Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte eines unerhörten Musikstücks

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Als Ludwig van Beethoven im Jahr 1802 seine 3. Sinfonie zu komponieren begann, wusste er, dass er sein Publikum brüskieren würde. Sollten sie doch ruhig ihre Köpfe schütteln, bis die Perücken wackelten! Die feinen Herren und Damen Wiens, die so sehr das Maßvolle in der Musik schätzten, die Eleganz der Ausgewogenheit.
Lasen sie denn keine Zeitung? Europa stand an der Schwelle einer neuen Epoche. Monarchien wankten, Armeen marschierten, die Ideale der Aufklärung waren in einen Strudel von Krieg und Machtgier geraten, Hoffnungen waren zertrümmert worden. Und inmitten all dessen saß ein 32-jähriger Komponist, beinahe taub, an einer Partitur, die er der Welt unbedingt noch mitgeben wollte, gewidmet dem noch unbekannten Helden einer nahenden neuen Zeit.
Beethovens Weg zu diesem Punkt hatte 1770 in Bonn seinen Anfang genommen. Dort wurde er in eine Musikerfamilie ohne Stand und Besitz, aber mit großer Ambition hineingeboren, der Vater: Hofsänger, der Großvater: Kapellmeister, der kleine Ludwig: ein Talent, das man früh auszubeuten begann. Der cholerische Papa sah in Mozart ein Vorbild und unterwarf den Jungen einem rigiden Übungsregime. Von Schlägen bei falschen Tönen wird berichtet, von nächtlichen Etüden, von Tränen am Klavier.
Doch Beethoven war nicht nur ein begabter Knabe, sondern auch ein intelligenter Beobachter seiner Umwelt. In Bonn herrschte unter Kurfürst Maximilian Franz – dem Bruder Kaiser Josephs II. – ein vergleichsweise liberales Klima. Die Musikpflege war anspruchsvoll, die Philosophie der Aufklärung lag in der Luft. Christian Gottlob Neefe, Beethovens Lehrer, führte den Heranwachsenden früh an Bach und Mozart heran – und vor allem an das Ideal eines Künstlers, der nicht nur unterhielt, sondern dachte.
1792, mit knapp 22 Jahren, zog Beethoven nach Wien. Eigentlich war nur ein Studium bei Haydn vorgesehen, doch der Aufenthalt zog sich immer weiter in die Länge – auch weil das politische Fundament seiner Heimat zerbrochen war. Die Französische Revolution hatte das Rheinland erschüttert. Als das Kurfürstentum aufgelöst wurde, war Beethoven gezwungen, in Wien zu bleiben. Er machte das Beste daraus und stieg rasch in der feinen Gesellschaft der Stadt auf.
Kein Künstler, der sich fügte
Vor allem mit seiner Fähigkeit, musikalisch zu improvisieren, imponierte der virtuose Pianist dem adligen Publikum. Er wurde gefördert, beherbergt, mit Apanagen ausgestattet. Doch Beethovens Verhältnis zur aristokratischen Welt blieb angespannt. Er verweigerte das höfische Spiel, trug keine Perücke, hielt Etikette für bloßen Zwang. Schon in seinen ersten Werken klang ein Drang nach Unabhängigkeit an – musikalisch wie sozial.
Wien jedoch war noch nicht bereit für einen Künstler, der sich nicht fügte. Die klassische Musik galt als Ornament höfischer Stabilität. Haydns Sinfonien waren architektonisch, oft heiter; Mozarts Werke galten als Muster von Klarheit und Formgefühl. Beethoven aber war auf der Suche nach etwas anderem – nach einer Musik, die sich nicht einfügte, sondern widersprach.
Dieser Wunsch gewann an Schärfe, als Beethoven sich zunehmend mit dem revolutionären Frankreich beschäftigte. Musik wurde dort nicht länger als Kunst für den Hof verstanden, sondern als Mittel der Massenbegeisterung, der politischen Botschaft. Pauken, Märsche, kämpferische Themen dominierten – all das war Ausdruck einer neuen Gesellschaft. Beethoven war tief beeindruckt. Besonders die Gestalt Napoleons faszinierte ihn: ein Emporkömmling, der sich nicht auf Geburt, sondern auf Leistung stützte.
Um dieselbe Zeit verschlechterte sich Beethovens Gehör dramatisch. Der Rückzug nach Heiligenstadt am Rand Wiens im Jahr 1802 diente nicht nur der Erholung, sondern wurde zur inneren Zäsur. Dort schrieb Beethoven das so genannte Heiligenstädter Testament – ein Brief an seine Brüder, in dem er seine Verzweiflung über die fortschreitende Taubheit schilderte, über die Isolation, die sie mit sich brachte, den schwinden Lebenswillen. »Nur die Kunst, sie hielt mich zurück. Es schien mir unmöglich, die Welt eher zu verlassen, ehe ich das alles hervorgebracht hätte, wozu ich mich aufgelegt fühlte.«
Einzelnen Zeitgenossen gegenüber mag er nicht als Menschenfreund in Erscheinung getreten sein, die Menschheit als Ganzes aber schätzte Beethoven – genug, um ihr all das mitzugeben zu wollen, was er in sich spürte, schreibt seine Biografin Christine Eichel in ihrem 2019 erschienenen Werk »Der empfindsame Titan«.
Für Napoleon, gegen den Kaiser der Franzosen
Aus diesem inneren Umbruch heraus begann er, ein neues musikalisches Vokabular zu entwickeln. Der Glaube an das Individuum, das sich gegen äußere Mächte behauptet, verband sich mit der Überzeugung, dass Musik mehr könne als gefallen. Die 3. Sinfonie war die erste große Umsetzung dieser neuen Ästhetik – getragen von Konflikt, Kontrasten und einem heroischen Grundton, der die typischen Stilmittel der Heldenverehrung auf eine bis dato unerhörte Weise brach.
Zunächst war sie Napoleon gewidmet. Doch als sich dieser im Dezember 1804 selbst zum Kaiser der Franzosen krönte, änderte Beethoven seine Meinung radikal. Wütend strich er die Widmung von der Partitur, zerriss das Titelblatt – so wird es zumindest gern überliefert. Der Mann, den er als Symbol des Aufbruchs gesehen hatte, war nun selbst zum Herrscher geworden. Dass Beethoven sehr pragmatische Gründe hatte, dieses neue Werk dann doch lieber einem Wiener Aristokraten zu widmen, liegt auf der Hand. Ein so monumentales Werk benötigt Geld – und das fand Beethoven beim Fürsten Lobkowitz, der ihm für das Recht, die Sinfonie eine Zeit lang exklusiv aufführen zu dürfen, eine beträchtliche Summe Geld zahlte. Und dafür auch die Widmung bei der Uraufführung erhielt.
»Eroica« markiert den Beginn einer neuen Epoche
Die ersten Aufführungen fanden in Lobkowitz' Palais statt. Es war Musik für ein neues Zeitalter – doch das Publikum lebte noch im alten. Es empfand die Sinfonie als zu lang, zu laut, zu komplex. Bei der öffentlichen Premiere im April 1805 im Theater an der Wien reagierten viele Zuhörer mit Unverständnis, einige mit Spott. Man sprach von Maßlosigkeit, von »Unstruktur«. Nur der Trauermarsch im zweiten Satz wurde allgemein anerkannt.
Doch so machtvoll und unaufhaltsam, wie sich die gesellschaftlichen Umwälzungen durchsetzen, tat es auch das Werk. Bereits wenige Jahre nach seiner Uraufführung wurde es von Kritikern als Meilenstein gewürdigt, als Beginn einer neuen Epoche.
Die »Allgemeine Musikalische Zeitung« sprach nun von einem »kolossalen Werk«, voller Kunst und Geist. Die Sinfonie galt nicht mehr als Übertreibung – sondern als Notwendigkeit.
Als die Sinfonie in Druck ging, erhielt sie einen neuen Titel: »Eroica – komponiert zur Feier des Andenkens eines großen Mannes«. Wer dieser große Mann war, blieb offen. Wahrscheinlich nicht Fürst Lobkowitz, vielleicht Beethoven selbst. Vielleicht aber auch der Mensch, der sich der Welt und ihren alten Mustern entgegensetzt.
Der Komponist als freier Mensch
In der »Eroica« drückte sich nämlich nicht nur ein ästhetisches, sondern ein existenzielles Anliegen aus: das Beharren auf der Würde des Einzelnen. Beethoven stellte den Menschen in den Mittelpunkt – nicht den Untertan, nicht den Diener, sondern das Subjekt. Diese Haltung sollte sich nicht nur in seinen Partituren, sondern auch im Leben abzeichnen.
Im Jahr 1806, ein Jahr nach der Uraufführung der »Eroica«, kam es auf Schloss Grätz zum berühmten Streit mit Fürst Lichnowsky, Beethovens Gönner, der ihn seit dem Jahr 1800 mit einer großzügigen Apanage ausgestattet hatte. Der Komponist, der vor französischen Offizieren spielen sollte, verweigerte sich mit dem Satz: »Bin ich denn gar nichts als Ihr Musikus?« Die Szene endete im Eklat. Beethoven reiste ab – und kehrte nie zurück.
Es waren keine Allüren, nicht der gekränkte Stolz eines Stars, der aus ihm sprach, es war einfach nur folgerichtig: Wer die Musik der »Eroica« geschrieben hatte, konnte sich nicht mehr beugen. Die Sinfonie war nicht nur ein Werk der Töne, sondern eine Kampfansage an das System, aus dem sie entstand – und eine Feier des Menschen, der sich erhoben hatte.
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