Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte von Albert Porta und dem Ende der Welt

Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.
Am 18. Dezember 1919 erschien auf Seite 4 der »New York Times« eine kuriose Meldung: Ein Farmer aus Ohio hatte 15 Dollar gezahlt, um beim Ende der Welt in der ersten Reihe zu sitzen. Den vorhergesagten »Anfang vom Ende« wollte der Farmer mit Mitgliedern seiner Religionsgemeinschaft begehen, dafür hatte er nicht wenig Geld auf den Tisch gelegt. Doch am angeblichen Veranstaltungsort wusste man gar nichts vom bevorstehenden Weltuntergang. Und fast schlimmer noch: Der große Kataklysmus fand überhaupt nicht statt!
Der Farmer durfte sich also gleich dreifach düpiert fühlen: von den beiden Betrügern, die ihn um 15 Dollar erleichtert hatten, von einem Mann, der mit teils aberwitzigen Weltraumwetter-Prognosen von sich reden machte, und von den Medien, die die Prognosen dieses Mannes dankbar aufgegriffen hatten.
Albert F. Porta lautete der Name des Weltuntergangspropheten.
Geboren im Jahr 1853 im piemontesischen Mondovì, machte er zunächst eine respektable Karriere. Nach einem Studium der Ingenieurwissenschaften und Architektur zog er 1894 mit seiner Familie nach Guatemala, wo er an der Konstruktion von Brücken und Gebäuden arbeitete. Nach neun Jahren zog die Familie weiter, schließlich bis nach Kalifornien. Dort fand Porta 1904 eine Anstellung am Santa Clara College, einer jesuitischen Hochschule nahe San Francisco.
Porta entdeckt die Astronomie für sich
Alsbald nahm seine Karriere eine überraschende Wendung: Porta hatte seine Leidenschaft für die Astronomie entdeckt. Zum Jesuiten-College gehörte ein Observatorium, dessen Leiter, Jerome Sixtus Ricard, ein Experte für Sonnenflecken war. Er stellte Porta ab 1913 als Assistent für mathematische Berechnungen an. Porta konnte keine astronomische Vorbildung vorweisen, doch die brauchte es für diese Aufgabe ohnehin nicht.
Pater Ricards Spezialgebiet war es, aus der Aktivität der Sonne Wetterprognosen abzuleiten. Sein monatlich erscheinender Report »The Sunspot« sei zu einer »Wetterbibel für die Menschen der amerikanischen Pazifikküste« geworden, schreibt die Historikerin Kim Clarke, die Portas Lebensgeschichte für die University of Michigan anhand von Originaldokumenten rekonstruiert hat. Zwar sind Ricards Überlegungen aus heutiger Sicht wissenschaftlich unhaltbar, doch der Erfolg schien Portas neuem Chef Recht zu geben: Seine Vorhersagen trafen auffallend oft zu.
Nur zwei Jahre blieb Porta am Observatorium, schaute Ricard über die Schulter – und machte sich dann selbstständig. Er entwarf eine eigene Theorie, in der er neben der Sonnenaktivität auch noch die Planetenkonstellationen hineinrührte. Daraus leitete er nicht nur Wetterphänomene ab, wie es Ricard getan hatte, sondern auch Naturkatastrophen, Vulkanausbrüche und prognostizierte schließlich das Schicksal der gesamten Erde. Ein eigens von ihm gegründetes »Institut für Planetologie« gab dem Ganzen einen wissenschaftlichen Anstrich. Und ein konsternierter Ricard musste zusehen, wie Portas Prognosen bald nicht nur in der lokalen »Oakland Tribune«, sondern auch in vielen anderen Zeitungen des Landes und schließlich der ganzen Welt abgedruckt wurden.
Tabellen statt Fernrohre
Mangels Zugang zu einem Sonnenobservatorium konnte sich Porta bei seinen Vorhersagen nicht einmal auf die tatsächliche Sonnenaktivität stützen. Stattdessen begnügte er sich damit, die Positionen von Sonne, Mond und Planeten in den offiziellen astronomischen Jahrbüchern nachzuschlagen. Eine seiner zentralen Annahmen war, dass Planeten durch elektromagnetische Strahlung mit der Sonne interagierten und bei bestimmten Konstellationen katastrophale Ereignisse auf der Erde auslösen könnten. Besonders bedrohlich seien Ausrichtungen mehrerer Planeten auf einer Seite der Sonne.
Im Sommer 1919 begann Porta vor einer besonders brenzligen Konstellation zu warnen. Ihren Höhepunkt würde sie am 17. Dezember erreichen: Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn und Neptun würden dann auf einer Seite der Sonne stehen, Uranus auf der anderen. Gemeinsam würden sie eine gewaltige »energetische Lanze« bilden, die die Sonne »aufspießen« würde. Diese Anordnung, so prophezeite Porta, hätte eine gigantische Explosion auf der Sonne zur Folge, deren Auswirkungen auf die Erde verheerend wären: Orkane, Erdbeben und sogar Vulkanausbrüche. Wochenlang, so Porta, würde die Erde von diesen Ereignissen heimgesucht werden.
Die Presse war begeistert. Zeitungen wie der »Washington Herald« und die »New York Times« griffen die Geschichte auf und verbreiteten sie in einem Ton, der irgendwo zwischen reißerischer Berichterstattung und halbherziger Skepsis schwankte. Artikel erschienen mit detaillierten Schaubildern, die die Planetenstellung illustrierten. Portas Warnungen verbreiteten sich durch Presseagenturen über die Grenzen der USA hinaus bis nach Europa. Zeitungen in Wien, Berlin und London berichteten ebenso ausführlich. Fast immer wird Porta darin als Professor der Universität von Michigan bezeichnet, obwohl er dort nie tätig war.
Angstlust in der Polykrise
Warum fanden Portas düstere Vorhersagen ein solches Echo? Die Welt des Jahres 1919 war geprägt von Unsicherheit und Umbruch. Der Erste Weltkrieg hatte tiefe Wunden hinterlassen, wirtschaftliche Not herrschte allerorten. Zugleich wütete die Spanische Grippe, die weltweit Millionen Opfer forderte. Die Nachrichten waren voll von Berichten über Tod und Katastrophen. Viele Menschen suchten Halt – und empfingen Vorhersagen über eine apokalyptische Zukunft, ob religiös oder »wissenschaftlich« motiviert, mit einem Gefühlsmix aus Faszination und Furcht.
Ein weiterer Faktor war die Rolle der Wissenschaft in der Öffentlichkeit. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts genoss sie hohes Ansehen; verbreitet war die Ansicht, dass kein Geheimnis der Natur ihr noch lange widerstehen können werde – auch die Vorhersage der Zukunft nicht. Dies wurde von Figuren wie Porta ausgenutzt, die wissenschaftliche Terminologie und die Aura akademischer Autorität für ihre Selbstvermarktung nutzten. Die Massenmedien, vor allem die zahllosen Lokalzeitungen in den USA, verstärkten den Effekt. Sie waren immer auf der Suche nach sensationellen Geschichten, die Auflage brachten – und Portas »Weltuntergang« war eine solche Geschichte.
Der 17. Dezember kam. Und ging. Weder stürzten die Planeten das Sonnensystem in eine Krise noch gab es außergewöhnliche Naturkatastrophen. Die Erde drehte sich wie gewohnt weiter. Real gewesen war allein die Furcht, die Portas Vorhersagen ausgelöst hatte: In Oklahoma hatten sich Bergleute geweigert, in die Minen zu gehen. Eine Frau in Saratoga Springs hatte sich am Tag zuvor aus Angst vor dem Weltuntergang das Leben genommen. In Montreal riefen besorgte Bürger bei Zeitungen an, als ein plötzlicher Temperatursturz auftrat, den sie als Vorboten der herannahenden Katastrophe deuteten.
Nachricht vom Weltuntergang stark übertrieben
Die Reaktionen auf das ausgebliebene Ende waren unterschiedlich. Manche Zeitungen, die zuvor Portas Warnungen verbreitet hatten, wiesen nun plötzlich darauf hin, dass seine Aussagen »missverstanden« worden seien. Andere veröffentlichten ironische Glossen, in denen sie das Ereignis als ein humoristisches Schauspiel darstellten. Albert Porta selbst blieb erstaunlich gelassen. In einem Statement erklärte er, seine Vorhersagen seien »übertrieben dargestellt« worden.
Mit dem Scheitern seiner großen Prophezeiung verschwand Albert Porta bald aus der Öffentlichkeit. Offen bleibt, ob er selbst an die Richtigkeit seiner Theorie glaubte oder sich seine Prognosen ausdachte, um sie an die Medien verkaufen zu können. Abnehmer fand er dafür jedenfalls immer weniger. Nur sein Hausblatt bliebt ihm treu: Bis zu seinem Tod im Jahr 1923 veröffentlichte er weiterhin Wetterprognosen in der »Oakland Tribune«.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben