt, dann einen Freundschaftsvertrag mit der East India Company unterschrieben und im Gegenzug nicht einmal eine Eingangsbestätigung von Georg II. erhalten geschweige denn eine Antwort.

Jetzt nahm eine Kette von Missverständnissen ihren Lauf: Es kam zu einigen Aufständen, bei denen Briten den Rebellen vereinzelt Waffen verkauften. Wütend gab Alaungphaya den Befehl, die Niederlassung auf Negrais zu plündern. Im Oktober 1759 stürmten birmanische Soldaten das Fort, zerstörten es, und alle, die vor Ort waren, wurden entweder getötet oder gefangen genommen. Kurz darauf starb Alaungphaya. Als die East India Company im Jahr 1760 einige Vertreter nach Birma schickte, um Schadensersatz zu verlangen, trafen diese auf seinen Sohn und Nachfolger, der den Briten jegliche Art von Kompensation verweigerte. Es war das Ende der diplomatischen Beziehungen zwischen Birma und den Briten für die nächsten Jahrzehnte. Zwei Jahre dauerte es, bis Georg II. den Brief in London erhielt. Eine Antwort verfasste er nicht.

Wie aber kam der Brief nach Hannover? Georg II. war nicht nur König von Großbritannien, sondern auch Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg. Als solcher leitete er den Brief, dem er über den Kuriositätswert hinaus kaum Bedeutung zumaß, an seine Bibliothek in Hannover weiter, heute die Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, benannt nach ihrem ersten Leiter. Dort galt der Brief aber bald als verschollen, woran Gerlach Adolph von Münchhausen schuld ist. Der Minister des Königs – nicht der berühmte Lügenbaron – übergab nämlich den Goldenen Brief mit einer völlig falschen Beschreibung. Er schrieb, es handle sich um die Freundschaftsnote eines indischen Prinzen von der Koromandelküste.

Und so landete der Goldene Brief, eingerollt in einem ausgehöhlten Stoßzahn, mit dieser falschen Beschreibung im Archiv. Bevor er in Vergessenheit geriet, wurde er noch einmal herausgeholt, und zwar am 11. Juni 1768: Da kam der dänische Prinz und spätere König Christian VII. auf seiner Grand Tour in Hannover vorbei. Bei der Betrachtung ging man offenbar nicht sonderlich sorgsam damit um, denn der Brief wurde beschädigt – wie noch heute zu sehen ist.

Anschließend wird es still um den Brief – für über 200 Jahre. Erst 2006 wurde festgestellt, dass der Text auf dem Brief gar nicht auf Sanskrit verfasst ist. Der Luxemburger Historiker Jacques Leider identifizierte ihn schließlich als den verschollenen Brief des birmanischen Königs. Inzwischen ist der Brief während der Bibliotheksöffnungszeiten in einem (geöffneten) Tresor zu sehen. Seit 2015 ist der Goldene Brief auch in das UNESCO-Weltdokumentenerbe aufgenommen worden.

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